Seit dem Zweiten Weltkrieg waren noch nie so viele Menschen weltweit auf der Flucht wie heute. Diese bittere Realität stellt auch die Schweiz vor Herausforderungen: Im Jahr 2023 wurden rund 30'000 Asylgesuche eingereicht. Kaum im Amt muss der SP-Bundesrat und Justizminister Beat Jans deshalb das Asylsystem mit verschärften Massnahmen entlasten.
So soll in Zukunft schärfer gegen kriminelle Asylsuchende vorgegangen werden, und die Asylverfahren sollen verkürzt werden, insbesondere für Menschen aus Herkunftsstaaten mit sehr geringer Aussicht auf Asylanerkennung – wie Algerien, Marokko und Tunesien. Um dem Missbrauch der Asylstrukturen entgegenzuwirken, sollen Asylgesuche zudem künftig nur noch unter der Woche eingereicht werden können.
Sandro Brotz und sein Team nahmen sich der heiklen, aber genauso wichtigen Thematik an und bewiesen: Wenn die richtigen Personen miteinander sprechen, ist eine sachliche Diskussion auch über ein hoch emotionalisiertes Thema wie Asylpolitik möglich.
Respektvoll im «Arena»-Studio tauschten sich aus:
Das Thema Asyl wird nicht nur gerne emotionalisiert – oft argumentieren bestimmte Parteien auch mit Unwahrheiten und falschen Zahlen. In weiser Voraussicht wurde deshalb ebenfalls ein Experte ins Studio eingeladen: Claudio Martelli, der stellvertretende Direktor des Staatssekretariats für Migration. Er wurde von Brotz konsultiert, wenn Behauptungen mit zu wenig Substanz – von links oder rechts – aufgestellt wurden.
Die SVP betrachtet die neuen Massnahmen als einen Erfolg ihrer Partei. Man hätte Jans’ Vorgängerin, Elisabeth Baume-Schneider, immer wieder kritisiert, nun sei endlich etwas unternommen worden, erklärte die frisch gewählte SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel.
Franziska Roth liess diese Unterstellungen nicht auf sich sitzen. Der Druck der SVP habe gar nichts mit den neuen Vorschlägen zu tun. Dass Roth lange als Lehrerin gearbeitet hat und nun Heilpädagogin ist, machte sich während der Sendung mehrfach bemerkbar. Sie argumentierte stets ruhig und besonnen.
Sie sagte: «Die SVP hatte in den vergangenen 16 Jahren viermal die Möglichkeit, dieses Department zu übernehmen. Wie Simonetta Sommaruga schön gesagt hat: ‹Es ist spannender für einen Bundesrat, einen Tunnel zu eröffnen, als ein Asylzentrum.›»
Roth steht nicht hinter allen Veränderungen, die Jans anstrebt, aber klar ist: Sie unterstützt ihren Bundesrat und kritisiert ihn – zumindest öffentlich – nicht so scharf wie etwa SP-Präsident Cédric Wermuth oder Juso-Chef Nicola Siegrist. Schliesslich gehöre es zur linken Politik, dass man Probleme anspreche und so Lösungen finde.
Alicia Giraudel von Amnesty International findet die Neuerungen stossend. Sie ist besorgt darüber, ob die Asylsuchenden weiterhin die rechtliche Beratung erhalten, die ihnen zustehe. Sie sagte: «Es sieht aus wie die Anfänge der Aushöhlung des Asylrechts.» Der Ton habe geändert, es sei überraschend von einer linken Partei solche Vorschläge zu hören.
Die FDP-Staatsrätin Isabelle Moret sieht das anders: Für sie sind die neuen Massnahmen bitter nötig – die Schweiz und ganz Europa würden sich in einer Migrationskrise befinden. Sie fordert deshalb eine neue Task-Force.
Doch auch ihr widersprach Roth mit Nachdruck: «Wir haben in der Schweiz keine Migrationskrise. Weltweit ja, mit 110 Millionen Flüchtenden – aber nicht hier in der Schweiz.»
Der neue SVP-Shootingstar Fehr Düsel schaltete sich ein und pflichtete Moret bei. Sie sagte: «Ich höre viele Stimmen aus der Bevölkerung – und das sind nicht nur unsere Wähler – die sagen, dass sie sich nicht mehr sicher fühlen würden.»
Fehr Düsel wirkt zwar charismatisch, aber in der Performance kann sie sich noch verbessern – denn anders als die übrigen Teilnehmerinnen schaute sie auffällig oft auf ihre Notizen und las ab.
Giraudel gefielen die Aussagen von Fehr Düsel überhaupt nicht. Die Schweiz befinde sich weder in einem Asylchaos, noch einer Asylkrise. Man habe schlicht eine Aufnahmekrise. Die Schutzbedürftigkeit der meisten Asylsuchenden sei nach wie vor sehr hoch. Doch die Strukturen seien falsch. Sie fragte rhetorisch: «Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt, wenn wir es nicht schaffen, wer schafft es dann?»
Ein Thema, das am Abend immer wieder angesprochen wurde, ist die Angst der Bevölkerung, denn eine kleine Minderheit der Asylsuchenden ist kriminell. Franziska Roth akzeptiert diese Problematik und will Lösungen finden. Auch Giraudel erkennt diese Herausforderung an. Jedoch gebe es für die Strafverfolgung genügend andere Instrumente. Sie betonte ein weiteres Mal, dass man deshalb das Asylverfahren nicht aushöhlen dürfe.
Fehr Düsel konterte, dass man doch sehe, dass die Kriminalität zunehme. Es sei nicht so, dass alle Asylsuchenden kriminell seien, aber in den vergangenen Monaten hätten sich die Fälle gehäuft.
Sie schaute auf ihre Notizen und zählte einige Beispiele auf. Sie fügte an: «Ich fühle mich als Frau nicht mehr so sicher. Ich bin zwar keine ängstliche Person, aber wenn ich am Abend alleine an einem Bahnhof unterwegs bin oder in der Nähe eines Asylzentrums fühle ich mich wirklich nicht wohl.»
Roth sagte, dass sie hätte wissen sollen, dass von der SVP eine solche Liste kommen würde. «Ich hätte meine Liste mitnehmen sollen. Von Erfahrungen mit Asylbewerberinnen, vorläufig Aufgenommenen und anerkannten Flüchtlingen, die in Pflegeheimen arbeiten und gute Arbeit leisten.»
Am Ende der Sendung sollte jedoch die Stimmung etwas aufgelockert werden – deshalb fasste Patti Basler das Geschehene humoristisch zusammen. Einige ihrer Worte hallen besonders nach. Zu Isabelle Moret, die eine Task-Force für die Herausforderungen im Asylwesen fordert, sagte sie: «Du willst Coronamassnahmen und du würdest das feiern, aber die Asylsuchenden sind Menschen und keine Viren.»
Ich habe bisher von keinem einzigen Vorfall gehört.
Die Asylsuchenden gehören gar zu der kleinen Minderheit von Menschen, die einen grüssen und hintereinander laufen, wenn man ihnen auf dem Gehsteig entgegenkommt, bzw. zu den wenigen, die ich nicht darauf aufmerksam machen muss, dass ich mit dem Rollstuhl etwas mehr Platz benötige. Wenn sie auffallen, dann nur positiv ...