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Hamas-Post an der Uni Bern: Offener Brief aus der Wissenschaft

epa11177927 A man waves a Palestinian flag during a pro-Palestinian rally outside the Central Station in Milan, Italy, 24 February 2024. Thousands of Israelis and Palestinians have been killed since t ...
Ein Hamas-Unterstützer in Mailand, Italien am 24.02.2024Bild: keystone

Offener Brief aus der Wissenschaft gegen das Vorgehen nach den Pro-Hamas-Äusserungen

505 Personen aus Schweizer Universitäten haben einen offenen Brief für Wissenschaftsfreiheit verfasst. Anlass dafür ist der Rauswurf eines Dozenten der Uni Bern, der sich über den Terroranschlag der Hamas gefreut hat.
15.03.2024, 08:0915.03.2024, 09:31
Bruno Knellwolf / ch media
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In einem allgemeinen Wissenschaftsverständnis sieht die Sache klar aus: Am Tag nach der grausamen Hamas-Attacke gegen Israel bezeichnete ein Dozent der Uni Bern diese als «bestes Geschenk». Der Mann arbeitete am Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften. Die Universität entliess ihn darauf fristlos. Pikant daran ist, dass die Co-Leiterin des Instituts, Serena Tolino, die Partnerin des entlassenen Dozenten ist.

Sie hatte die Tweets ihres Partners lediglich als «inopportun» bezeichnet und gleichzeitig erklärt, ihnen läge «keine antisemitische Intention» zugrunde. Zudem hatte sie am Tag des Hamas-Massakers selbst heikle Tweets «gelikt». Die administrative Untersuchung des Falls führte zur Auflösung des Instituts. Die Co-Leiterin Tolino kassierte eine Abmahnung, durfte aber als Professorin an der Uni bleiben.

«Verstärkter Angriff auf Sozial- und Geisteswissenschaften»

Genau hinter diesem dem Rechtsempfinden nicht widersprechenden Urteil sehen nun 505 Wissenschafter zumeist aus den Universitäten Bern, Basel, Lausanne und Zürich «einen verstärkten Angriff von Teilen der Medien und Politik auf die Sozial- und Geisteswissenschaften». Das schreiben sie in einem offenen Brief mit dem Titel «Für Wissenschaftsfreiheit in der Schweiz», der an den Hochschulen zirkuliert.

Neben dem Tolino-Fall an der Uni Bern wird im Brief noch ein zweiter Fall erwähnt, bei dem die Universität Basel betroffen war. Dort hatte der Fachbereich Urban Studies nach dem Hamas-Massaker ein Schreiben veröffentlicht, das Israel die Schuld für die Gewalteskalation im Nahen Osten gab. Auch in diesem Fall laufen weitere Untersuchungen.

Diese beiden Fälle stehen für die Unterzeichner stellvertretend dafür, dass die Universitäten ein «wissenschaftlich unhaltbares und politisiertes Medienframing akzeptiert und legitimiert haben, welches kritische, sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung als ideologisch und unwissenschaftlich darstellt», wie sie schreiben. Das sei symptomatisch für ein breiteres internationales Klima, das von Antiintellektualismus und Feindseligkeit gegenüber kritischer Forschung geprägt sei.

Bei den von den Unterzeichnern erwähnten Urteilen geht es allerdings explizit nicht um Forschung, sondern um politische Aussagen zum Gaza-Konflikt. Trotzdem schreiben sie, dass «durch eine sogenannte Anti-Woke-Agenda bestimmte Forschungsrichtungen, die den gegenwärtigen, gesellschaftlichen und kulturellen Wandel kritisch reflektieren (z.B. Geschlechterforschung, Postkoloniale Studien, critical race studies), von bestimmten politischen Kräften fälschlicherweise als unwissenschaftlich dargestellt werden».

Anonyme Professoren aus den verschiedenen Unis

136 der 505 Unterzeichner wollen den Namen nicht preisgeben. Sie zeichnen als Prof. Anonymous. Erstunterzeichner ist Adam Knowles von der Universität Zürich. Er hat auf eine Anfrage nicht reagiert.

Auf Anfrage erklärt die Universität Bern:

«Aus Sicht der Universität Bern darf niemand angegriffen werden, nur weil er oder sie ein gewisses Forschungsfeld bearbeitet, denn die Forschungsfreiheit beinhaltet auch die Freiheit, gewisse Gebiete zu beforschen, und das mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Methoden.»

Die Freiheit von Forschung und Lehre sei als solche absolut zu verteidigen.

«Die Universität Bern ist seit jeher bereit, sich der Debatte zu stellen. Insofern kann die Universität Bern einige der Aussagen im offenen Brief nicht nachvollziehen.»

Die Universität Basel sagt, sie habe Kenntnis vom Brief. Die Vorfälle rund um den Fachbereich Urban Studies und damit die im Brief erwähnten Themen würden aufgearbeitet.

Zwei Unterzeichner stammen von der Universität St.Gallen, die Kenntnis von diesem Brief hat. «Wie auch im ‹Kodex HSG› festgehalten, leben und schützen wir an der HSG die akademische Freiheit. Institutionell teilen wir vollumfänglich die Position der Schweizer Hochschulen zu universitären Werten, insbesondere zur akademischen Freiheit, im Rahmen von swissuniversities», sagt Herwig Dämon von der Uni St.Gallen. «Auf einzelne inhaltliche Vorwürfe der anonym bleibenden Initianten gehen wir nicht ein.»

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58 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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AleTee
15.03.2024 08:20registriert August 2018
Serena Tolino und ihr Partner haben Menschenverachtende Inhalte gelikt, das hat nichts mit Wissenschaft zutun. Es müssten beide ausgeschlossen werden. Wissenschaft darf kritisch hinterfragen, aber bestimmt nicht Menschenverachtendes Verhalten relativieren oder gar rechtfertigen.
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Schlaf
15.03.2024 08:35registriert Oktober 2019
Was hat es mit Wissenschaft zu tun, wenn sich ein Dozent über das Abschlachten von Menschen freut?

Das ist doch nur krank!
Der Rauswurf ist das einzig Richtige.
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Triumvir
15.03.2024 10:56registriert Dezember 2014
Dieser offene Brief ist einfach nur peinlich und der Rauswurf in meinen Augen mehr als gerechtfertigt. Punkt.
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