Den Trend gibt es schon lange. Doch es wird nicht besser, im Gegenteil. Wohnimmobilien werden knapper und knapper. Preise und Mieten steigen. Es ist nicht nur ein Schweizer Problem. Noch nicht einmal nur ein europäisches. Das Magazin «The Economist» erklärt deshalb seiner weltweiten Leserschaft: «Mancherorts sind die Mietmärkte regelrecht durchgedreht.»
Vor Corona seien die Mieten in den reichen Industrieländern noch nicht schnell gestiegen, so der «Economist». Die Kosten für die Anmietung neuer Wohnungen seien durchschnittlich um etwa 2 Prozent pro Jahr gestiegen in den Staaten, welche dem Länderverein OECD angehören. Was auch nicht wenig war, aber im Nachhinein eben doch.
Denn seither geht es mit den Mieten pro Jahr um 5 Prozent hoch, so schnell wie seit Jahrzehnten nicht – und laut «Economist» schlicht «too fast» oder «zu schnell». Das hiess in Europa, dass in den vergangenen zwei Jahren in fast jedem Land die Mieten hochgingen. Das Schweizer Beratungsbüro Wüest Partner hat 28 Länder analysiert. In 27 gingen die Mieten hoch, in 13 um über 10 Prozent, in 3 gar um über 20 Prozent.
Die Schweiz steht bei dieser Statistik mit 5,6 Prozent noch recht gut da. Doch die 5,6 Prozent gelten nur für laufende Verträge, die an das durchschnittliche Hypothekarzinsniveau angebunden sind. Wer neu eine Wohnung finden muss, dem ist damit nicht geholfen. Er oder sie muss Mieten zahlen, die in den vergangenen zwei Jahren um 10,6 Prozent in die Höhe gegangen sind.
Die Knappheit wirke sich auch auf jene aus, die nicht mieten, sondern kaufen möchten, so Wüest Partner. Der Traum vom Eigenheim ist dem europäischen Mittelstand in den vergangenen zehn Jahren weiter entglitten. Von 26 Ländern sind die Hauspreise in 20 schneller gestiegen als die Einkommen. In Portugal um über 50 Prozent schneller, in den Niederlanden um 30 Prozent und in der Schweiz um 26 Prozent.
Steigende Preise sollten in einer Marktwirtschaft eigentlich Problem und Lösung zugleich sein. Hohe Preise versprechen schliesslich hohe Gewinne für Investoren. Die Skylines der europäischen Städte sollten jedes Jahr von mehr Baukränen zugestellt sein. Sollten. Das Gegenteil geschieht.
Es wird weniger gebaut. In 19 von 28 Ländern. Die Zahl der baubewilligten Wohnungen lag 2023 tiefer als 2018. Die stärksten Rückgänge verzeichneten Schweden, Finnland (beide 52 Prozent) und Österreich (44 Prozent). Die Schweiz landet in dieser Hitliste des marktwirtschaftlichen Versagens auf dem neunten Rang mit einem Einbruch von 27 Prozent.
Wüest Partner hat für 28 Länder eine Reihe von Statistiken zur Wohnkrise genommen: wie Mieten, Bautätigkeit, Kostenbelastung. Diese Statistiken hat die Firma dann zu einem einzigen Indikator vereint, mit dem sich die 28 Länder vergleichen lassen. Wo ist Wohnraum am knappsten? Demnach wütet in Luxemburg die schlimmste Krise, dann in Irland, Norwegen – und an vierter Stelle in der Schweiz.
In Luxemburg wächst die Bevölkerung am schnellsten, um 4 Prozent von 2021 bis 2023. Die Nachfrage wächst also besonders schnell, doch der Bau bleibt besonders kläglich weit zurück. Pro Kopf hat es die wenigsten Wohnungen. Wohnungen sind also knapp, Mieten und Immobilienpreise hoch. Also bleibt man länger bei den Eltern wohnen, pendelt vom grenznahen Ausland oder verlässt Luxemburg ganz.
Auch in der Schweiz kann der Bau nicht mit der Bevölkerung mithalten. 2023 lebten 2,1 Prozent mehr Menschen in der Schweiz als 2021, vor allem weil die Wirtschaft viele Stellen geschaffen und dafür Arbeitskräfte neu ins Land geholt hat. Die Zahl der Baugenehmigungen ging jedoch zurück – in den letzten fünf Jahren um 27 Prozent.
Diese Bau- und Wohnungskrise hat wiederum mehrere Gründe – einige davon werden von selbst verschwinden, andere hingegen sind von Dauer. So sind mit der Inflationswelle von 2022 auch die Baukosten stark gestiegen, was Bauen weniger lohnend macht. Ähnlich war es mit den Zinsen. Nun ist die Inflation besiegt, und diese Hürden sind kleiner geworden.
Andere Probleme werden sich nicht von selbst in Luft auflösen und sind zudem politisch umstritten. Dazu zählen laut Wüest Partner strengere Vorschriften, etwa im Umweltbereich, und lokaler Widerstand gegen verdichtetes Bauen mithilfe von Klagen und rechtlichen Einsprüchen, bekannt als «Not in my backyard». Man beklagt den Mangel an Wohnraum, will aber in seiner Nachbarschaft keine Baustellen haben. Dieser Effekt ist umso grösser, je mehr sich die Bevölkerung in Städten ballt.
Die Krise reicht in alle möglichen Winkel des Lebens. Die Geburtenzahl ist in Europa wohl auch darum stark gefallen. Junge Erwachsene bleiben länger bei den Eltern wohnen. Familien verlassen die teuren Zentren von Bern, Basel oder Zürich und ziehen in die Agglomerationen oder gleich weiter in ländliche Gebiete. Laut Berechnungen der UBS zahlen sie in von Zürich eine halbe Fahrstunde entfernten Orten um 38 Prozent tiefere Mieten. Um Bern und Basel herum sind es 22 Prozent.
Ein Eigenheim oder eine günstige Mietwohnung haben oder nicht haben, wird in dieser Wohnungskrise eine entscheidende finanzielle Frage. Einige haben früh eine Immobilie kaufen können, werden jetzt mit dem Trend reicher und haben laut Studie der UBS viel tiefere Wohnkosten. Andere sind zu spät, finden nichts mehr, müssen sehr teuer kaufen oder in einer teuren Mietwohnung bleiben.
Wieder andere wohnen schon lange in der gleichen Mietwohnung und deshalb recht günstig. Sie müssen jedoch den Rauswurf fürchten, im Wissen, für die gleiche Miete nichts Vergleichbares mehr finden zu können. Oder die Zahl der Obdachlosen steigt wie in den USA oder in Kanada.
Steigende Mieten können auch ein Gefühl der Ungerechtigkeit hervorrufen, welches politische Folgen haben kann, wie der «Economist» schreibt. Eine neue empirische Studie der Universität Oxford zeigt beispielsweise, dass in Deutschland «höhere Mieten für Menschen mit geringerem Einkommen eine erhebliche Bedrohung ihres sozialen Status darstellen, was zu einer höheren Neigung führt, die radikale Rechte zu unterstützen». (aargauerzeitung.ch)
Zählt man 1+1 zusammen, brauchen wir mehr Häuser - ich nenne das einmal liebevoll "Tokiotisierung des Mittellandes".
Dann aber bitte mit 24h-Konbinis, tollen Leuchtreklamen und lustigen Melodien bei Fussgängerstreifen.
Die Lösung wäre, die Firmensteuern anzuheben, damit sich Unternehmen gerechter über Europa verteilen – sodass alle am Wohlstand teilhaben können, ohne die Nachteile zu tragen.