Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von Lisa Mazzones Abwahl hörten?
ALINE TREDE: Das gab mir einen Schlag in die Magengrube. Ich dachte: Das darf nicht wahr sein. Was mich am meisten stresste: Es wurde eine junge, grüne, etablierte Frau abgewählt. Als junge, grüne Frauen müssen wir viel besser sein als andere, um gewählt zu werden.
Was bedeutet Mazzones Abwahl für die Grünen?
Lisa war für die Grünen wichtig. Sie war unsere Wahlkampfleiterin. Vor allem hat sie nichts falsch gemacht. Sie führte einen hervorragenden Wahlkampf, war nahe bei den Leuten, immer draussen, strategisch top. Trotzdem reichte es nicht. Das tut mir auch persönlich sehr weh, weil wir einen langen gemeinsamen Weg haben fürs Klima, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Gleichstellung, den Kampf für die Grundrechte.
SP-Ständerat Carlo Sommaruga ist innenpolitisch umstritten wegen seiner Nähe zur Hamas. Hat ihm das in Genf geholfen?
Es hat ihm zumindest nicht geschadet. Wir Grünen bezeichneten den Angriff der Hamas als terroristischen Akt und wir unterstützten in der sicherheitspolitischen Kommission einstimmig den Antrag, die Hamas auf die Terrorliste zu setzen.
Mazzone fehlten gegenüber Sommaruga 1123 Stimmen. Fehlten ihr auch SP-Stimmen?
Konservative bürgerliche Männer dürften generell auf die älteren Herren Mauro Poggia und Carlo Sommaruga gesetzt haben. In Genf haben SP und Grüne den ganzen Wahlkampf gemeinsam und gut gemacht. Das war nicht überall so.
Bei der Ständeratswahl im Kanton Bern gab es Misstöne.
Wir wollten in Bern, dass Grüne und SP den Ständeratswahlkampf gemeinsam führen für Bernhard Pulver und Flavia Wasserfallen.
Das war nicht möglich?
Die SP wollte dies nicht im gleichen Masse wie die Jahre davor. Bernhard Pulver sagte an der Berner Delegiertenversammlung sehr klar, dass das schade war.
Es gibt offenbar immer wieder Spannungen zwischen Grünen und SP, wenn es um Konkurrenzsituationen geht.
Das ist einerseits normal. Wir sind zwei verschiedene Parteien. Wir Grünen haben eine andere Geschichte, haben andere Leute, eine andere Seele, einen anderen Charakter als die SP. Am deutlichsten zeigt sich das in den Machtdiskussionen. Und unsere Leute sind in Bern, weil sie etwas verändern wollen, vor allem für unseren Planeten. Niemand ist hier nur der Macht wegen. Das ist anders als in anderen Fraktionen.
Sind die Grünen zu nett?
Vielleicht schon.
Die SP weiss halt, wie man Macht gewinnt.
Ja, die Sozialdemokraten wissen genau, was ihnen nützt. Darin sind sie strategisch gut. Die Umweltverbände sind dafür ein Beispiel: Wir verloren in den letzten zehn Jahren sämtliche Präsidien – beim VCS, bei Pro Velo, bei der Schweizerischen Energiestiftung SES – an die SP. Solche Präsidien helfen einer Partei.
Verschafft sich die SP damit Bewegungscharakter?
Das weiss ich nicht. Die Bewegung sind wir. Im Parlament arbeiten wir an Kompromissen, in den Kantonen sind wir regierungsfähig. Das ist der Spagat, den wir bewältigen müssen. Er ist aber sehr wichtig für uns.
Bei den Bundesratswahlen ist offen, ob die SP die grüne Kandidatur von Gerhard Andrey unterstützt.
Die SP sagte immer, man müsse die absolute Mehrheit von SVP und FDP im Bundesrat knacken. Und sie ging auch immer davon aus, dass wir sie nicht angreifen. Das tun wir auch nicht. Zudem bieten wir Hand, die Vierermehrheit im Bundesrat zu kippen. Die SP entscheidet an ihrer nächsten Fraktionssitzung, ob sie uns unterstützt. Ich gehe schon davon aus.
Und wenn nicht?
Unterstützt sie uns nicht, ist das extrem schwierig – für unsere gemeinsamen Inhalte und für die ganze politische Landschaft nach dem Rechtsrutsch.
Die Grünen erlitten am Wochenende eine schwere Niederlage und verloren die Ständeratssitze in den Kantonen Genf und Waadt. Ist es noch richtig, den Bundesratssitz der FDP anzugreifen?
Wir entschieden diese Kandidatur im Wissen, dass wir 2023 unser zweitbestes Resultat in der Geschichte erreichten, sowohl in Wählerprozenten wie in Parlamentssitzen. Zudem ist klar, dass die FDP im historischen Tief ist. Und im Bundesrat hat niemand das prioritäre Ziel, für das Klima zu sorgen. Wir werden nun alles geben, dass wir im Kanton Tessin mit Greta Gysin noch einen Ständeratssitz gewinnen.
Es ist zu hören, dass Sie und Präsident Balthasar Glättli nicht wollten, dass die Grünen zur Bundesratswahl antreten.
Das stimmt nicht.
Zumindest Sie waren sehr zurückhaltend.
Es spielt keine Rolle. In unserer Fraktionssitzung gab es eine ausführliche Diskussion und einen klaren Entscheid für eine Kandidatur. Der Kampfeswille der Fraktion ist riesengross. Diese Legislatur ist sehr entscheidend für das Klima und die soziale Gerechtigkeit.
Gab es eine Abstimmung zur Kandidatur?
Ja. Es gab natürlich Abstimmungen zur Frage, ob wir antreten wie auch zur Nominierung von Gerhard Andrey zwei Wochen später. Beide waren sehr klar.
Viele Bürgerliche wie etwa FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen machen sich lustig über die Kandidatur der Grünen.
Sie versuchen unsere Kandidatur lächerlich zu machen, weil sie nervös sind. Die Kandidatur hat einiges ausgelöst. Erstmals diskutiert man über das historisch schlechte Ergebnis der FDP. Mit Gerhard Andrey haben wir eine hervorragende Kandidatur. Zudem finden es auch viele Bürgerliche nicht gut, wie stark die SVP gewonnen hat. Die FDP muss sich gut überlegen, ob sie weiterhin so stark die Wasserträgerin der SVP sein will – um dann von SVP als Mitte-Links abgekanzelt zu werden.
Die #Grünen Träumer sind hilflos und verwelken 🥀 in rasantem Tempo.
— Christian Wasserfallen (@cwasi) October 28, 2023
Glättlis Chaos-Truppe und deren klebenden Sympathisanten brauchen wir nicht im #Bundesrat.https://t.co/ZFvdi73Abc
Sie spielen auf die Medienmitteilung der SVP an nach dem Entscheid des Bundesrats, den Schutzstatus S für Ukrainerinnen zu verlängern?
Genau. Mitte-Präsident Gerhard Pfister reagierte deutlich auf diese Mitteilung der SVP: «Wenn eine rechte Partei eine Mehrheit mit vier von sieben Sitzen für SVP und FDP als Mitte-Links-Mehrheit bezeichnet, ist sie es ihrer Wählerschaft schuldig, am 13. Dezember diese Mehrheit im Bundesrat zu beenden.»
Wenn eine rechte Partei eine Mehrheit mit 4 von 7 Sitzen für @SVPch und @FDP_Liberalen als ‚Mitte-Links-Mehrheit‘ bezeichnet, ist sie es ihrer Wählerschaft schuldig, am 13.12. diese Mehrheit im Bundesrat zu beenden. https://t.co/lBLF8lNRAi
— Gerhard Pfister 🤍💙💛 (@gerhardpfister) November 3, 2023
Die Bürgerlichen stören sich sehr stark an den Klimaklebern – und verbinden diese mit den Grünen.
Weshalb tun sie das? Ich habe null und nichts mit ihnen zu tun. Vor allem die SVP und die FDP schüren diese Verbindung, und die Medien machen das Spiel mit. Wir erreichten inhaltlich viel, das war richtig gut. Leider verkauften wir es zu wenig gut.
Die Grünen geben also weiterhin Vollgas mit der Bundesratskandidatur?
Sicher. Am 29. November gibt es in Bern ein öffentliches Hearing mit Gerhard Andrey. Zudem haben wir alle Fraktionen für Hearings in den Fraktionen angefragt. Sie sollen sich doch den Herausforderer zumindest anhören, das gehört zu unserem demokratischen System. (aargauerzeitung.ch)