Ungewollt im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die Schwestern des Klosters St. Ursula in Brig. Sie sind Eigentümer der Liegenschaft, in welcher der Kanton eine Asylunterkunft plant.
Da die Ursulinen im Laufe der Jahre immer weniger Mitglieder zählten, begannen sie nach und nach, ihre Besitztümer zu veräussern. In Brig schlagen nun die Wellen hoch wegen des Verkaufs eines Gebäudes des Klosters: das Gästehaus St. Ursula, früher Marienheim.
Dieses steht mitten in der Altstadt von Brig, neben dem Stockalperschloss mit Aussicht auf die Stadt. Die Schwestern möchten die Unterkunft unter einer Bedingung verkaufen: Das ehemalige Marienheim soll weiterhin für einen sozialen Zweck genutzt werden.
Laut dem Stadtpräsidenten von Brig-Glis, Mathias Bellwald, habe das Kloster bereits 2021 das Vorhaben mitgeteilt, das Marienheim verkaufen zu wollen. Dies sei im Stadtrat «unter Varia» besprochen worden und die Verkaufsdokumentation sei im Rat zur Ansicht aufgelegen. Ein Kaufinteresse habe es damals keines gegeben, sagt Bellwald auf Anfrage von watson.
Dasselbe sei im Mai 2022 passiert, als sich der Kanton mit dem Kloster über den Kauf des Gästehauses eignete. «Sie stellten fest, dass ihnen ein Überbaurecht fehlt. Denn das Gebäude reicht über eine Gemeindestrasse. Irgendwann wurde offensichtlich verpasst, dies im Grundbuchamt einzutragen», sagt Bellwald. Das Überbaurecht wurde vom Stadtrat am 15. November 2022 erteilt und auch damals habe sich keiner im Gremium für die Liegenschaft interessiert.
Einige Stimmen behaupten jedoch, der Stadtpräsident habe die Chance verpasst, dass die Stadt Brig-Glis die Unterkunft kaufen könne. Dem Stadtpräsidenten angelastet wird konkret eine Situation, wofür er sich auch im Nachhinein öffentlich entschuldigte. Und zwar geht es um den Moment, in dem klar wurde, dass der Kanton Wallis aus dem Gästehaus in Brig eine Asylunterkunft machen will: Bei einem Augenschein vor Ort Ende November, woran der Walliser SP-Staatsrat und Departementsvorsteher Soziales, Mathias Reynard, teilnahm.
«An diesen Tag luden wir Herrn Bellwald ein und teilten ihm mündlich mit, was wir mit dem Gästehaus St. Ursula vorhatten, nämlich die Entwicklung von Integrationsmassnahmen und Massnahmen zur sozio-professionellen Integration, wenn möglich die Weiterführung der Parahotellerie und die Eröffnung einer Kollektivunterkunft für Personen aus dem Asylbereich», schreibt auf Anfrage von watson die Medienstelle des Walliser Departements für Gesundheit, Soziales und Kultur.
Etwas zögernd sagt auch der Stadtpräsident von Brig-Glis, Mathias Bellwald, wann er erfahren hat, was der Staatsrat für einen Zweck beabsichtigt: «Der Kanton sagte, er habe mir am 25. November sein Vorhaben mittgeteilt. Das kann man so im Raum stehen lassen». Er habe die Situation jedoch damals nicht so eingeschätzt.
Gegenüber watson sagt er, dass er vor Ort beim Marienheim war, um «eine halbe Stunde einen Kaffee zu trinken mit dem Staatsrat». Die Anwesenden hätten aber mehrheitlich französisch gesprochen, weshalb sich der Stadtpräsident lieber mit einer Ordensschwester unterhalten habe – an der Besichtigung habe er nicht teilgenommen. Doch für den Kanton lief alles wie geplant ab – die Realisation der Asylunterkunft nahm einen weiteren Schritt.
So kam es, dass am 24. Dezember den Stadtpräsidenten von Brig-Glis ein E-Mail des Kantons erreichte. «Wir informierten ihn über die bevorstehende Medienmitteilung, die am 27. Dezember 2022 erschien und sich auf die Eröffnung mehrerer Kollektivunterkünfte im Kanton bezog. In dieser Mitteilung wurde unsere Absicht erwähnt, dieses Gebäude zu erwerben, um dort Personen aus dem Asylbereich unterzubringen», schreibt der Mediensprecher des Walliser Departements für Soziales.
Mathias Bellwald erreichte diese Mail nicht mehr rechtzeitig: Er war bereits in den Weihnachtsferien. Am 27. Dezember veröffentlichte der Kanton schliesslich seine Medienmitteilung. Die Nachricht, dass bald inmitten der Altstadt von Brig eine Asylunterkunft entstehen sollte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Oberwallis. Es entfachte eine Diskussion, wie man die Asylunterkunft im Marienheim verhindern konnte. Angeheizt wurde diese von einem Stadtrat aus Brig-Glis, der gleichzeitig seit 2021 für das Oberwallis als SVP-Nationalrat in Bundesbern politisiert: Michael Graber.
«Ich las die Medienmitteilung des Kantons, während ich am Skifahren war. Ich konnte es zuerst fast nicht glauben – vor allem, weil ich auch im Stadtrat bin», sagt Graber zu watson. Er dementiert, dass er vom Verkauf bereits vorher wusste – etwa durch die Erteilung des Überbaurechts durch den Stadtrat am 15. November. «Wir im Stadtrat wurden nicht informiert», hält Graber fest.
Stadtpräsident Bellwald sieht dies anders: «Der gesamte Stadtrat weiss genau, was ein Überbaurecht ist. Der ganze Stadtrat war informiert, dass der Kanton das Marienheim kaufen will. Da kann man im Nachhinein lange sagen, man habe es nicht gewusst.» Michael Graber hält jedoch an seiner Version fest.
Kurz nachdem der Nationalrat vom unerwünschten Weihnachtsgeschenk erfahren habe, machte er laut der NZZ auf Facebook eine Kampfansage: «120 Flüchtlinge mitten im Zentrum von Brig?! Dagegen werde ich mich zusammen mit der SVP Oberwallis wehren – das ist garantiert der falsche Standort!» (*)
Der SVP-Nationalrat mobilisierte daraufhin, was das Zeug hielt. Dies ging auch am Stadtpräsidenten nicht vorbei. Mathias Bellwald sagt: «Das Thema hat erst interessiert, sobald der Name Flüchtling oder Asyl gefallen ist.»
Michael Graber möchte jedoch betonen, dass er sich nicht gegen eine Asylunterkunft in Brig-Glis wehre. Doch der Standort sei entscheidend. «Das Marienheim ist eine historische Liegenschaft und eine Sehenswürdigkeit – und kein passender Ort für eine Asylunterkunft», erklärt der Politiker. Es habe nicht einmal ein Evaluationsverfahren stattgefunden, um eine bessere Liegenschaft zu finden – beispielsweise in einem stillgelegten Hotel ebenfalls in seiner Gemeinde. Gleichzeitig sei ihm klar, dass das Oberwallis seine Verpflichtung wahrnehmen müsse, um Flüchtlinge aufzunehmen.
Doch für den Sicherheitschef der Stadt Brig-Glis stelle sich auch die Frage, welche Asylsuchenden erwünscht sind. «Es wäre schön, während der Dauer des Ukrainekriegs im Marienheim Familien einzuquartieren», sagt er. Doch der Kanton wolle auch «Migranten mit illegalem Aufenthalt, welche bald ins Ausland abgeschoben würden», dort unterbringen. Das seien meistens «junge Männer».
Auf die Frage, ob es denn eine Rolle spielt, was für Schutzsuchende es seien, antwortet Graber mit einem deutlichen Ja. «Es ist nicht sinnvoll, wenn sich frustrierte abgewiesene junge Männer in unmittelbarer Nähe von Mittelschulen aufhalten. Das gibt Reibungsflächen und ich finde, das zu thematisieren, ist legitim.»
Tatsächlich werden bereits aktuell illegale Migranten, die ins Ausland zurückgeschickt werden, temporär in Hotels in Brig untergebracht. Für den SVP-Stadtrat ist jedoch klar, dass der Besitzer der Liegenschaft entscheiden könne, wer langfristig im Marienheim wohne.
«Graber hat alle Hebel in Gang gesetzt, dass die Stadt auch noch ein Kaufangebot macht», sagt dazu Claudia Alpiger, Co-Präsidentin SP Oberwallis und ebenfalls in Brig wohnhaft. Es wurde schliesslich eine ausserordentliche Gemeindeversammlung einberufen.
Im Februar kam es schliesslich, dass man in Brig-Glis über den geplanten Kauf des Marienheims durch den Kanton diskutierte. «Normalerweise sind rund 50 Personen an der Gemeindeversammlung, doch an diese kamen fast 800 Menschen», sagt Graber. Für ihn sei es ein Zeichen gewesen, dass das Thema interessiere.
Graber präsentierte seine Ideen. Er wolle die Liegenschaft als Stadt kaufen und sie dem Kanton bis zum Ende des Ukrainekrieges als Unterkunft zur Verfügung stellen. Doch «mittel- oder langfristig könnte man einen anderen sozialen Zweck umsetzen. Es gibt einen akuten Mangel an Alterswohnungen und bezahlbaren Wohnräumen. Auch ein Personalhaus für das Spital oder gar Räumlichkeiten für die Stadtverwaltung wären möglich», sagt er zu der Stadtbevölkerung.
Er machte damit klar, was er wirklich wolle, finden andere: «Die SVP will keine Asylsuchenden im Stadtzentrum», sagt SPO-Co-Präsidentin Alpiger. Der Stadtrat und vor allem der Stadtpräsident kamen an diesem Abend jedoch nicht gut weg. Mathias Bellwald entschuldigte sich öffentlich für seine Versäumnisse in der Kommunikation. Graber sagt zu Bellwald: «Er muss selbst mit sich ausmachen, ob er dem Amt gewachsen ist.» Die Spannungen innerhalb der Stadtregierung sind offensichtlich.
Die Stimmberechtigten in Brig-Glis folgten schliesslich Grabers Plänen, das Marienheim als Stadt nun doch kaufen zu wollen. Doch ob das überhaupt noch geht, ist eine andere Geschichte.
Denn der Kanton ist schon so weit, dass die Verträge kurz vor der Unterzeichnung stehen. Am Dienstag entscheidet der Grosse Rat, ob der Kanton die Liegenschaft nun definitiv ersteigert oder ob man der Stadt Brig-Glis ein Vorkaufsrecht gewährt.
Die SP Oberwallis würde bevorzugen, wenn der Kanton sein Kauf-Plan durchzieht: «Wir hoffen darauf, dass die Asylunterkunft unter dem Kanton entsteht. Denn dort wird nicht unterschieden zwischen ukrainischen Flüchtlingen und anderen Asylsuchenden», sagt Claudia Alpiger.
SVP-Politiker Graber indes hofft jedoch, den Kantonsparlamentariern verdeutlicht zu haben, was das Anliegen der Stadtbevölkerung sei. «Wenn der Grosse Rat uns die Unterkunft nicht überlässt, müssen wir den Entscheid akzeptieren. Aber es hätte sicher nicht nur positive Folgen im Verhältnis zwischen dem Kanton und der Stadt», sagt er.
Egal, wie der Kanton sich entscheiden wird: Nach dem Drama um den Verkauf des Marienheims wird der Bevölkerung ein übler Nachgeschmack bleiben. Unter Druck geraten sind der Stadtpräsident, der die Aufregung lieber vermieden hätte. Zu verdanken hat er dies auch der SVP Oberwallis unter der Federführung von Michael Graber.
Hinter vorgehaltener Hand wird in Brig-Glis gesagt, dass der SVP-Nationalrat mit der ganzen Geschichte Wahlkampf betreibt – da seine Wiederwahl nicht gesichert sei. Das bestätigt auch Claudia Alpiger.
Wahlkampf betreiben würde er sicherlich nicht, sagt Michael Graber zum Thema. Es gehe hier nicht um seine Wiederwahl, sondern einzig und allein um die Sache. Und um die Bevölkerung von Brig-Glis.
(*) In einer ersten Version des Artikels schrieben wir, der Post sei mittlerweile auf der Facebook-Seite von Michael Graber nicht mehr auffindbar. Das ist so nicht korrekt. Der Post ist weiterhin auf Grabers persönlichem Account zu lesen. Für die unkorrekte Aussage bitten wir um Entschuldigung.
kusel
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Ah, wart... Tun sie ja immer!
Pachyderm