Muss man in der Schweiz in Zukunft flächendeckend Gesicht zeigen? Über diese Frage stimmt nicht nur die Schweizer Bevölkerung am 7. März ab, sondern diskutierten auch ausgewählte Gäste in der SRF-«Arena». Es ist bereits die zweite «Burka»-Debatte zu der Moderator Sandro Brotz lud.
Schon Ende Januar diskutierte man im Studio 8 am Leutschenbach über Sinn und Unsinn einer Vollverschleierung. Ganz so emotional wie die erste Runde war die zweite «Arena» nicht. Dennoch blitzte hin und wieder dem ein oder anderen der Zorn in den Augen.
Womit wir beim Stichwort Augen wären: Denn nur diese waren kurzzeitig von Bundesrätin Karin Keller-Sutter zu sehen. Brotz’ Redaktionsteam photoshoppte der Justizministerin nämlich kurzerhand einen Niqab um den Kopf. Dazu fragte Moderator Brotz provokativ, ob es für Keller-Sutter denn erstrebenswert sei, so rumzulaufen. «Das bin ich nicht und das kommt mir fremd vor», kontert diese. Der Bundesrat sei trotzdem gegen die Initiative für ein Verhüllungsverbot, fährt Keller-Sutter fort. 20 bis 30 Frauen in der Schweiz würden einen Niqab tragen. Der Rest seien Touristinnen. «Und es ist nicht die Aufgabe der Schweiz, diese Touristinnen zu befreien.»
Nicht nur die Touristinnen, sondern alle Frauen vom Joch des «mobilen Stoffgefängnisses» befreien, will SVP-Nationalrätin Monika Rüegger. «Eine Burka oder ein Niqab hat überhaupt nichts mit einem Kleidungsstück zu tun. Es ist ein Symbol des radikalen Islams.» Man könne diese Frauen doch nicht einfach mit einem solchen «Güselsack» rumlaufen lassen.
Rückendeckung erhält Rüegger von Parteikollege Walter Wobmann. Geht es nach dem Solothurner Nationalrat muss der Niqab von den Strassen verschwinden und zwar dalli, sonst würden in der Schweiz bald Zustände wie in Frankreich herrschen. «Die grosse Mehrheit der Muslime in der Schweiz ist jetzt noch gemässigt», warnt Wobmann. Wenn man nicht ein Zeichen gegen Niqab und Burka und den politischen Islam setze, dann würde sich das bald ändern, so Wobmann auf das kritische Nachhaken von Moderator Brotz.
Während Rüeggers und Wobmanns Ausführungen entgleisen SP-Nationalrätin Tamara Funiciello beinahe die Gesichtszüge. Dass sich die SVP als edler Ritter für die Frauenrechte gibt, missfällt der Berner Politikerin – und zwar so richtig. «Hässig» mache sie das, zischt sie in Richtung linke Studioecke. «Ich bin eine zielgerichtete Politikerin, ich mache Dinge, die nützen. Diese Initiative nützt rein gar nichts. Ihr büsst die Frauen, die vermeintlich von ihrem Mann gezwungen werden, einen Niqab anzuziehen, und nicht die Männer.»
Ebenfalls nicht ganz von den edlen Absichten der SVP überzeugt ist Moderator Brotz. In einem Eins-zu-eins fühlt er Nationalrätin Rüegger weiter auf den Zahn. So richtig auf seine Fragen eingehen will sie nicht. Plötzlich rücken die Frauenrechte in den Hintergrund: «Es geht bei dieser Initiative um Sicherheit in unserem Land und darum, Chaoten und Hooligans zu erkennen und zu bestrafen.»
Wieso sie denn jetzt mit den Hooligans komme, die SVP-Plakate würden ja primär Niqabs zieren, hakt Brotz nach. Doch Rüegger lächelt Brotz’ Fragen partout weg. Das geht so weit, bis der Moderator händeringend und mit «Stopp»-Rufen die Nationalrätin immer wieder versucht, zu den gefragten Antworten zu bringen – mit bescheidenem Erfolg.
Was Brotz und Rüegger an Ruhe fehlte, machten zwei andere Gäste wett: Emrah Erken, Mitglied des Forums für einen fortschrittlichen Islam und Amir Dziri, Islamwissenschaftler an der Uni Freiburg. Sie waren zwar unterschiedlicher Meinung, überzeugten aber mit sachlichen und unaufgeregten Statements.
Erken ist für das Verhüllungsverbot. «Die Burka-Debatte hat das Verhältnis zwischen Schweizern und Muslimen sehr belastet», so der Rechtsanwalt. Es sei wichtig, Grenzen zu setzen. Auch, weil die Bedeutung der Vollverschleierung in den Augen von Muslimen noch ein viel krasseres Symbol sei. «Die Mehrheit der Muslime lehnt die Burka ab und tut das noch vehementer als die Schweizerinnen und Schweizer.»
Dziri ist anderer Meinung. «Wir importieren ein Problem, dass es in Ländern wie dem Iran oder Saudi-Arabien gibt. In der Schweiz aber nicht.» Hierzulande würden die Handvoll Frauen, die einen Niqab tragen, Untersuchungen zufolge diesen freiwillig anziehen. «Der Impuls kommt von den Frauen selber.» Die Revolte gegen die Gesellschaft spiele dabei eine grosse Rolle. «Ein Ja zur Initiative könnte bedeuten, dass diese Ablehnung noch stärker wird.» Dziri befürchtet auch, dass durch eine Annahme mehr Misstrauen gegenüber der muslimischen Community gesät werden könnte. «Diese hat sich in den letzten Jahren sehr geöffnet. Es wäre schade, würde das Vertrauen kaputt gehen.»
Erken und Dziri sassen zwar nur in der zweiten Reihe, zeigten aber, dass man über das Verhüllungsverbot auch sachlich diskutieren kann. Wessen Argumente das Schweizer Volk nun mehr überzeugen, wird sich in genau neun Tagen zeigen – dann, wenn am 7. März alle Stimmen ausgezählt sind.
Wenigstens war für einen Moment mit KKS fiktiv eine Betroffene anwesend, auch wenn es nur unterstellt wurde.
Über was diskutieren wir hier überhaupt?
Bestellt den Empörten einen Modekatalog, aber lasst jegliche Kleidervorschriften aus der Bundesverfassung raus.
Haben wir denn keine wichtigeren Probleme hier?
Daher wenden wir uns doch wieder der Sach- und Lösungsorientierten Politik zu und lassen diese Hetzer rechts liegen.
Aber sicher nicht um die Frauen.