Die Dienstag-abendliche SRF-Talkshow ist zurück, und mit der ersten Sendung diskutierten die fünf Gäste sogleich ein so emotionales wie auch kompliziertes Thema: Armut in der Schweiz.
Dass die Angelegenheit vielschichtig ist, zeigt sich während der Sendung immer wieder daran, dass die Diskutierenden an zahlreichen Punkten vom Kernthema abschweifen. Moderatorin Barbara Lüthi versucht, die Gäste stets zurückzuholen und resümiert am Ende, die verschiedenen Aspekte des Themas Armut böten alleine Stoff für unzählige Club-Sendungen.
Da war zunächst die Frage nach dem Ursprung und, besonders aktuell, was die Teuerung mit den bereits über eine Million Menschen in der Schweiz, die knapp am Existenzminimum leben, macht. Philipp Frei, Geschäftsführer des Dachverbands Budgetberatung Schweiz, erzählt von der Realität von Armutsbetroffenen: Gerade über Weihnachten sei das besonders schwierig geworden. Und FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt gibt zu: Die Teuerung habe nicht so schnell aufgehört, wie man zunächst gedacht habe. «Und auch jetzt wird es wohl noch weitergehen.»
Wer denn daran Schuld sei, fragt Moderatorin Lüthi in die Runde. Jacqueline Badran hat eine klare Antwort: die Politik. «Ich bin jetzt zwölf Jahre im Nationalrat. Wenn ich eine Konstante sehe in dieser Zeit, dann diese: Die normalen Menschen kommen nicht vor», so die SP-Nationalrätin. «Die Kaufkraft der Leute ist schlicht und einfach kein Thema.» Das sei «total unlogisch», denn bis in die 80-er Jahre sei die Kaufkraft «das Thema» in der Politik gewesen.
Es gebe tatsächlich ein Politikversagen, gibt ihr Nationalratskollege Andri Silberschmidt recht. Er sieht es allerdings eher bei den Krankenkassen, während Badran zuvor leidenschaftlich über ihr Steckenpferd, das Immobilienwesen und zu hohe Mieten, sprach. Das Duell der beiden Zürcher Politiker, die sich meistens beim Vornamen nennen, bevor sie sich vehement widersprechen, zieht sich durch die Sendung durch.
Immer wieder werden auch Sequenzen von Armutsbetroffenen eingespielt: ein Rentner, der sich das Kafi, das am günstigsten Ort 3.90 Franken kostet, nur einmal im Monat leisten kann; eine junge Frau, die an Long-Covid erkrankte und so in die Armut rutschte; eine alleinerziehende Mutter, die ihre Kleider im Brockenhaus kaufen muss. Philipp Frei von der Budgetberatung sagt, Armut sei extrem schambehaftet in der Schweiz. Zudem rede die Politik meistens über die betroffenen Menschen, und nicht mit ihnen – es zählten nur Statistiken und keine Einzelfälle, meint Frei. Dem widerspricht Wirtschaftshistoriker Straumann: Es brauche Zahlen für die ganze Schweiz, nur so könne man auch adäquat auf Probleme reagieren.
Zuletzt wird die Frage nach konkreten Massnahmen aufgeworfen. Betreffend Sozialwerke, die Betroffene entlasten und der Armut vorbeugen sollen, sind zwei Vorlagen in der Pipeline: die BVG-Reform sowie die Initiative über eine 13. AHV-Rente. Das Thema löst einen weiteren Schlagabtausch zwischen Badran und Silberschmidt aus. Letzterer beklagt die Giesskanne, mit der die Sozialdemokraten die Probleme angehen wollen, Badran sagt: «Es ist das übliche Geschwafel der Giesskanne, das dann bei Steuererleichterungen nicht mehr gilt.» An einem Punkt nennt die Zürcherin den jüngeren Kollegen ironisch «Schatz», an einem anderen sagt Silberschmidt: «Schrei doch nicht» und «Ich verstehe nicht, warum du so emotional wirst».
Doch richtig emotional wird die Nationalrätin erst ein paar Minuten später: Eine Viertelstunde vor Schluss will Moderatorin Barbara Lüthi einen Blick auf die Geschichte der Sozialwerke in der Schweiz werfen. Der Einspieler zeigt historische Bilder, vom 19. und 20. Jahrhundert, und wie die Schweiz sich in der Not – der Mensch wurde durch die Maschine ersetzt, es drohte zu wenig Arbeit und breitflächige Armut – erstmals mit der sozialen Frage auseinandersetzte. Auf erste, wichtige Schritte wie das Fabrikgesetz, die Unfallversicherung oder die Gründung des Bundesamts für Sozialversicherungen folgt schliesslich die Auszahlung der allerersten AHV-Rente im Jahr 1948.
Barbara Lüthi gibt dazu dem Wirtschaftshistoriker das Wort. Die Geschichte der Sozialwerke sei eine Fortschrittsgeschichte, meint Straumann: «Man lernt aus Krisen, muss anpassen – es ist nicht perfekt. Aber man hat immer das Gefühl, alles wird schlimmer. Und das stimmt so einfach nicht.»
Daraufhin erhält Jacqueline Badran, die vehement genickt hat, das Wort: Auf dem Weg ins Studio habe sie sich das alles nochmal durch den Kopf gehen lassen, so die Zürcherin. «Bei dieser Gelegenheit: Danke, meinen Vorfahren, der SP und den Gewerkschaften, die das alles erstritten haben.» Hier wird Badrans Stimme bereits etwas brüchig und sie sagt: «Es tschuderet mi grad.» Die sonst so wortgewandt-laute Politikerin muss einen geräuschvollen, langen Atemzug nehmen und setzt sich neu sortiert in den Sessel zurück. «Sie sind richtig gerührt?», fragt Moderatorin Lüthi etwas rhetorisch, worauf Badran kurz «Ja» sagt und ein paar Sekunden mit glänzenden Augen an die Decke schaut.
Dann äussert sie den ziemlich pessimistischen Satz: «Ich bin fast hundertprozentig sicher, dass wir das heute nicht mehr hinkriegen würden.» Andri Silberschmidt widerspricht ihr hier für einmal nicht und zeigt, dass immerhin eine gewisse gemeinsame Basis existiert: «Wir müssen das ja auch jederzeit verteidigen. Für das Dreisäulen-Prinzip stehen wir tagein, tagaus ein.»
Ich lebe mit meinem Kind mit ca. 4000CHF im Monat.
Hab für die Krankenkasse 2024 nur für mich, 4328CHF bezahlt.
Keine Ahnung wie man mit 4000CHF mit 4 Personen überleben soll.
Ja, die von der SVP, die tun hat was fürs Volch.