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Wenn wir Glück haben, behalten uns die Roboter als Haustiere

Roboter: Gefahr oder Glück für die Menschheit?
Roboter: Gefahr oder Glück für die Menschheit?
bild: tumblr/mvaljean525

Wenn wir Glück haben, behalten uns die Roboter als Haustiere

Selbstlenkende Autos, Siri, simultane Übersetzung: Die künstliche Intelligenz ist gewaltig im Vormarsch und im Begriff, unsere Gesellschaft umzukrempeln. Aber wie lernen Maschinen überhaupt? Und was bedeutet das für uns Menschen?
21.02.2016, 15:1622.02.2016, 10:15
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Bis vor kurzem hat künstliche Intelligenz (AI von artificial intelligence) höchstens ein paar Techno-Geeks interessiert. Heute sorgt sie täglich für Schlagzeilen in den Medien, für eine Flut von Studien und steht im Mittelpunkt von Kongressen wie dem WEF in Davos. Unternehmen wie Google, Facebook, Apple, aber auch Toyota investieren jährlich Milliarden in die AI-Forschung und entwickeln Geräte, die weit über selbstlenkende Autos hinausgehen. Google baut im Auftrag der US-Armee Robotersoldaten, Facebook will uns mit Hilfe von Algorithmen in die virtuelle Realität entführen, Apple hat mit Siri eine immer tüchtiger werdende Assistentin für unseren Alltag ins iPhone gepflanzt und Toyota entwickelt Roboter für den Haushalt und die Alterspflege.

Sie erobern unsere Welt: Roboter.
Sie erobern unsere Welt: Roboter.
bild: tumblr/sciencefictionworld

Niemand zweifelt mehr daran, dass AI kommen wird. Diskutiert wird einzig noch über das Ausmass und die Folgen für unsere Gesellschaft. «Wir bewegen uns auf eine Zeit zu, in der Roboter fast alles besser können als Menschen», sagt Moshe Vardi, Computerprofessor an der Rice University in Texas in der «Financial Times». Bart Selman, Professor für Computerwissenschaften an der Cornell University, ergänzt:

«AI bewegt sich rasch vom Gebiet der akademischen Forschung in die reale Welt. Computer beginnen wie Menschen zu hören und zu sehen. Systeme können sich selbstständig starten und sich autonom unter Menschen bewegen.»
Bart Selman

AI ist allerdings nicht gleich AI, es gibt auch die umgekehrte Buchstabenfolge IA. Darunter versteht man «Intelligence Augmentation», auf deutsch: Intelligenzerweiterung. Bei der IA geht es darum, den Menschen mit künstlicher Intelligenz stärker zu machen. Um es an einem konkreten Beispiel zu erläutern: Das Google-Auto ist AI, weil es den menschlichen Fahrer ersetzt. Siri ist IA, weil es den Menschen ergänzt, ihm hilft, sich besser zurecht zu finden.

AI und IA ist mehr als ein Wortspiel. Die beiden Lager stehen sich misstrauisch, wenn nicht gar feindlich gegenüber. Es ist ein bisschen wie mit Katholiken und Protestanten in der christlichen Kirche. Die Rivalität zwischen den AI/IA-Lagern hat die Forschung stark vorangetrieben. So stellt John Markoff in seinem Buch «Machines of Loving Grace» fest: «Im letzten halben Jahrhundert waren die Spannungen zwischen AI und IA das Herz des Fortschrittes in der Computerwissenschaft.»

Dieser Fortschritt hat inzwischen ein Ausmass erreicht, das ernstzunehmende Kritiker auf den Plan ruft. Der Astrophysiker Stephen Hawking und der IT-Unternehmerstar Elon Musk (Tesla, SpaceX) haben unabhängig voneinander gewarnt, dass intelligente Roboter zu einer Gefahr für die Menschheit werden könnten. Der kürzlich verstorbene Pionier Marvin Minsky sieht es lockerer. Gefragt, was intelligente Maschinen für uns Menschen bedeuten werden, gab er zur Antwort: «Wenn wir Glück haben, werden sie uns vielleicht als Haustiere behalten.»

Auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz gibt es nicht nur die beiden Lager AI und IA, es gibt auch verschiedene Methoden, sie zu entwickeln. Die eine besteht darin zu erforschen, wie der nach wie vor leistungsfähigste Computer funktioniert: das menschliche Gehirn. Der ehrgeizigste Versuch ist dabei das von Henry Makram an der ETH Lausanne geleitete Human Brain Project, das von der EU mit mehr als einer Milliarde Euro unterstützt wird und zum Ziel hat, in rund zehn Jahren das menschliche Gehirn künstlich nachbauen zu können.

Ob dieses ehrgeizige Ziel je erreicht wird, ist umstritten. Selbst wenn es gelingen sollte, hat das künstliche Gehirn jedoch einen entscheidenden Nachteil: den Energieverbrauch. So konnte der von IBM entwickelte Computer «watson» zwar das Ratespiel Jeopardy gewinnen, doch wie Pedro Domingos in seinem Buch «The Master Algorithm» feststellt, «braucht dein Gehirn bloss die Strommenge einer schwachen Glühlampe, während man mit der von ‹watson› benötigte Energiemenge einen ganzen Büroturm erleuchten könnte».

Das menschliche Gehirn hat bisher noch den Vorteil, dass es nicht so viel Energie braucht wie sein künstliches Pendant.
Das menschliche Gehirn hat bisher noch den Vorteil, dass es nicht so viel Energie braucht wie sein künstliches Pendant.
bild: shutterstock

«Flugzeuge müssen nicht mit den Flügeln schlagen, um fliegen zu können», spotten die Kritiker des Gehirn-Nachbauer-Ansatzes. Es gibt dabei verschiedene Alternativen, Domingos zählt in seinem Buch insgesamt fünf auf. Die Symbolisten beispielsweise wollen die künstliche Intelligenz streng logisch herleiten, während die Bayesianer – so genannt nach dem schottischen Geistlichen Thomas Bayes, der ein wichtiges Gesetz der Statistik formuliert hat – die Wahrscheinlichkeiten gewichten und so die Relevanz von Informationen bestimmen. Die Google-Suchmaschine beispielsweise funktioniert nach diesem Prinzip. Auf die restlichen Ansätze einzutreten, würde an dieser Stelle zu weit führen.

Keiner dieser Ansätze kann für sich alleine das höchste Ziel der AI erreichen, den Master-Algorithmus. Diesen definiert Domingos wie folgt:

«Alles Wissen – vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges – können aus den vorhandenen Daten von einem einzigen, universal lernenden Algorithmus abgeleitet werden.»
Pedro Domingos

Um einen solchen Master-Algorithmus konstruieren zu können, müssen die verschiedenen Ansätze unter einen Hut gebracht werden. Gemäss Domingos ist dies machbar, aber ist es auch wünschbar?

Die Vorstellung eines Master-Algorithmus weckt ungute Gefühle. Erinnerungen an Big Brother und den totalen Überwachungsstaat werden wach. Die Gefahr eines Techno-Faschismus ist real, und eines der wichtigsten Probleme dieses Jahrhunderts wird sein, wer über welche Daten verfügen darf. Doch die Vorstellung eines allmächtigen Algorithmus ist unbegründet: Intelligenz, auch künstliche, kann nicht unbegrenzt wachsen.

Das viel zitierte Moore’sche Gesetz, wonach sich die Anzahl der Transistoren auf einem Chip alle zwei Jahre verdoppelt, befindet sich in der Endphase. Die rasante Entwicklung der letzten Jahrzehnte wird nicht unendlich so weitergehen; und die Vorstellungen von einer Singularity – das Verschmelzen von künstlicher und menschlicher Intelligenz – und der Traum vom ewigen Leben wird genau das bleiben: ein Traum.  

Pedro Domingos stellt nüchtern fest: «Die Menschen machen sich Sorgen, dass die Computer zu intelligent werden und die Herrschaft über die Welt übernehmen werden.» Und weiter: 

«Das wahre Problem besteht darin, dass die Computer zu dumm sind und die Welt bereits übernommen haben.»
Pedro Domingos

Auch wenn es den gottähnlichen Roboter wahrscheinlich nie geben wird, der Fortschritt der AI wird vorerst weitergehen und unser Leben immer stärker beeinflussen. Autonome Maschinen sind kein Witz mehr, selbst wenn der Mitentwickler des Google-Autos Brad Templeton spottet: «Ein Roboter wird dann wirklich autonom sein, wenn er, wenn man ihm befiehlt, zur Arbeit zu gehen, sich stattdessen am Strand an die Sonne legt.»  

Die technischen Voraussetzungen für autonome Maschinen bestehen bereits. Was hingegen fehlt, sind soziale Regeln und Institutionen, die dafür sorgen, dass wir auch vernünftig damit umgehen. Wenn dieser Fortschritt ohne soziale Abfederung weitergeht, dann droht uns tatsächlich eine dystopische Gesellschaft, wie sie Hollywood bereits jetzt in Filmen wie «The Hunger Games», «Elysion» oder «Terminator» vorwegnimmt: Ein Techno-Faschismus mit einer extrem reichen Oligarchie, einem verelendeten Mittelstand und einer zerstörten Umwelt.

Die extrem reichen Einwohner des Kapitols, der Hauptstadt Panems in «The Hunger Games».
Die extrem reichen Einwohner des Kapitols, der Hauptstadt Panems in «The Hunger Games».
bild: thehungergames.wikia

Selbst wenn wir diesen Albtraum verhindern können, müssen wir uns einer Vielzahl von Problemen stellen. Wenn Siri und andere Assistenten immer effizienter werden, werden wir dann nicht von ihnen auch abhängig? Machen uns – wie die bekannte Psychologin Sherry Turkle befürchtet – Smartphones und andere Gadgets zu emotionalen Krüppeln? Wollen wir eine Gesellschaft, in der ältere Menschen in Altersheime abgeschoben und dort von Robotern gepflegt und von intelligenten Spielzeug-Robben getröstet werden?

Die grösste Herausforderung wird wohl die Neugestaltung der Arbeitswelt werden. Selbst wenn heute die Erwerbstätigkeit noch zunimmt, dann tut sie dies nur deshalb, weil wir in einer älter werdenden Gesellschaft immer mehr Pflegepersonal benötigen, das wir zum grössten Teil aus dem Ausland rekrutieren. In der übrigen Wirtschaft jedoch nimmt der Anteil der menschlichen Arbeit ab, auch in den Bereichen mit hoher Wertschöpfung. Das hat nicht nur mit starken Währungen zu tun, sondern mit einer rasanten Ausbreitung der AI. In Holland beispielsweise werden bereits heute die Rasierapparate von Philips praktisch vollständig von autonomen Maschinen produziert.

«Das Paradox besteht darin, dass die gleichen Technologien, welche die intellektuelle Kapazität erweitern, sie auch ersetzen können.»
John Markoff

Dieses Paradox aufzulösen, wird die grosse Aufgabe der Zukunft sein. Wir müssen uns entscheiden, ob wir zusammen mit autonomen Maschinen eine Gesellschaft aufbauen, die uns viel mehr Möglichkeiten und Freiheiten bieten wird, oder ob wir in den Albtraum des Techno-Faschismus abgleiten wollen.

Das hat schon einer der Urväter der AI, der Kybernetiker Norbert Wiener erkannt. Bereits in den 1950er Jahren prophezeite er: «Wir können bescheiden bleiben und dank der Unterstützung der Maschinen ein gutes Leben führen. Oder wir können arrogant sein – und sterben.»

(Gestaltung: Anna Rothenfluh)

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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kaspar Floigen
21.02.2016 16:42registriert Mai 2015
Wenn niemand mehr arbeiten muss, damit alle Bedürfnisse der Gesellschaft gedeckt sind, dann gibt es keinen Grund mehr, dass nicht jeder ein (sehr respektables) bedingungsloses Grundeinkommen erhält. Wäre irgendwie ironisch, wenn künstliche Intelligenz echten Sozialismus endlich machbar machen würde.
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Nameless Hero
21.02.2016 15:58registriert November 2015
Psssst, watson. Das im Titelbild ist ein Big Daddy, kein Roboter ;-)
Ansonsten, sehr gelungener Artikel!
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Kibar Feyzo
21.02.2016 17:10registriert Februar 2016
«Das wahre Problem besteht darin, dass die Computer zu dumm sind und die Welt bereits übernommen haben.»

Ein heftiger Sonnensturm würde schon genügen und die dummen Computer leiten unser Ende ein.
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