In der Regel gönnen sich neue Mitglieder des Bundesrats eine Schonfrist von 100 Tagen. Justizminister Beat Jans hat schon bei «Streckenhälfte» erste Pflöcke eingeschlagen. Bei seinem Besuch letzte Woche im Bundesasylzentrum in Chiasso stellte er Verschärfungen in Aussicht, die im eigenen Lager für Irritationen und Befremden sorgen.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) kritisierte in einer Mitteilung das Vorgehen des Basler Sozialdemokraten «aufs Schärfste». Sie lehne die geplanten Verschärfungen «kategorisch» ab. «Von linker Politik keine Spur», meinte ein Autor des Portals Infosperber. Während es ausgerechnet vonseiten der SVP wohlwollende Reaktionen gab.
Konkret schlug Jans vor, die 24-Stunden-Verfahren, die in den vergangenen Monaten im Bundesasylzentrum Zürich getestet wurden, bis Ende April 2024 auf die Zentren in Bern, Boudry (NE), Altstätten (SG), Chiasso (TI) und Basel auszuweiten. Asylbewerber mit geringen Chancen auf Anerkennung sollen ihr Gesuch schriftlich begründen müssen.
Gemeint sind Asylsuchende aus den Maghrebstaaten Algerien, Marokko und Tunesien. Sie fallen immer wieder durch kriminelle Handlungen auf, weshalb Jans Massnahmen wie Administrativhaft oder Ausschaffungshaft forcieren will. Der Justizminister will auch verhindern, dass Asylzentren an Wochenenden als «Notschlafstelle» missbraucht werden.
In Zürich sei es in den letzten Monaten vermehrt zu solchen Fällen gekommen, teilte das Staatssekretariat für Migration (SEM) mit. Auch in diesem Fall sollen Asylbewerber aus Nordafrika involviert sein. Ausnahmen sind vorgesehen für vulnerable Personen, doch für die Flüchtlingshilfe ist völlig unklar, wie sie «so schnell zuverlässig erkannt werden sollen».
Beat Jans scheint keine Hemmungen zu haben, sich in den eigenen Reihen unbeliebt zu machen. Eine Erklärung mag seine Herkunft aus dem Grenzkanton Basel-Stadt sein. Auch will er offenbar die Fehler von Parteikollegin Elisabeth Baume-Schneider nicht wiederholen. Sie hatte sich für ihren Besuch im «Asyl-Hotspot» Chiasso bis letzten November Zeit gelassen.
Die Jurassierin war im ungeliebten Justiz- und Polizeidepartement nie wirklich angekommen und wechselte nach nur einem Jahr ins Innendepartement. Beat Jans hat sein Amt zu einem schwierigen Zeitpunkt übernommen. Letztes Jahr wurden in der Schweiz rund 30'000 Asylgesuche registriert, und im Januar gab es wieder eine Zunahme um 23 Prozent.
Europa und die Schweiz stehen unter hohem Migrationsdruck. Die EU hat sich auf eine Verschärfung der Asylpolitik geeinigt, aber die Umsetzung braucht Zeit. Das schränkt den Spielraum des Justizministers ein, und als SP-Mitglied ist Jans eine dankbare Zielscheibe für Rechtsbürgerliche, wie zuvor Simonetta Sommaruga und Baume-Schneider.
«Wir sind uns das gewohnt», meint SP-Co-Präsident Cédric Wermuth, frisch zurück von einer zweimonatigen familiären Auszeit, gegenüber watson: «Wir wissen seit Jahren, dass wir das Migrationsproblem nicht mit innenpolitischer Härte lösen können. Ich bin sicher, dass Beat Jans ehrlich nach Lösungen sucht. Aber die aktuellen Ankündigungen machen mir Sorge.»
Das Recht auf Asyl müsse uneingeschränkt bestehen bleiben, und Menschen auf der Flucht müssten auch am Wochenende ein Dach über dem Kopf haben, fordert der Aargauer. «Da steht Beat Jans gerade als Sozialdemokrat in der Pflicht, dies sicherzustellen. Es braucht endlich mehr menschenwürdige Unterbringungsmöglichkeiten, um den Menschen auf der Flucht in der Schweiz angemessenen Schutz zu bieten.»
Wermuths Statement ist eine klare Ansage an die Adresse «seines» Bundesrats. Deshalb riskiert der Basler, zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Er vergrault die eigenen Leute, ohne bei den Rechten punkten zu können. Für die SVP war die Asylpolitik immer das bevorzugte Terrain, um die fremdenfeindlichen Reflexe ihrer Basis zu bespielen.
Anders als bei Zuwanderung oder Europa riskiert sie keinen Konflikt mit der Wirtschaft. Auch jetzt nimmt sie die Verschärfungen zwar zur Kenntnis. «Unsere Skepsis ist aber weiterhin sehr gross», sagte Fraktionschef Thomas Aeschi der NZZ. Andere bürgerliche Politiker sprechen von Symbolpolitik und halten Jans' Ankündigung für reines Polit-Marketing.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Bundesrat Jans insgeheim hofft, Massnahmen wie die 24-Stunden-Verfahren könnten von der Justiz kassiert werden. Am Dienstag setzte er sich bei seinem «Debüt» als Justizminister im Nationalrat für eine Aufstockung der Richterstellen ein, die am Bundesverwaltungsgericht für die Asylverfahren zuständig sind.
Kurze Verfahren seien im Sinne des Bundes, sagte Jans. Sie bedeuteten weniger Betten und «ganz generell weniger Bundesasylzentren». Womöglich war dies eine Anspielung auf das Zentrum in Boudry am Neuenburgersee, wo sich zuletzt die Klagen aus der Bevölkerung gehäuft haben. In diesem Fall folgte ihm das rotgrüne Lager. Mit Nein stimmte nur die SVP.