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Du willst nur das Beste? Voilà:
Sie
wollen das menschliche Hirn rekonstruieren. Wie läuft es so?
Christoph Ebell: Ganz gut, eigentlich. Aber ich muss Sie leicht
korrigieren: Wir wollen das Hirn nicht wirklich rekonstruieren. Teil des Projekts ist ein auf
der Biologie fussender Versuch, das menschliche Hirn zu simulieren, um präziser zu sein.
Das
ist ein extrem ehrgeiziges Unterfangen.
Das ist richtig. Deshalb sprechen wir auch noch nicht
davon, dass wir dieses Ziel bald erreichen, sondern dass wir Fortschritte
erzielen. Bei diesem Projekt geht es darum, die Infrastruktur zu errichten, um
dereinst das menschliche Hirn simulieren zu können.
Es
gibt Stimmen, die ihr Projekt mit der Erforschung der Galaxie vergleichen.
Würden Sie dem zustimmen?
Das menschliche Hirn ist tatsächlich das komplexeste
biologische Objekt, das Sie sich vorstellen können. So gesehen ist der
Vergleich richtig.
Wie
wollen Sie Ihr Ziel erreichen?
Wir setzen alle verfügbare IT-Power ein
und verbinden sie mit den neuesten Erkenntnissen der neurologischen
Hirnforschung. Diese beiden Gebiete sind in der Vergangenheit noch nie erfolgreich zusammengeführt worden. Auf anderen Gebieten schon, beispielsweise in der
Genetik und anderen Bereichen der Biologie.
Das
menschliche Hirn wird gelegentlich als der beste Computer bezeichnet. Stimmt auch
dieser Vergleich?
Es gibt sehr viele Möglichkeiten, das Hirn zu
betrachten. Man kann es auch als den am höchsten entwickelten Computer
bezeichnen, aber man muss dabei stets bedenken, dass es sich um eine Metapher
handelt. Wir sollten es vermeiden, absolute Aussagen diesbezüglich zu machen.
Kritiker
Ihres Projektes wiederum sagen, es sei unnütz. Ein Flugzeug müsse auch nicht
mit den Flügeln schlagen, um zu fliegen. Für den Aufbau von künstlicher
Intelligenz sei es daher nicht notwendig, das Hirn zu kopieren. Was entgegnen
Sie ihnen?
Ich lade unsere Kritiker ein, sich unsere bisherigen Ergebnisse
anzuschauen und uns zu helfen, weitere IT-Instrumente zu entwickeln, die wir
brauchen können. Es gibt ja bereits eine
wachsende Gemeinschaft von Neurowissenschaftlern, die uns dabei unterstützen, für sie nutzbare Werkzeuge zu bauen.
Das
werden diese Kritiker kaum tun. Sie halten das gesamte Projekt für sinnlos.
Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene
Meinung.
Angenommen,
Sie erreichen Ihr Ziel und können das menschliche Hirn simulieren. Haben Sie
dann die so genannte Singularity erreicht, die Verschmelzung von menschlicher
und künstlicher Intelligenz – und wollen Sie das überhaupt?
Nein, das ist nicht unser Ziel. Es gibt sehr viele
unterschiedliche Vorstellungen darüber, was Singularity sein soll, und es gibt
kein einzelnes Projekt, das dahin führen könnte. Aber nochmals: Bei uns geht
es nicht um Singularity. Wir haben viel bescheidenere Ziele. Wir wollen
Instrumente für die Forschung schaffen.
Trotzdem
löst die Vorstellung eines künstlichen Hirns, ob simuliert oder rekonstruiert,
bei vielen Menschen Unbehagen oder gar Angst aus. Können Sie das verstehen?
Ja, deshalb wollen wir mit den Menschen in einen
Dialog treten und ihnen erklären, was wir tun. Wer versteht, was wir tun, der wird auch die Angst vor einem eingebildeten Frankenstein-Monster
verlieren.
Es
gibt auch die Angst davor, dass Menschen zunehmend von intelligenten Robotern
ersetzt werden.
Wir wollen die Menschen nicht ersetzen, wir wollen
ihnen helfen und sie unterstützen. Dazu müssen wir zunächst verstehen, wie das Hirn
funktioniert. Darüber wissen wir heute noch wenig. Wenn Sie etwas simulieren
können, dann verstehen Sie es auch, das gilt für eine einfache Maschine genauso
wie das Hirn.
Das
Hirn ist aber eine sehr spezielle Maschine. Es hat ein Bewusstsein. Wird ein
simuliertes Hirn dereinst ebenfalls ein Bewusstsein haben?
Das ist eine geradezu philosophische Frage, über die
sehr viel spekuliert wird. Es gibt dabei unterschiedliche Lager: Für die einen
ist es einfach eine Frage der Kapazität. Wenn es gelingt, die Muster zu erkennen,
mit denen wir denken, und sie zu skalieren, dann wird es tatsächlich auch zu
einem Bewusstsein führen. Die anderen sagen jedoch: Eine Maschine wird niemals
ein Bewusstsein haben, zum Beispiel, weil sich das Bewusstsein ausserhalb des Hirns befindet.
Auf
welcher Seite in dieser Debatte stehen Sie?
Die Frage: «Was macht uns menschlich?», wird noch sehr
schlecht verstanden. Es gibt eine Menge
Theorien darüber, einige überzeugender als andere, aber noch keine Antworten.
Aber ich will nicht verleugnen, dass auch die Neurowissenschaftler an dieser
Frage interessiert sind.
Wir können heute schon mit künstlicher Intelligenz kommunizieren, beispielsweise mit Siri auf dem iPhone. Wie wird diese Entwicklung weitergehen?
Wenn Sie die Nachrichten verfolgt haben, dann haben
Sie soeben erfahren, dass es einem Computer gelungen ist, den Weltmeister im Go, einem sehr komplexen chinesischen Brettspiel, zu bezwingen. Solche Fortschritte wird es weiterhin geben.
Wir sprechen dabei von «deep learning». Das bedeutet: Dank immer besseren
Algorithmen und immer grösseren Datenmengen werden die Maschinen immer
intelligenter. Siri ist ein gutes Beispiel dafür. Das ist aber nicht der Ansatz unseres Projekts.
Wo
stehen wir bei dieser Entwicklung: Erst am Anfang, oder ist der Höhepunkt
bereits überschritten?
Ich denke, wir sind erst am Anfang.
Wenn
es einst gelingen sollte, das Hirn zu simulieren, wie wird das unseren Alltag
verändern?
Sicher wird der medizinische Fortschritt davon
profitieren, aber auch Technologien, die
ähnlich wie das Hirn funktionieren. In der Medizin wird es möglich sein, neue Wege zu finden Krankheiten zu behandeln, die bisher kaum verstanden wurden, Alzheimer beispielsweise,
aber auch Depressionen und andere psychische Erkrankungen.
Was
wird in den Computerwissenschaften geschehen?
Wenn es gelingt, die Muster zu begreifen, mit denen
das menschliche Hirn denkt, dann werden auch viel leistungsfähigere Computer mit
sehr vielen überraschenden Applikationen gebaut werden können.
Bill
Gates sagte einst: Kurzfristig überschätzen wir den technischen Fortschritt,
langfristig unterschätzen wir ihn. Würden Sie dem zustimmen?
Kurzfristig wird es sicher nicht so sein, dass wir
bald lustige Gadgets haben werden, die direkt aus unserer Forschung stammen.
Das wollen wir auch nicht. Unser Ziel besteht vielmehr darin, den Wissenschaftlern aus allen Gebieten, Pharma, IT etc. neue und bessere Forschungsinstrumente zur Verfügung
zu stellen.
Und
wie sieht es langfristig aus?
Wenn wir das menschliche Hirn verstehen, wird das
langfristig der Schlüssel zu einer Reihe von Technologien sein, die den Menschen dienen werden.
(Gestaltung: Anna Rothenfluh)