Das Verhältnis der Schweiz zur EU ist im Wahlkampf so gut wie inexistent. Zum Leidwesen der SVP, die auf das institutionelle Abkommen setzt und damit ins Leere läuft. Wie aber denkt die Bevölkerung darüber? Antworten liefert das Europabarometer, eine repräsentative Umfrage des GFS Bern im Auftrag der Credit Suisse in Zusammenarbeit mit dem Europa Forum Luzern.
Die Debatte über das Rahmenabkommen, dessen Schicksal nach wie vor in der Schwebe hängt, findet bislang vorwiegend in Politik und Medien statt. Das Europabarometer zeigt erstmals in einer umfassenden Auswertung, wie die Stimmberechtigten dieses Thema beurteilen. Und dass die Befürworter des Abkommens noch einige Überzeugungsarbeit leisten müssen.
Die Akzeptanz der bilateralen Verträge ist weiterhin hoch. 73 Prozent der Befragten bewerten sie als sehr oder eher wichtig für die Schweiz. Vor einem Jahr aber vertraten noch 82 Prozent diese Ansicht. Zugenommen hat vor allem die Zahl der Unentschlossenen – womöglich eine Folge der kontroversen und überwiegend negativ konnotierten Diskussion über das Rahmenabkommen.
Wenig überraschend sind die Meinungen deshalb bei der Frage geteilt, ob die bilaterale Verträge weiterentwickelt werden sollen. Nur eine knappe Mehrheit von 52 Prozent will sie effektiv vorantreiben. Von diesen votiert eine klare Mehrheit für das vorliegende Rahmenabkommen. Immerhin 24 Prozent aller Befragten sprechen sich für den Status Quo aus, und 15 Prozent wollen die Zusammenarbeit mit der EU reduzieren, mit dem Risiko einer Erosion der Bilateralen.
Bei den kontroversen Punkten des Rahmenabkommens erinnern sich die Befragten vor allem an den Lohnschutz. 23 Prozent nannten ihn im Europabarometer. Die dynamische Rechtsübernahme und die «fremden Richter» wurden nur von elf Prozent erwähnt. Im Klartext bedeutet dies, dass die Gewerkschaften in der Debatte die Lufthoheit gegenüber der SVP erobert haben.
Die Bereitschaft zu Zugeständnissen bei den drei Punkten Unionsbürgerrichtlinie, Lohnschutz und Rechtsübernahme ist gering. Dies sei «vor dem Hintergrund eines verbreiteten Wunsches nach einem offensiven Verhalten in der Aussenpolitik erklärbar», schreiben die Verfasser des Barometers. Die Forderung, die Schweiz müsse gegenüber Brüssel selbstbewusst auftreten, findet offenkundig Gehör.
Der Anteil der Befragten, die sich keine klare Meinung gebildet haben, ist allerdings relativ hoch. Und beim Lohnschutz sind immerhin 31 Prozent zu einem gewissen Entgegenkommen bereit (50 Prozent sind dagegen). Selbst bei den SP-Wählerinnen und -Wählern ist ein gleich hoher Anteil dafür, und sogar 33 Prozent der SVP-Wählerschaft befürwortet Zugeständnisse in diesem Bereich.
Die Schweiz liegt geografisch in der Mitte Europas, doch mental fühlt man sich mit dem Kontinent und vor allem der Europäischen Union nur bedingt verbunden. Zwar wünscht sich eine klare Mehrheit der Befragten stabile Beziehungen zur EU, aber nur etwas mehr als ein Viertel beurteilt diese als «sehr wichtig», obwohl die EU mit Abstand der grösste Handelspartner der Schweiz ist.
62 Prozent halten die wirtschaftliche und politische Entwicklung in der EU persönlich für wichtig. Im Vorjahr waren es noch 74 Prozent. Zwei Drittel glauben, die EU sei in den letzten zwölf Monaten geschwächt worden, obwohl die Europawahl im Mai eher ein gegenteiliges Bild ergab. Hier dürfte nach Ansicht der Verfasser die Brexit-Diskussion stark zur Urteilsbildung beigetragen haben.
Angesichts der machtpolitischen Kämpfe im Welthandel finden 49 Prozent der Befragten, die Schweiz solle eine eigenständige Nischenpolitik verfolgen. Nur 34 Prozent wünschen eine stärke Anlehnung an eine geeinte EU-Position (bei den Linken sind es 62 Prozent). Falls sich der Marktzugang zur EU verschlechtern sollte, setzen viele auf einen verstärkten Handel mit China oder den USA.
60 Prozent finden sicher oder eher, dies könne entsprechende Verluste mit der EU ausgleichen. 2018 waren es erst 54 Prozent. Auch dies reflektiert Annahmen, die in Politik und Medien verstärkt auftauchen. Es könnte sich als Illusion entpuppen. Ausgeblendet wird etwa, dass allein das Handelsvolumen mit Baden-Württemberg und Bayern grösser ist als dasjenige mit China.
«Freihandelsabkommen mit Ländern ausserhalb der EU sind zweifelsohne sehr wichtig, doch den Marktzugang zur EU vermögen sie für die Schweizer Wirtschaft nicht zu ersetzen», schreibt Manuel Rybach, Leiter Public Affairs & Policy bei der Credit Suisse, in einer Mitteilung. Oder vereinfacht gesagt: Ein Prozent plus mit China ist nett, ein Prozent minus mit der EU tut weh.
Für die Befürworter des Rahmenabkommens bleibt noch einiges zu tun. Ihnen kommt entgegen, dass die Meinungsbildung zu diesem Thema erst ganz am Anfang steht. Trotz grossem medialem Echo – jede zweite SRF-«Arena» findet gefühlt zur Europapolitik statt – haben nur 60 Prozent der Stimmberechtigten die Verhandlungen mit der EU überhaupt wahrgenommen.
Dies ist in der Tat «als tief einzustufen», wie die Verfasser schreiben. Es liefert auch eine Erklärung dafür, wieso die SVP mit dem Rahmenabkommen nicht punkten kann. Schon bald aber wird das Stimmvolk sich zu den Bilateralen äussern können. Im Mai 2020 dürfte über die Begrenzungsinitiative der SVP abgestimmt werden, die faktisch auf eine Kündigung der Personenfreizügigkeit abzielt.
Das Europabarometer wurde dieses Jahr zum dritten Mal erhoben. Die Ergebnisse sind Teil des Sorgenbarometers der Credit Suisse, das Anfang Dezember erscheinen wird. Befragt wurden 2495 Stimmberechtigte aus der ganzen Schweiz vom 10. Juli bis 5. August.
Nein Herr Blunschi es bedeutet dass eine Schicht die um ihre Löhne bangt sich Sorgen macht und diese wurde von den Gewerkschaften und der SVP angesprochen, weniger von der CVP und FDP.
Diese Schicht ist heterogen und setzt sich in den letzten Jahren aus Vertretern von linkem und rechts zusammen, also von Kreisen die der SP und der SVP nahe stehen.
Die SVP hat die Lohnsituation schon immer auf der Menükarte gehabt.
Das sage ich als Linker, als kein besonderer Freund er SVP.