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Arzt hilft gesunder Frau bei Suizid: Warum das rechtlich erlaubt ist

Sterbehilfe - Symbolbild
Der Fall des Arztes Pierre Beck zeigt, dass viele Fragen bezüglich Beihilfe zu Suizid hierzulande noch nicht geklärt sind.Bild: Shutterstock
Interview

«Unser Sterbehilfe-Gesetzesartikel müsste dringend ergänzt werden»

Das Bundesgericht hat am Mittwoch den Arzt Pierre Beck freigesprochen. Er hatte einer gesunden 89-Jährigen ein Medikament verschrieben, das ihr zum Suizid verhalf. Bioethiker Christoph Rehmann-Sutter sagt, warum dieses Urteil sinnbildlich für eine unzureichende Rechtslage in der Schweiz punkto Sterbehilfe steht.
14.03.2024, 19:5815.03.2024, 13:31
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Der Arzt Pierre Beck verhalf 2017 einer 89-jährigen zum Suizid, indem er ihr das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital verschrieb. Die Frau war gesund und zurechnungsfähig. Nach langem Hin und Her hat das Bundesgericht Beck nun vom Vorwurf, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen zu haben, freigesprochen. Was bedeutet dieses Urteil aus Ihrer Sicht?
Christoph Rehmann-Sutter
: Der Fall zeigt, dass in der Schweiz viele Fragen in Bezug auf die Beihilfe zu Suizid noch immer nicht geklärt sind. Zum Beispiel, wie in gewissen Fällen strafrechtlich damit umgegangen werden soll. Es ist bezeichnend, dass es bei diesem Prozess nur darum ging, ob Beck gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen hat, und nicht darum, ob er sich der Tötung schuldig gemacht hat.

Ja, warum war das nicht die zentrale Frage?
Weil unser Strafrecht festhält: Die Beihilfe zum Suizid ist erlaubt, sofern man mit dieser Hilfe keine selbstsüchtigen Motive verfolgt, also beispielsweise Profit sucht. Bei Pierre Beck war klar, dass er altruistisch handelte. Die 89-Jährige hatte ihm glaubhaft dargelegt, dass sie sich gewaltsam umbringen werde, wenn ihr schwerkranker Mann mit Exit aus dem Leben tritt. Um ihr einen möglicherweise qualvollen Tod oder auch einen gescheiterten Suizidversuch zu ersparen, verschrieb ihr der Arzt das Betäubungsmittel.

Er handelte also gesetzeskonform.
Genau.

Das Schlafmittel Pentobarbital wird zuhause von Sterbewilligen eingenommen, aufgenommen bei EXIT Schweiz in Zuerich, am Freitag, 5. Dezember 2008. (KEYSTONE/Alessandro Della Bella)
Pentobarbital ist eigentlich ein Schlafmittel. In hoher Dosis wird das Mittel aber auch für die Sterbehilfe eingesetzt.Bild: KEYSTONE

Warum beschäftigte sich das Gericht trotzdem so lange mit der Frage nach der Verletzung des Betäubungsmittelgesetzes?
Ich vermute, die Klage entstand aus Unsicherheit. Die Frau war gemäss den Berichten ja völlig gesund und zurechnungsfähig. Für viele Menschen macht das die Beihilfe zum Suizid ethisch fragwürdig. Bei einer Person, die schwer krank ist und für die weiterzuleben viel Leid bedeuten würde, ist die Hilfe zum Suizid moralisch leichter zu rechtfertigen. Unser Strafgesetz erlaubt die Suizidhilfe allerdings in beiden Fällen. Für die Richterinnen und Richter taten sich darum möglicherweise einige ethische Fragen auf. Ich bin dann gespannt, die Begründung des Urteils im Detail zu lesen.

Zur Person
Christoph Rehmann-Sutter ist Philosoph und Biologe, spezialisiert auf Fragen der Bioethik. Seit 2009 lehrt er an der Universität zu Lübeck in Deutschland Theorie und Ethik am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung. Davor war er im Auftrag des Bundesrats acht Jahre lang Präsident der nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin. 2006 gab er das Buch «Beihilfe zum Suizid in der Schweiz» heraus, in dem er sich sowohl ethischen als auch medizinischen und rechtlichen Fragen in Bezug auf die Sterbehilfe widmete.

Aber hat man diese Fragen nicht bereits geklärt? Die Akademie der Wissenschaften Schweiz hat beispielsweise Richtlinien zur Sterbehilfe festgehalten. Etwa: Die Urteilsfähigkeit der Person, die sterben möchte, muss abgeklärt werden, bevor man ihr beim Sterben hilft.
Es handelt sich aber nur um Richtlinien, nicht um ein Gesetz. Wenn ein Arzt sich nicht an diese hält, kann man ihn strafrechtlich also nicht belangen. Übrigens hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz 2013 genau deshalb bereits gerügt: Das Schweizer Gesetz würde nicht ausreichend klare Kriterien formulieren, unter welchen Umständen Suizidhilfe rechtmässig ist und unter welchen nicht. Das sehe ich genau so. Darum hoffe ich, dass der aktuelle Fall die politische und gesellschaftliche Diskussion über Sterbehilfe erneut ins Rollen bringt. Unser Sterbehilfe-Gesetzesartikel müsste dringend ergänzt werden.

Christopf Rehmann-Sutter, Philosoph und Bioethiker.
Christopf Rehmann-Sutter, Philosoph und Bioethiker.Bild: zcg

Warum ist das bis heute nicht passiert?
Das ist eine gute Frage. Ich war von 2001 bis 2009 Präsident der vom Bundesrat damals neu gegründeten Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin. In dieser Position arbeitete ich mit zahlreichen Fachpersonen Ergänzungen zum Artikel 115 des Strafgesetzbuches aus. Der damalige Bundesrat Christoph Blocher lehnte unsere Vorschläge allerdings ab.

Mit welcher Begründung?
Dieselbe, die man aus diesen Kreisen häufig hört: Der Staat solle sich aus dieser sehr privaten Sache so weit wie möglich heraushalten. Einige Jahre später wagte die neue Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf einen erneuten Versuch, unser Gesetz im Bereich der Sterbe- und Suizidhilfe anzupassen. Allerdings war ihr Vorschlag so eng gefasst, sodass er im Parlament rasch Schiffbruch erlitt. Weitere Versuche, in Kantonen via Initiativen die Sterbehilfe stärker zu regulieren, scheiterten am Volkswillen.

Woran liegt das? Hat die Sterbehilfe bei Schweizerinnen und Schweizern einen so hohen Stellenwert?
Dass ein Mensch ein Recht darauf hat, selbstbestimmt und in Würde sterben zu dürfen, ist definitiv tief in der Schweizer Seele verankert. Unser Land entkriminalisierte den Suizid, weil die Gesellschaft zur Einsicht kam, dass Personen, die sich umbringen wollen, nicht eine Strafe, sondern Hilfe brauchen. Man muss für sie sorgen. Von dieser Erkenntnis aus war es ein logischer Schritt, die Hilfe zum Suizid ebenfalls zu entkriminalisieren. Einzig mit dem Zusatz: Man darf dabei keine eigenen Interessen verfolgen. Ein Grund, warum uns die Möglichkeiten der Sterbehilfe wichtig sind, ist der, dass das Sterben uns alle betrifft. Wir hoffen auf einen Tod, der nicht qualvoll ist und einen guten Abschied erlaubt.

Und wann und wie fühlt es sich für die meisten richtig an?
Das muss jeder Mensch selbst sagen. Ich kann nur von mir selbst ausgehen: Ich möchte eines Tages ohne viel Leid empfinden zu müssen – und dazu gehört beispielsweise auch keinen Sinn mehr im Leben zu sehen – gehen können. Am liebsten möchte ich möglichst schmerzfrei, würdevoll und zu einem Zeitpunkt sterben, in dem ich mit meinem Leben abgeschlossen habe und keine grossen Konflikte mit Menschen, die mir nahestehen, offen habe.

Können Sie sich vorstellen, dafür eines Tages eine Dienstleistung wie Exit zu nutzen?
Ja. Ich bin froh, dass wir Angebote wie Exit haben. Doch das Recht auf Hilfe zum Suizid zu haben ist nur das eine. Es muss auch noch Menschen geben, die diese Hilfe leisten können und wissen, worauf es dabei ankommt, dass es gelingt und mit dem Umfeld abgestimmt ist.

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48 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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AnonBlue
14.03.2024 20:21registriert Oktober 2023
Legale Sterbehilfe ist eine der grossen Errungenschaften dieses Landes. Auch ich werde sie, wenn das Ende naht, in Anspruch nehmen. Mein Leben, meine Entscheidung.
1159
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P. ajaja
14.03.2024 21:18registriert April 2023
Ich habe Depressionen und es ist nicht unrealistisch, dass ich wegen der Krankheit sterbe und nicht mit. Natürlich, wenn es eine Verschlechterung des geistigen Zustandes ist, ist theoretisch Hilfe zuerst wichtig. Aber das Leben mit einer psychischen Krankheit ist einfach scheisse anstrengend. Trotz Medikamenten und Therapie brauche ich mehr Kraft für den Alltag.

Für mich ist es beruhigend zu wissen, dass wenn ich in ferner Zukunft einfach nicht mehr mag und endlich ewig ruhen möchte, diese Möglichkeit da ist und ich in Frieden und nicht mit seelischer Qual aus dem Leben scheide.
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Blanda
14.03.2024 21:04registriert Mai 2015
Ist wie mit Schwangerschaftsabbruch..

Was massen sich andere an, über mich oder meinen Körper Entscheidungen treffen zu wollen ..

Will ich gehen, will ich gehen!... Ja heist Ja..
🤷
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