Der Arzt Pierre Beck verhalf 2017 einer 89-jährigen zum Suizid, indem er ihr das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital verschrieb. Die Frau war gesund und zurechnungsfähig. Nach langem Hin und Her hat das Bundesgericht Beck nun vom Vorwurf, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen zu haben, freigesprochen. Was bedeutet dieses Urteil aus Ihrer Sicht?
Christoph Rehmann-Sutter: Der Fall zeigt, dass in der Schweiz viele Fragen in Bezug auf die Beihilfe zu Suizid noch immer nicht geklärt sind. Zum Beispiel, wie in gewissen Fällen strafrechtlich damit umgegangen werden soll. Es ist bezeichnend, dass es bei diesem Prozess nur darum ging, ob Beck gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen hat, und nicht darum, ob er sich der Tötung schuldig gemacht hat.
Ja, warum war das nicht die zentrale Frage?
Weil unser Strafrecht festhält: Die Beihilfe zum Suizid ist erlaubt, sofern man mit dieser Hilfe keine selbstsüchtigen Motive verfolgt, also beispielsweise Profit sucht. Bei Pierre Beck war klar, dass er altruistisch handelte. Die 89-Jährige hatte ihm glaubhaft dargelegt, dass sie sich gewaltsam umbringen werde, wenn ihr schwerkranker Mann mit Exit aus dem Leben tritt. Um ihr einen möglicherweise qualvollen Tod oder auch einen gescheiterten Suizidversuch zu ersparen, verschrieb ihr der Arzt das Betäubungsmittel.
Er handelte also gesetzeskonform.
Genau.
Warum beschäftigte sich das Gericht trotzdem so lange mit der Frage nach der Verletzung des Betäubungsmittelgesetzes?
Ich vermute, die Klage entstand aus Unsicherheit. Die Frau war gemäss den Berichten ja völlig gesund und zurechnungsfähig. Für viele Menschen macht das die Beihilfe zum Suizid ethisch fragwürdig. Bei einer Person, die schwer krank ist und für die weiterzuleben viel Leid bedeuten würde, ist die Hilfe zum Suizid moralisch leichter zu rechtfertigen. Unser Strafgesetz erlaubt die Suizidhilfe allerdings in beiden Fällen. Für die Richterinnen und Richter taten sich darum möglicherweise einige ethische Fragen auf. Ich bin dann gespannt, die Begründung des Urteils im Detail zu lesen.
Aber hat man diese Fragen nicht bereits geklärt? Die Akademie der Wissenschaften Schweiz hat beispielsweise Richtlinien zur Sterbehilfe festgehalten. Etwa: Die Urteilsfähigkeit der Person, die sterben möchte, muss abgeklärt werden, bevor man ihr beim Sterben hilft.
Es handelt sich aber nur um Richtlinien, nicht um ein Gesetz. Wenn ein Arzt sich nicht an diese hält, kann man ihn strafrechtlich also nicht belangen. Übrigens hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz 2013 genau deshalb bereits gerügt: Das Schweizer Gesetz würde nicht ausreichend klare Kriterien formulieren, unter welchen Umständen Suizidhilfe rechtmässig ist und unter welchen nicht. Das sehe ich genau so. Darum hoffe ich, dass der aktuelle Fall die politische und gesellschaftliche Diskussion über Sterbehilfe erneut ins Rollen bringt. Unser Sterbehilfe-Gesetzesartikel müsste dringend ergänzt werden.
Warum ist das bis heute nicht passiert?
Das ist eine gute Frage. Ich war von 2001 bis 2009 Präsident der vom Bundesrat damals neu gegründeten Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin. In dieser Position arbeitete ich mit zahlreichen Fachpersonen Ergänzungen zum Artikel 115 des Strafgesetzbuches aus. Der damalige Bundesrat Christoph Blocher lehnte unsere Vorschläge allerdings ab.
Mit welcher Begründung?
Dieselbe, die man aus diesen Kreisen häufig hört: Der Staat solle sich aus dieser sehr privaten Sache so weit wie möglich heraushalten. Einige Jahre später wagte die neue Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf einen erneuten Versuch, unser Gesetz im Bereich der Sterbe- und Suizidhilfe anzupassen. Allerdings war ihr Vorschlag so eng gefasst, sodass er im Parlament rasch Schiffbruch erlitt. Weitere Versuche, in Kantonen via Initiativen die Sterbehilfe stärker zu regulieren, scheiterten am Volkswillen.
Woran liegt das? Hat die Sterbehilfe bei Schweizerinnen und Schweizern einen so hohen Stellenwert?
Dass ein Mensch ein Recht darauf hat, selbstbestimmt und in Würde sterben zu dürfen, ist definitiv tief in der Schweizer Seele verankert. Unser Land entkriminalisierte den Suizid, weil die Gesellschaft zur Einsicht kam, dass Personen, die sich umbringen wollen, nicht eine Strafe, sondern Hilfe brauchen. Man muss für sie sorgen. Von dieser Erkenntnis aus war es ein logischer Schritt, die Hilfe zum Suizid ebenfalls zu entkriminalisieren. Einzig mit dem Zusatz: Man darf dabei keine eigenen Interessen verfolgen. Ein Grund, warum uns die Möglichkeiten der Sterbehilfe wichtig sind, ist der, dass das Sterben uns alle betrifft. Wir hoffen auf einen Tod, der nicht qualvoll ist und einen guten Abschied erlaubt.
Und wann und wie fühlt es sich für die meisten richtig an?
Das muss jeder Mensch selbst sagen. Ich kann nur von mir selbst ausgehen: Ich möchte eines Tages ohne viel Leid empfinden zu müssen – und dazu gehört beispielsweise auch keinen Sinn mehr im Leben zu sehen – gehen können. Am liebsten möchte ich möglichst schmerzfrei, würdevoll und zu einem Zeitpunkt sterben, in dem ich mit meinem Leben abgeschlossen habe und keine grossen Konflikte mit Menschen, die mir nahestehen, offen habe.
Können Sie sich vorstellen, dafür eines Tages eine Dienstleistung wie Exit zu nutzen?
Ja. Ich bin froh, dass wir Angebote wie Exit haben. Doch das Recht auf Hilfe zum Suizid zu haben ist nur das eine. Es muss auch noch Menschen geben, die diese Hilfe leisten können und wissen, worauf es dabei ankommt, dass es gelingt und mit dem Umfeld abgestimmt ist.
Für mich ist es beruhigend zu wissen, dass wenn ich in ferner Zukunft einfach nicht mehr mag und endlich ewig ruhen möchte, diese Möglichkeit da ist und ich in Frieden und nicht mit seelischer Qual aus dem Leben scheide.
Was massen sich andere an, über mich oder meinen Körper Entscheidungen treffen zu wollen ..
Will ich gehen, will ich gehen!... Ja heist Ja..
🤷