Ramsen ist ein Nest mit knapp 1500 Einwohnern in einem dieser «Zipfel» der Schweiz. Eigentlich liegt rundherum Deutschland. Das ist logisch. Aber wir – ich wurde für diese Etappe durch meine Frau Nina und watson-User Klaus verstärkt – fühlen uns auch ein bisschen in Russland. Denn hält man sich von Süden her kommend rechts, passiert man erst Petersburg und dann Moskau. Visumfrei, natürlich. Die Weiler gehören zur Schweiz.
Viel gibt es da nicht zu sehen. Eine gesichtslose Kantonsstrasse, etliche Tankstellen gleich vor der Grenze, einige ältere Wohnhäuser, eine Migros, ein Velogeschäft und die Wohnzeit: Schreinerei, Laden und Bistro in einem. Dort vor dem Laden steht auch das «Ortsschild». Ein offizielles gibt es nicht. Vielleicht kommt das mal noch.
Moskau besteht aus vielleicht 15 Häusern und 50 Einwohnern, gleich südlich angrenzend liegt Petersburg. Vielleicht 10 Häuser und noch ein paar Seelen weniger, die dort wohnen. Verpassen tut man nichts in den beiden Weilern der Gemeinde Ramsen. Aber wie kamen die Plätzchen im Bibertal zu ihren Namen?
Der Ursprung geht auf den zweiten Koalitionskrieg (auch Erster Napoleonischer Krieg genannt) von 1798 bis 1802 zurück. Damals bekämpften die Verbündeten Russen, Österreicher und Briten Napoleons Frankreich. Russische Heeresteile schlugen hier ihr Lager auf, assen angeblich rohe Kartoffeln und sollen auch sonst mit Esswaren überhaupt nicht heikel gewesen sein.
Jahre später fand Bauer Clemens Gnädinger auf dem Land, auf welchem er seinen Bauernhof baute, viele Hufeisen, die noch von den Russen stammen sollen. Er nahm dies als Inspiration und taufte sein Gehöft «Moskau». Etwas weiter südlich nannte Landwirt Peter Neidhart seinen Hof «Petersburg». Mit den Jahren entwickelten sich die Bauernbetriebe zu kleinen Weilern.
Natürlich bot insbesondere der Name Moskau Raum für Spekulationen. So auch das Restaurant zur Moskau. Das Deutsche Reich fürchtete einen Angriff von «Moskau» aus und schickte eines Nachts die SS über die Nahe Grenze. Ein Tscheche, der im Heustock des Restaurants schlief, wurde mitgeschleppt. Nach Protesten der Schweiz, kam er wieder frei. Die Wirte des Restaurants änderten den Namen daraufhin aber 1934 auf Restaurant Hegau.
Der Ort sorgte trotzdem immer wieder für Aufsehen. 2009 und 2011 drehte hier das russische Staatsfernsehen und als SRF Meteo im April 2013 auf seiner Karte «Moskau» einblendete, war die Verwirrung für viele «Restschweizer» gross.
Wir verlassen Moskau und radeln Richtung Buch SH gegen Westen. Zwischen den beiden Gemeinden liegt ein Waldstück, das «Chlii Amerika» heisst. Dort gibt es nichts. Ein Schützenhaus steht in der Nähe, etwas weiter unten bestellt ein Bauer das Feld, aber in Klein-Amerika: nichts. Ein Nachbar kann uns auch nicht sagen, wie der Fleck zu seinem Namen kann. Falls das jemand von euch weiss, bitte ins Kommentarfeld schreiben!
Die Weltreise in der Gegend wird aber noch spezieller. In Diessenhofen zeigt ein Wegweiser: Paradies 6km. Wow, so nahe war ich dem Paradies wohl noch nie. Das lassen wir uns nicht entgehen und fahren nach Schlatt, in die westlichste Gemeinde des Kanton Thurgaus.
Tatsächlich erreichen wir das Paradies kurz darauf. Allerdings habe ich mir das alles etwas anders vorgestellt. Der neue Ortsteil ist ein Industriegebiet, das so gar nicht an ein Paradies erinnern will. Es entstand im 19. und 20. Jahrhundert und wird auch als «Neu-Paradies» bezeichnet.
Schöner sei es in «Alt-Paradies». Das liegt unten am Rhein, der Badeplatz soll wahrlich himmlisch sein. Und von dort kommt auch der Name. Es steht nämlich seit ca. 1250 ein Kloster in unmittelbarer Rhein-Nähe. Nonnen aus dem claustrum Paradysi apud Constantiam im Konstanzer Ortsteil Paradies siedelten hier über. Der Name wurde bald übernommen.