Am 29. August 2016 zerschellte eine F/A-18 in den Schweizer Alpen. Ein 27-jähriger Pilot starb. Siebeneinhalb Jahre später stehen ein Fluglotse und ein Militärpilot vor dem Militärgericht. Ein militärischer Staatsanwalt wirft ihnen fahrlässige Tötung vor und fordert bedingte Freiheitsstrafen von neun und zwölf Monaten.
Der Pilot soll zu steil gestartet sein, weshalb der nachfolgende Flugschüler den Radarkontakt zu ihm verlor. Darauf fragte dieser den Fluglotsen um Hilfe, der ihm eine falsche Mindestflughöhe funkte. Darauf krachte der Kampfjet in den Hinter Tierberg im Sustenmassiv.
In hundert Jahren verzeichnete die Luftwaffe 350 Unfalltote. In jüngster Zeit sind Todesfälle aber seltener geworden. Deshalb gilt es aus jedem Unfall etwas zu lernen.
In diesem Fall behauptete der Lotse vor Gericht überraschend, er sei für Kollisionen mit dem Boden gar nicht verantwortlich. Er habe verhindern wollen, dass die Jets kollidierten. Ist diese Argumentation haltbar?
Das Militärgericht verkündet sein Urteil zuerst in Kurzform:
Oberstleutnant Markus Hofer präsidiert das Gericht und begründet das Urteil. Er beurteilt die 6000 Seiten starke Aufarbeitung der Militärjustiz als seriös. Doch das Verfahren habe «lange, sehr lange» gedauert. Das bedeute eine enorme Belastung für die Beschuldigten und die Angehörigen des Opfers. «Es bleibt zu hoffen, dass mit dem heutigen Urteil ein Schlussstrich gesetzt und Frieden gefunden werden kann», sagt er. Eine wichtige Funktion eines Strafprozesses sei der Rechtsfrieden.
Hinter dem Verurteilten sitzen die Eltern und die Freundin des verstorbenen Piloten. Sie war sieben Jahre mit ihm zusammen.
Der Gerichtspräsident lobt den Lotsen dafür, dass er mit einer Beileidsbekundung in seinem Schlusswort zum Rechtsfrieden beigetragen habe. «Das ist Ihnen anzurechnen», sagt der Gerichtsvorsitzende.
Dennoch stehe der Lotse in der Verantwortung. Deshalb sei er schuldig. Er habe in einer Stresssituation einen fehlerhaften Entscheid gefällt, den er noch zu korrigieren versucht, aber es nicht mehr geschafft habe. Es handle sich um den ersten Fehler in einer langen tadellosen Karriere als Lotse von Hunderten Flugzeugen.
Beim Piloten hingegen sieht das Gericht keine Verantwortung. Es sei ein unglücklicher Umstand, dass der Pilot den fehlerhaften Funkspruch nicht gehört und deshalb nicht habe korrigieren können. Der eine Jet sei zu steil, der andere zu flach gestartet. So sei die Radarverbindung verloren gegangen.
Der überlebende Pilot habe das Standardvorgehen beim Start zwar nicht eingehalten. Doch die Abweichungen seien nicht gravierend. Möglicherweise habe er zum Verlust des Radarkontakt beigetragen. Doch den Unfall habe er damit nicht kausal verursacht. Auch eine Vorschriftsverletzung liege nicht vor.
Umstritten ist, ob das Militärgericht für die Beurteilung des Lotsen überhaupt zuständig ist. Das Gericht bejaht dies, da der Skyguide-Lotse für die Schweizer Armee arbeitete. Als Beauftragter der Armee unterstehe er dem Militärstrafgesetz.
Vor dem Start lernten die Piloten die Mindestflughöhen in einem Briefing. Der Verunfallte hätte diese kennen sollen, betont der Richter. Er hätte also wissen müssen, dass er wegen des fehlerhaften Funkspruchs in den Berg fliegen würde. Zudem habe auch er zum Verlust der Radarverbindung beigetragen, weil er zu flach gestartet sei. Das Gericht kann allerdings auch technische Probleme des Radars nicht ausschliessen.
Das Gericht kritisiert auch die Schweizer Armee. Damals starteten zwei Jets einer Patrouille jeweils mit einem Abstand von 15 Sekunden. Dabei können die Kampfflugzeuge den vorgeschriebenen Mindestabstand zueinander nicht einhalten. Sie fliegen zu nah hintereinander. Inzwischen hat die Luftwaffe das Startintervall auf 20 Sekunden erhöht.
Die beiden Jets hätten sich nach dem Ausfall der Radarverbindung genähert. Der Lotse habe dies auf seinem Radar gesehen.
Das Gericht rekonstruiert die letzten Sekunden im Leben des 27-jährigen Piloten. Auf die erste Meldung zum Ausfall der Radarverbindung reagierte der Lotse nicht. 23 Sekunden später fragte er nach. 4 Sekunden danach antwortete der später verunfallte Pilot. Dann entschied der Lotse, die Jets zu trennen und wies ihnen unterschiedliche Mindestflughöhen nach. Dabei äusserte er den fatalen Funkspruch.
Bereits 5 Sekunden später übergab der Lotse an die Einsatzzentrale in Dübendorf. Beide Piloten schalten die Funkfrequenz umgehend um, wodurch sie aus Meiringen nicht mehr erreichbar waren.
Danach telefonierte der Lotse nach Dübendorf und meldete seinen Fehler. «Das war eine blöde Idee», sagte er zur angegebenen Flughöhe. In den letzten 23 Sekunden gelang es der Zentrale nicht mehr den Kampfjet zu erreichen. 59 nach der Anweisung der falschen Mindestflughöhe krachte dieser in die Felswand.
Das Warnsystem des Jets möglicherweise drei Sekunden vor dem Aufprall davor gewarnt. Sie sind absichtlich knapp eingestellt, sonst wären Warnungen im Luftkampf zu häufig und würden deshalb von den Piloten nicht mehr ernst genommen. Der Verunfallte hatte keine Chance, zu reagieren.
Das Gericht macht den Lotsen für den Tod des Piloten verantwortlich. Andere Leute wie Wanderer oder Gäste einer Berghütte seien aber nicht in Gefahr gewesen. Deshalb spricht das Gericht den Lotsen in einem Nebenpunkt frei: vom Vorwurf der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs.
In der ersten Einvernahme sagte der Lotse, er habe die korrekte Flughöhe gedacht, aber die falsche ausgesprochen. Weil er zu schnell nach Dübendorf übergab, konnte er nicht mehr eingreifen. Gemäss einer Zeugin sagte er «Shit, das geht ja gar nicht». Im Kontakt mit Dübendorf meldete er aber zuerst den Verlust der Radarverbindung und nicht die falsche Mindestflughöhe. Darauf stützt sich das Gericht.
Die Behauptung des Lotsen vor Gericht, er habe bewusst die zu tiefe Flughöhe angegeben, beurteilt das Gericht als «Schutzbehauptung» und als «nachgeschoben». Es könnte auch nicht von einem erlaubten Risiko die Rede sein, das der Pilot tragen müsse.
Das rechtliche Verschulden des Lotsen stuft das Gericht allerdings als leicht ein. Deshalb spricht es eine Geldstrafe am unteren Rand. Er habe zwar den Tod verursacht, aber nur fahrlässig gehandelt. Der Lotse sei unter grossem Druck und Stress gestanden. Gleichzeitig habe er andere Flugzeuge leiten müssen und in Sekundenbruchteilen entscheiden müssen. Mehrere Umstände verketteten sich.
Dabei hat der Lotse gemäss dem Gericht «unbewusst fahrlässig» gehandelt, weil er in diesem Moment den Fehler noch nicht realisiert habe. Bewusst fahrlässig handle zum Beispiel ein Autofahrer, der in einer Kurve überholt.
Die Parteien haben jetzt fünf Tage Zeit, um Appellation anzumelden. Auditor Daniel Aepli, der militärische Staatsanwalt, weiss noch nicht, ob er dies tun wird. Er äussert sich «zufrieden» zum Urteil. «Es ist wichtig, dass die Hinterbliebenen jetzt damit abschliessen können», sagt er. Der Vater des verunfallten Piloten erzählte vor Gericht, er fühle sich seit dem Unfall wie gelähmt. Das Urteil helfe beim Verarbeiten, hofft Aepli. Er reicht der Mutter des Verstorbenen die Hand.
Doch die Mutter sagt auf Anfrage, die Rede vom Rechtsfrieden töne zwar nett. «Aber abschliessen kann ich nie.»
Die Vertreter von Skyguide stellen sich weiterhin hinter ihren Mitarbeiter. «Wir vertrauen in seine Fähigkeiten», sagt Sicherheitschef Olivier Perrin.
Der Verteidiger des Lotsen, Philipp Studer, sagt, sein Klient habe sehr harte sieben Jahre hinter sich. Jeden Tag denke er an den Unfall. «Jetzt geht es ihm nicht gut», sagt er. Dennoch bezeichnet der Anwalt die Strafe als mild. Er weiss noch nicht, ob er das Urteil anfechten wird.
Der Beruf "Fluglotse" hat gerade enorm an Attraktivität eingebüsst. Wo sonst muss man bei einer Fahrlässigkeit vor Gericht?