Vielleicht liegt es an Corona. Die aufgrund der Krise verfügten Veranstaltungsverbote erschweren den Abstimmungskampf, er findet fast nur virtuell statt. Dies erklärt jedoch höchstens ansatzweise, warum zu zwei der drei Vorlagen, über die wir am 7. März abstimmen, eine Kampagne stattfindet, die mit der Realität kaum etwas zu tun hat.
Aber der Reihe nach. Beginnen wir mit dem am wenigsten problematischen Thema:
Die Abstimmung dreht sich um die Frage, ob der elektronische Identitätsnachweis auf einer rein staatlichen Lösung basieren soll, wie es die Gegner verlangen, oder ob sie von Privaten nach staatlichen Vorgaben entwickelt wird. Teilweise wird polemisiert, etwa wenn die Gewerkschaften mit dem Slogan «Schweizer Pass privatisieren?» auftreten.
Ein Reisedokument ist die E-ID nicht, doch derartige Übertreibungen sind Business as usual. Irritierend ist höchstens, wie lahm der Abstimmungskampf verläuft. Er wirkt wie die Bestätigung einer zentralen Erkenntnis aus der Coronakrise: Die vermeintlich innovative Schweiz tut sich schwer mit der Digitalisierung, trotz ihrer grossen Bedeutung.
Viel heftiger wird über die Volksinitiative des Egerkinger Komitees für ein Verhüllungsverbot gestritten. Klare Fronten gibt es nicht: Linke Frauen sind dafür und dagegen, ebenso rechte Männer. Selbst die Initianten aber räumen ein, dass in der Schweiz höchstens ein paar Dutzend verschleierte Frauen leben. Häufig sind es zum Islam konvertierte Schweizerinnen.
Wir stimmen über eine Volksinitiative ab, die nur eine winzige Minderheit im Land betrifft. Und die sich einfach umgehen lässt. Selbst Fussball-Hooligans können sich künftig mit einem medizinischen Mundschutz «tarnen», mit Erlaubnis des Egerkinger Komitees, das Ausnahmen aus Gründen der Gesundheit im Initiativtext ausdrücklich zulässt.
Darüber aber wird trotz Corona kaum geredet. Überhaupt läuft die Debatte über das Burkaverbot – darum geht es letztlich, wie auch die Plakate des Egerkinger Komitees zeigen – an einer zentralen Frage fast völlig vorbei: Warum geht man auf die Frauen los, wo doch der «politische Islam» ein genuin männliches Konstrukt ist?
Im Jahr des Frauenstimmrechts-«Jubiläums» stimmen wir über Vorschriften ab, «die alleine auf Frauen abzielen. Die alleine für Frauen gelten», kritisiert der «Sonntagsblick» als eines von wenigen Medien. Und meint: «Aber der Islam lässt sich mit einem Ja zur Initiative nicht einfach wegstimmen.»
Noch bizarrer verläuft die Debatte über das Freihandelsabkommen mit Indonesien. Es soll der Schweizer Wirtschaft das Geschäft mit dem bevölkerungsmässig viertgrössten Land der Welt erleichtern und Handelshürden abbauen. Der Abstimmungskampf aber dreht sich praktisch nur um ein Produkt: Palmöl. Sein Ruf hat in den letzten Jahren gelitten.
Die Befürworter betonen, dass nur nachhaltig produziertes Palmöl in die Schweiz importiert werden darf. Die Gegner bezweifeln, dass dies möglich ist. Kaum thematisiert wird, um welche Mengen es dabei geht oder besser gesagt nicht geht. Wegen des miesen Images als «Regenwald-Killer» ist die Einfuhr von Palmöl in die Schweiz seit Jahren rückläufig.
Hinzu kommt, dass Indonesien zwar der mit Abstand grösste Produzent der Welt ist, für die Schweiz aber kaum ins Gewicht fällt. Sie bezieht laut der Aussenhandelsstatistik des Bundes nur rund ein Prozent ihrer Importe direkt aus Indonesien. Umgekehrt ist es noch krasser: In die Schweiz gehen gerade einmal 0,0001 Prozent der indonesischen Exporte.
Das sind weniger als zwei Schiffscontainer, was vermutlich erklärt, warum die Schweizer Forderungen in Sachen Nachhaltigkeit erfüllt wurden. Sie spielen für die Produktion vor Ort keine Rolle. Indirekt dürfte mehr Palmöl aus Indonesien eingeführt werden, etwa über die einstige Kolonialmacht Niederlande, doch darum geht es bei diesem Vertrag nicht.
Es liegt auf der Hand: Die Gegner hauen den Sack (also das Palmöl) und meinen eigentlich den Esel, sprich Freihandel und Globalisierung. Das Referendum wurde nicht umsonst vom Verein Uniterre ergriffen, der sich Bauerngewerkschaft nennt, aber eigentlich zurück will zur früheren Planwirtschaft mit staatlich festgesetzten Preisen und Marktabschottung.
Es wäre ehrlicher, dies offen auszusprechen, statt mit emotionalen Orang-Utan-Sujets einen Nebenschauplatz zu bewirtschaften. Wirklich spannend wird es beim ebenfalls angestrebten Freihandelsabkommen mit Malaysia. Von dort stammt der grösste Teil der Palmölimporte. Dann wird sich zeigen, was das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit wert ist.
Man muss es klar aussprechen: Es wird kein Quadratmeter Urwald weniger gerodet, wenn die Schweiz das Abkommen mit Indonesien ablehnt. Und die Islamisten werden sich von einem Ja zum Verhüllungsverbot wenig beeindruckt zeigen. Eher im Gegenteil, wie die Entwicklung in Frankreich seit der Einführung des Burkaverbots vor zehn Jahren zeigt.
Letztlich geht es in beiden Fällen darum, «ein Zeichen zu setzen», also um Symbolpolitik. Unsere direkte Demokratie hält das aus. Wenn es jedoch vermehrt zur Kampagnen kommt, in denen am eigentlichen Thema vorbei debattiert wird und Scheinprobleme hochgekocht werden, haben wir ein Problem. Es nennt sich Politikverdrossenheit.
nicht
Analyse
Bsp. E-ID: Ich bin nicht dagegen, weil ich mich mit der Digitalisierung schwer tue, im Gegenteil. Ich bin dagegen, weil es nur zu 90% funktioniert. Ich habe zwei suisseIDs aber trotz GA keinen SwissPass. Es gibt einfach zu viele Ausnahmen, mit denen solche Systeme nicht klar kommen, und die machen dann 10% der Nutzer das Leben massiv schwerer.