Der Pulverdampf nach dem US-Wahlshowdown hat sich kaum verzogen. Während der neue Präsident Donald Trump und sein Team sich Mühe geben (und haben), sich auf die Übernahme der Regierungsverantwortung vorzubereiten, suchen Freund und Feind händeringend nach Erklärungen für den Wahlausgang, den kaum jemand erwartet hat.
Unzählige mehr oder weniger schlaue Analysen wurden ausgebrütet. Auf der Linken dominieren Ernüchterung und Schwarzmalerei. Der französische Premierminister Manuel Valls sagte am Donnerstag in Berlin, er höre das Brodeln, ausgelöst von der Wut der Völker, schon länger. Falls die Regierungen keine Antwort darauf fänden, drohe die grosse Vision der Nachkriegszeit zu zerbrechen. «Europa kann sterben», warnte Valls am Wirtschaftsgipfel der «Süddeutschen Zeitung».
Ganz anders die Gemütslage auf der anderen Seite des Spektrums. SVP-Nationalrat Roger Köppel fasst in der «Weltwoche» seine Glücksgefühle in blumige Worte: «Irgendwie geht die Sonne schöner auf. Sogar der Zürcher Herbstnebel fühlt sich freundlicher an.» In seiner Fantasie erheben sich die Völker Europas, um den arroganten, verkalkten Eliten mit dem Stimm- und Wahlzettel den Marsch zu blasen: «Frischluft strömt ins Pharaonengrab.»
Selbst giftigste Trump-Gegner seien «heimlich fasziniert», schwadroniert Köppel. Na ja. Ihre Gefühlslage dürfte eher dem besagten Zürcher Herbstnebel gleichen. Manuel Valls stiess mit seiner apokalyptischen Warnung vor dem Untergang Europas in Berlin auf beachtliche Resonanz. Mit welchen Mitteln aber kann man Trump und anderen Rechtspopulisten kontra geben? Vertreter der gescholtenen Eliten geben zu, dass sie es selbst nicht wissen.
Die SP Schweiz glaubt, ein Rezept gefunden zu haben. Es nennt sich «Wirtschaftsdemokratie», wird auf einer eigenen Website beworben und soll am Parteitag am 3. Dezember offiziell verabschiedet werden. Einiges darin tönt ganz vernünftig, etwa dass man Arbeitnehmende verstärkt an ihren Unternehmen und deren Erfolg beteiligen soll. Manches aber stammt eher aus dem Bereich der Utopien oder aus der sozialistischen Mottenkiste. Vertreter des rechten Parteiflügels wie Daniel Jositsch und Pascale Bruderer haben bereits Widerstand angekündigt.
Es ist ohnehin mehr als fraglich, dass man allein mit einer «demokratischeren» Wirtschaft die Geister des Rechtspopulismus exorzieren kann. Bill Clinton konnte die Präsidentschaftswahl 1992 mit der Parole «It's the economy, stupid!» gewinnen. Für den Erfolg von Donald Trump hingegen müsste man eine abgewandelte Version bemühen: «It's psychology, stupid!»
Es trifft zu, dass der New Yorker Baulöwe bei den Amerikanern mit tiefen Einkommen gut abgeschnitten hat, also den realen Verlierern der Globalisierung. Aber er wurde auch von gut situierten Menschen gewählt, die ein ähnliches Schicksal fürchten. Ein verständlicher Reflex, wenn man bedenkt, dass in den USA seit 40 Jahren unzählige Mittelstands-Jobs verschwunden sind und die Einkommen stagnieren. Die Boomphasen unter den Präsidenten Reagan und Clinton haben diesen Trend kurzfristig gelindert, seit der Finanzkrise 2008 hat er sich weiter verstärkt.
Potenziert wird die Abstiegsangst durch ein Gefühl des Identitätsverlustes. In den USA wird es genährt durch den demografischen Wandel, durch den die Nation in absehbarer Zeit nur noch aus Minderheiten bestehen wird. Die Zeit der weissen Vorherrschaft geht zu Ende. In Europa sind es die Migrationsströme, ausgelöst durch Personenfreizügigkeit und Flüchtlingsbewegungen, die Abwehrreflexe erzeugen. Rassismus ist ein wichtiges Element des Trump-Faktors.
Daraus entsteht ein Gefühl, dass früher alles besser war. Die Wirtschaft wuchs und schuf Jobs für alle, der weisse Mann hatte das Sagen, Ausländer wurden geduldet, mehr nicht. Der englische Historiker Paul Kennedy hat im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» einen treffenden Ausdruck für diese Motivation genannt: «Bittere Nostalgie.» Beim Brexit-Votum in seiner Heimat konnte man oft hören, Britannien müsse «wieder Britannien sein». Auch dieses Votum war nur bedingt ein Aufstand von unten. «Beim Brexit haben Leute Ja gestimmt, die einen Jaguar fahren», so Kennedy.
In Frankreich, der Heimat von Manuel Valls, ist diese «Morosité» ebenfalls weit verbreitet. Viele empfinden die Globalisierung als Bedrohung. Der Nachkriegsboom von 1945 bis 1975 wird nicht zufällig als «Les Trente Glorieuses», die glorreichen 30 Jahre, verherrlicht. Darum kommt Marine Le Pen, die Chefin des Front National, mit ihren protektionistischen Ideen und ihrer Beschwörung des «Made in France» so gut an. Und darum hat sie reelle Chancen, Präsidentin zu werden.
Alles eine Frage der Psychologie. Das macht es schwierig, überzeugende Antworten auf den Rechtspopulismus zu finden. Es genügt eben nicht, was SP-Präsident Christian Levrat in der «SonntagsZeitung» ausgeführt hat: «Die Auseinandersetzung mit der populistischen Rechten gewinnt man nicht mit der Diskussion über deren Fremdenfeindlichkeit, sondern mit der Debatte über die soziale Frage. Kurz und provokativ: Die Antwort auf die Fremdenfeindlichkeit ist der Klassenkampf.»
Völker, hört die Signale? Die «kleinen Leute», die heute die SVP wählen, interpretieren den Klassenkampf gerade nicht als Unten gegen Oben, sondern Innen gegen Aussen. Wir gegen die Migranten. Während sie – oft gegen ihre eigenen Interessen – linke Umverteilungsinitiativen an der Urne ablehnen und dazu beitragen, dass die SP damit regelmässig auf die Nase fällt.
Warum? Im Sinne Levrats kurz und provokativ: Weil jeder reich, aber niemand Ausländer sein will.
Der amerikanische Krimiautor Donald Ray Pollock brachte es im «Tages Anzeiger» auf den Punkt: «Man arbeitet seit 25 Jahren im Walmart und glaubt immer noch, man könnte ein Donald Trump werden.» Derartige Denkweisen findet man nicht nur in der «Aufsteigergesellschaft» USA, sondern auch bei uns. Man weiss, dass man es niemals zum Villenbesitzer in Herrliberg bringen wird, hofft aber insgeheim darauf. Schliesslich kann sogar ein «Büezer» wie SVP-Idol Gölä zum Star werden.
Was tun mit dem 11/9 Alptraum? Erste, unfertige Gedankenstriche (um nicht Schreien zu müssen) #Election2016 https://t.co/fSfe0a1FVz
— Cédric Wermuth (@cedricwermuth) 9. November 2016
Der Aargauer Nationalrat Cédric Wermuth, der immer mehr zu einem Vordenker seiner Partei wird, hat nach der Wahl von Donald Trump zwei kluge Texte verfasst, einen als Antwort auf einen ebenfalls intelligenten Essay seines Parteikollegen, Ex-Preisüberwacher Rudolf Strahm (mit dem er sogar über weite Strecken einig ist). Vielleicht hat Wermuth die Kommentare auf seiner Website gelesen, dort findet er einige Denkanstösse:
Oder dieses Beispiel:
Die hiesige Linke muss sich zur Erkenntnis durchringen, dass man Probleme in Zusammenhang mit der Migration benennen darf, ohne gleich als Rassist abgestempelt zu werden. Man kann idiotische Ideen wie das Burkaverbot bekämpfen und gleichzeitig die Problematik des radikalen Islam benennen, nicht zuletzt seinen Umgang mit Frauen. Und man sollte offen aussprechen dürfen, dass die starke Zuwanderung unsere knappen Ressourcen belastet, ohne wie der grüne Nationalrat Bastien Girod durch das politische Fegefeuer gejagt zu werden.
«Die Politik hat Angst, die Dinge beim Namen zu nennen. Sie spricht eine tote Sprache», sagte Premierminister Manuel Valls am Donnerstag in Berlin. Es wäre zumindest ein Anfang, wenn man von dieser falsch verstandenen Political Correctness abrücken werden. Psychologie besteht auch darin, den Leuten das Gefühl zu geben, dass man sie versteht. Ohne ihnen deswegen nach dem Mund zu reden. Diese Disziplin darf man den Trumps dieser Welt überlassen.