Ja, «Wer hat die Konfitüre geklaut?» ist wirklich ein Kasperlitheater. Mit Patrick Frey in der Hauptrolle. Existentiell ist es, weil es sich den ganz grossen Fragen widmet: Wie ist die Erde und der Mensch entstanden?
Gibt es öppis, woran es sich zu glauben lohnt, oder ist da am Ende einfach nichts? Und ist nichts wirklich nichts oder am Ende doch öppis?
Ja, solch komplizierter Sachen kann sich ein Kasperlitheater annehmen! Vielleicht kann es das sogar besonders gut, eben weil es ein Kasperlitheater ist. Ein grosses Welttheater mit barocken Dimensionen. Ein ästhetisches Feuerwerk aus Jodorowsky-Anleihen, Pedalo-Romantik, einem psychoaktiven Lotusblumen-Trip und Patricks Furzgeräusch-Video mit sagenhaften 46 Likes, das plötzlich von Youtube verschwindet.
Ein böser Internet-Algorithmus mit Geheimplan hat es vom Portal gelöscht. Ein diabolisch lachender Mephisto, eine Nihilistendrohne mit Thurgauer Dialekt, die aussieht wie eine Kreuzung zwischen HAL 9000 und Terminator. Und weil sie nichts lustig findet, frönt sie der Zerstörung.
Aber am allermeisten geht es in diesem Film natürlich darum, wer die selbstgemachte Erdbeerkonfi von Patricks Mami geklaut hat. War es Sepp, der sehbehinderte Genderfluide, die Nachbarin Malengo – oder gar Coco, das Polizeiäffchen?
Im Übrigen wird wohltuend gschlegelt und nicht gebumst, Patrick stellt ausgefuchste Diebesfallen und auf dem Fernsehturm Uetliberg geschieht derart Haarsträubendes, dass ihr es euch selbst ansehen müsst.
Aber erst hört, was die beiden Macher dazu zu sagen haben:
Was wollt ihr über euren neuen Film NICHT hören?
Lara Stoll: Keine Ahnung. Dass er langweilig ist?
Cyrill Oberholzer: Süsse Lügen.
Bei eurem «Höllentor»-Film hat man, wie du selbst gesagt hast, als Zuschauer 90 Minuten lang «dini Frässi» anschauen müssen. Habt ihr deshalb Patrick Frey die Hauptrolle in eurem neuen Werk gegeben?
Lara Stoll: Ja.
Cyrill Oberholzer: Zum Glück geht es nicht um meine Frässi.
«Wer hat die Konfitüre geklaut?» beschäftigt sich mit Political Correctness, mit Copyright und Verwendungsverboten, mit Internet-Algorithmen und deren Löschfreudigkeit und damit, was lustig ist, und wer entscheidet, was lustig ist. Am Ende also mit der Frage: Was «darf» Kunst?
Lara Stoll: In der Theorie: Kunst bedeutet für mich mit absoluter Freiheit kreativ sein zu dürfen. In der Praxis ist das rücksichtslose Schaffen allerdings schwierig, nur schon, weil der eigene Kopf einen unterbewusst zensiert. Deshalb arbeite ich wohl auch gerne mit Cyrill, auch wenn wir uns manchmal auf den verdammten Mars schiessen könnten, er ist einfach skrupellos, das macht den Stoff dann auch interessant und kantig. Bei meinen Bühnenprogrammen kann ich es mir nicht erlauben, die Leute allzu sehr vor den Kopf zu stossen. Ich würde meine berufliche Existenz damit belasten. Mit diesem Film brauchen wir aber niemandem zu gefallen, wir haben wieder einmal ohne Budget gedreht, darum machen wir erst recht, was wir wollen.
Cyrill Oberholzer: Über Kunst zu diskutieren, ist nicht lustig.
Frau Polizist Krokodil ist eine wunderbar ambivalente Figur. An ihr zeigt sich die ganze Schwierigkeit im Umgang mit Rassismus, Sexismus und den dazugehörigen Vorurteilen, die sich unter ihrer politisch korrekten Ausdrucksweise wacker weiterzuhalten scheinen. Was denkt ihr: Ist die Lenkung der Sprache der Weg zu einer gerechteren Welt?
Lara Stoll: In dieser Figur konzentriert sich sehr viel Negatives, sie meint es gut, macht aber alles echli falsch. Zur Lenkung der Sprache: Es geht immer um Verhältnisse. Es ist klar, wenn sich Menschen verletzt fühlen aufgrund spezifischer Wortwahl, dann muss darüber ein Dialog geführt werden. Wir müssen hinsehen und einen besseren Weg finden. Da geht es ja vor allem auch darum, dass wir unsere Kultur und somit auch unsere Sprache auch immer wieder überprüfen und uns nicht ausruhen auf Vorherrschendem. Wir sind jetzt im 21. Jahrhundert angekommen und sollten vielleicht doch mal unsere Sprache den Umständen anpassen, nur weil etwas immer so war, wie es ist, hat das nicht zu heissen, dass es automatisch «gut» ist. Bei diesem Prozess ist es aber wichtig, darauf zu achten, dass man nicht die Geschichte dahinter auslöscht, denn sie ist geschehen, sie ist wahr und real, und indem wir sie einfach canceln, verdrängen wir auch das Problem.
Cyrill Oberholzer: Wörter wie Rassismus und Sexismus sind ein gutes Beispiel, wie Worte «lenken» können. Diese Worte gibt es noch gar nicht so lange und ganz abgesehen von der individuellen Einstellung gegenüber diesen Worten ist es beeindruckend, wie sehr diese Worte unseren Zeitgeist zu beeinflussen scheinen. Das ist aber nur ein Beispiel. Ich bin überzeugt, dass Worte wie magische Sprüche wirken, welche ja selber aus Worten bestehen. Der berühmte Zauberspruch Abrakadabra bedeutet soviel wie: «Ich werde erschaffen, während ich spreche.» Auch wenn «Gerechtigkeit für alle» ein schön klingendes Zauberwort ist, sollte auch hier, oder besonders hier, aufgepasst werden, welche Geister gerufen werden, welche dann vielleicht schwierig loszuwerden sind. Natürlich können auch gute Geister heraufbeschworen werden, oder die kommen dann einfach so. Aber das ist alles so durchgeknallt, dass mir dies alles schwierig zu «lenken» scheint.
Die grösste Frage, die den Film wohl umtreibt, ist die Frage nach dem Sinn unserer Existenz. Habt ihr bereits eine befriedigende Antwort darauf gefunden oder könnt vielleicht sagen, wofür es sich für euch zu leben lohnt?
Lara Stoll: Sex, Badewannen und Kunst.
Cyrill Oberholzer: Um an die Wortfrage anzuknüpfen – offenbar finde ich über Worte diskutieren lustig – Worte sind ja schon wichtig ... oder? Ja, schon. Aber den Sinn des Lebens mit Worten erklären zu wollen, zeigt die Grenzen der Worte ganz gut auf. Ganz abgesehen davon: meine Familie.
Furby, der kleine Helfer von Patrick, spricht bloss in Michael-Jackson-Songzitaten. Dieser Name ist ja heute nicht mehr ganz unbelastet – und ihr macht Gebrauch von seiner Kunst: Was steckt dahinter?
Lara Stoll: Ganz ehrlich weiss ich gar nicht mehr, wie das zustande kam. Ich persönlich bin der Meinung, dass man Kunst und Künstler*in trennen sollte. Aber auch hier haben wir wieder das Theorie-Praxis-Problem. Natürlich kann man nicht so einfach vergessen, was man über diesen Menschen gehört/gelesen/gesehen hat, ein bitterer Nebengeschmack bleibt. Für mich ist diese Furby-Figur nun mal ein völlig eigenständiger Charakter, wenn er in Michael-Jackson-Lyrics spricht, dann gehört das mehr zu diesem armen Sidekick-Tropf als zur Persona MJ.
Cyrill Oberholzer: Er ist sowas wie eine Engelsfigur. Also Furby im Film wie auch Michael Jackson. Und wie dieser Engel singen kann, wie dieser Engel tanzen kann und wie dieser Engel dichten kann! Michael Jackson kann's mit jedem grossen Dichter aufnehmen. Und da ich selber nicht ganz so gut im Dichten bin, sind seine Songtexte im Film. Unter anderem. Aber ja, Engel können aber auch sehr abschreckend und angsteinflössend sein. Wörtliche Beschreibungen von Engeln in der Bibel zeichnen, entgegen dem verbreiteten Bild, eher interdimensionale Supermonster, die HR Giger auf einem DMT-Trip sehen würde. Und ja... Michael Jackson kann auch abschreckend wirken. Wie ein Engel halt. Das passt schon. Ich find ihn easy persönlich. Genau wird man es nie wissen. Das passt auch.
Erschaffung oder lieber Zerstörung?
Lara Stoll: Erschaffung. Cyrill sagt sicher: Beides und schwafelt dann etwas über Leben und Tod.
Cyrill Oberholzer: Erschaffung. Aber dafür muss man ein paar Sachen zerstören (eher in sich als bei anderen, glaubs).
«Vo nüt chunt nüt» – Ein Zitat aus dem Film und ebenso ein sehr schweizerisches Sprichwort. Was ist davon zu halten?
Lara Stoll: Deeper Shit zum Interpretieren. Die Wahrheit dahinter ist diejenige, welche der Empfänger für sich herausnimmt.
Cyrill Oberholzer: Also was es schlussendlich bedeutet, hängt ganz vom Betrachter ab, wie bei einer Tarot-Karte. Im schweizerischen Kollektivbewusstsein bedeutet es vielleicht «Ärmel hochkrempeln» oder so «aböh, gibt Schlimmeres bzw. gar nicht schlecht.» Aber für mich persönlich ist es eine Definition für die Verneinung von allem, aber gleichzeitig auch das genaue Gegenteil.
Welches war euer bestimmendes Gefühl beim Dreh des Films?
Lara Stoll: Es war wieder ziemlich anstrengend und manchmal auch saudumm. Aber wir haben einen eisernen Willen und immer alles gegeben, um mit den bestehenden Mitteln das Beste rauszuholen. Dieses Mal waren wir über vier Jahre hinweg immer wieder am Drehen, je nachdem, wann die Schauspieler*innen Zeit hatten. Meistens waren da nur Cyrill und ich und Patrick Frey und irgendeine Person, die Ton gemacht hat (manchmal hat aber auch einfach niemand Ton gemacht), die versuchten, eine der unzähligen halsbrecherischen Szenen in den Kasten zu kriegen. Man muss ja schon sagen, dass der Film ein ziemlicher Actionstreifen ist. Patrick hat übrigens alle Stunts selber gemacht, ein Wunder, dass er noch lebt. Wenn ich es auf ein Gefühl festmachen müsste, dann vielleicht «schwindlig».
Cryill Oberholzer: Sammelfieber.