SP-Präsident Christian Levrat sieht seine Partei als grossen Sieger der Wahlen hervorgehen – entgegen den Meinungsumfragen, die der SP leichte Verluste voraussagen. Gegenüber der «NZZ am Sonntag» sagt Levrat bestimmt: «Wir gewinnen diese Wahlen, die rechtsbürgerliche Mehrheit von SVP und FDP im Nationalrat wird gebrochen – wir erreichen unser wichtigstes Ziel.» Levrats Aussage schliesst jedoch nicht nur die Ergebnisse der SP ein.
Der SP-Präsident rechnet die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreffenden Gewinne der Grünen und der GLP mit ein. Die beiden Öko-Parteien dürften in diesen Wahlen auf Kosten der SVP und der FDP zulegen. Somit können sie zusammen mit der SP, der CVP und der BDP für eine Mitte-links-Mehrheit sorgen. Im Ständerat besteht diese Mehrheit bereits – und dabei wird es voraussichtlich auch bleiben.
Christian Levrat denkt jedoch bereits deutlich weiter, wie er gegenüber der «NZZ am Sonntag» sagt: «Wir planen schon die nächste Legislatur». Die Sozialdemokraten haben bereits ein Dutzend weitere Projekte in der Pipeline. Diese gilt es in den nächsten vier Jahren zu realisieren. Details liefert Levrat jedoch nicht – die Wähler müssen sich bis nach der Wahl gedulden. Soviel sei zum 12-Punkte-Plan jedoch verraten: «Die Bevölkerung erwartet Lösungen und Fortschritte – erst recht nach dieser verlorenen Legislatur.»
Auf der politischen Agenda stehen einige wichtige Punkte an, wie er in der «NZZ am Sonntag» nicht abschliessend aufzählt: «Rentenreform, CO2-Gesetz, Konzernverantwortungs-Initiative, Transparenz-Initiative». In den möglichen neuen Kräfteverhältnissen im Parlament sieht Levrat eine grosse Chance für Fortschritte in den erwähnten Dossiers. Dabei äussert sich Levrat unbescheiden: «Wir wollen als grösste Partei dieser neuen, konstruktiven Mehrheit die Führungsrolle übernehmen und unsere Verantwortung wahrnehmen. Nach dieser verlorenen Legislatur wollen wir nun die dringend nötigen Reformen ins Ziel bringen.»
Der SP-Präsident erachtet es als besonders wichtig, die Wahlversprechen auch tatsächlich und zeitnah in die Tat umzusetzen – und ist dafür auch bereit, eine Zusammenarbeit mit der FDP in Betracht zu ziehen: «Gerade in der Europapolitik ist das die alte, bewährte Allianz für die Bilateralen, die wieder besser spielen muss», wie er zur «NZZ am Sonntag» sagt.
Deutet die Weitsicht des Politikers auch auf eine weitere Legislatur als SP-Präsident hin? Levrat beschwichtigt, dass sich die Parteiführung Ende 2019 oder anfangs 2020 mit dieser Frage auseinandersetzen werde. Für den Freiburger Ständerat stellen sich in diesem Zusammenhang die folgenden Fragen: «Erstens für mich persönlich, ob ich noch Lust und Zeit habe für das Parteipräsidium. Und zweitens, ob ich für die SP überhaupt noch der Richtige bin.»
Während in der Partei über die Pläne des Präsidenten spekuliert wird, sickern noch keine richtige Informationen durch. Levrat äussert sich folglich auch parteiintern noch nicht zu dieser Angelegenheit.
Zwei Szenarien sind denkbar: Entweder tritt Levrat nur kurz nach den Wahlen zurück, oder er bleibt weitere zwei Jahre im Amt, wodurch er den neu ins Parlament gewählten SPlern eine Chance geben würde, eine Eigenempfehlung für das Parteipräsidium abzugeben. Drei Namen tauchen in diesem Zusammenhang auf: Silvia Locatelli und Martine Ducourt (beides Neuenburger Ständeratskandidatinnen) und Jon Pult (Präsident des Vereins Alpeninitiative).
So edel der Schritt von Levrat auch sein mag, grosse Chancen haben die Neugewählten nicht wirklich. Der Grund ist die bestehende Konkurrenz zwischen den etablierten SP-Mitgliedern. Und selbst diese können sich nicht immer die grössten Chancen ausrechnen. Cédric Wermuth (SP/AG) beispielsweise könnte dem Machtanspruch der Frauenfraktion innerhalb der Deutschschweizer SP unterliegen.
Den SP-Frauen ist es ein Dorn im Auge, dass drei der vier wichtigsten SP-Posten von Westschweizer Männern besetzt sind: Parteichef Levrat, Fraktionschef Roger Nordmann und Bundesrat Alain Berset. Dieses Ungleichgewicht werde auch nicht durch die Bundesrätin Simonetta Sommaruga aufgehoben.
Bezug genommen wird in der Argumentation der Frauen auf das aus dem Jahr 2017 stammende «Manifest für eine konsequent feministische Sozialdemokratie». Darin ist folgendes festgehalten: «Bei einer Vakanz im Fraktions- oder Parteipräsidium sollte sichergestellt werden, dass eine Position von einer Frau* eingenommen wird.» Falls das Manifest ausser Acht gelassen werden sollte, drohen die Frauen mit einem Aufstand.
Der Berner Wahlkampfleiterin Nadine Masshardt und der SP-Vizepräsidentin Barbara Gysi aus St.Gallen werden für Levrats Nachfolge Favoritenrollen zugesprochen. Gemäss der «NZZ am Sonntag» ist jedoch noch nicht klar, welche Kandidatinnen sich tatsächlich aufstellen lassen werden.