Wer seinen Spaziergang nicht über Wald und Wiesen, sondern durch die Gassen von Städten und Dörfern zu absolvieren pflegt, dem dürfte in den vergangenen Monaten vor allem eines aufgefallen sein: In den Schaufenstern, vor den Eingängen und auf den Lieferwagen vor den Handwerkerbuden prangen Jobinserate und Stellenausschreibungen en masse. Nicht nur Restaurants, Schreinereien, Detailhändler und Sanitärinstallateure suchen verzweifelt nach Personal, auch Maurer, Informatikerinnen und Pfleger sind begehrt.
Tatsächlich bleiben derzeit überdurchschnittlich viele Stellen unbesetzt, wie die Auswertungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigen. Die Arbeitslosenquote lag im April bei rekordtiefen 2.3 Prozent, die Zahl der Stellensuchenden sinkt stetig – sie liegt aktuell über 25 Prozent tiefer als zum selben Zeitpunkt im Vorjahr. Im selben Mass rückgängig ist auch die Zahl der Stellensuchenden, aktuell sind lediglich 183'000 Personen auf der Suche nach Arbeit.
Anhaltspunkte zur Zahl der offenen Stellen liefert der Schweizer Jobradar, in dem die Zürcher Rekrutierungsfirma x28 vierteljährlich die Stelleninserate analysiert. Gemäss diesen Auswertungen blieben im ersten Quartal 2022 knapp 250'000 Stellen unbesetzt. So viele wie seit Jahren nicht mehr.
Weit oben in der Rangliste der meistgesuchten Arbeitskräfte finden sich Informatik-, Führungs-, Bau- und Verkaufsjobs. Doch mit Abstand am deutlichsten zeigt sich der Fachkräftemangel bei den Handwerkerberufen. Vor allem Elektromonteure, Schreiner und Gärtner sind rar. Das bekräftigt Barbara Jenni vom Branchenverband Jardin Suisse: «Der Fachkräftemangel ist ein riesiges Problem. Wir suchen händeringend nach ausgebildeten Arbeitskräften.»
Auch in der Gastronomie und Hotellerie sei der Fachkräftemangel «sehr akut», sagt Claude Meier, Direktor des Branchenverbands Hotellerie Suisse. Es sei schon vor der Pandemie schwierig gewesen, geeignetes Personal zu finden. Nun habe sich die Situation weiter verschärft. Das bestätigt Florian Senn, Head of Recruiting bei der SV Group, die sowohl in der Gemeinschaftsgastronomie als auch in der Hotellerie und im Catering tätig ist: «Wir haben im Moment in der Schweiz rund 450 offene Stellen.» Vor allem Köche seien gesucht.
Ähnlich gestaltet sich die Situation im Gesundheitswesen: Über 13'000 Stellen in der Pflege sind offen, die Spitäler suchen verzweifelt nach Personal. Und das, obschon die ausserordentliche Belastung durch Covid deutlich zurückgegangen ist. Viele Spitäler und Heime sehen sich in der Folge gezwungen, Betten zu schliessen.
Die grosse Nachfrage nach Arbeitskräften beobachtet auch Arbeitsmarktexperte Daniel Kopp von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF): «In vielen Branchen klagen die Unternehmen über Rekrutierungsschwierigkeiten und lange Vakanzzeiten.» Das führt Kopp in erster Linie auf die «allgemeine wirtschaftliche Situation» zurück: «Das Ende der Covid-Massnahmen hat sehr rasch zu einer Erholung der Wirtschaft geführt.» Derzeit würden viele Unternehmen gleichzeitig neue Arbeitskräfte einstellen, das führe zu einer Knappheit auf dem Arbeitsmarkt.
Teils seien die Gründe für den Fachkräftemangel auch branchenspezifisch. So scheinen beispielsweise einige vormalige Arbeitskräfte der Event- und Gastrobranche aufgrund der Pandemie in andere Branchen gewechselt zu haben. In anderen Berufen wiederum werde zu wenig Nachwuchs ausgebildet. «Wieder andere Branchen haben zwar viele ausgebildete Arbeitskräfte, diese wechseln dann aber relativ rasch den Beruf oder bilden sich weiter», so Kopp. Der Berufsausstieg dürfe zum Teil mit den Arbeitsbedingungen zusammenhängen:
Die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt beobachtet auch Simon Wey, Chefökonom beim Schweizerischen Arbeitgeberverband: «Im Austausch mit unseren Mitgliedern spüren wir, dass auf allen Ebenen Personal fehlt.» Er sieht dafür ähnliche Gründe wie Kopp, verweist aber auch auf die demografische Entwicklung als langfristigen Treiber des Fachkräftemangels: «In den nächsten zehn Jahren werden über eine Million Arbeitstätige pensioniert, aber nicht einmal halb so viele rücken nach.» Heisst: Der Engpass wird sich weiter akzentuieren.
«Letztlich leidet unter dem Arbeitskräftemangel die gesamte Wirtschaft», sagt Wey. Denn: Können die Arbeitgeber ihre offenen Stellen nicht besetzen, sinken langfristig Produktivität und Wirtschaftsleistung. So zeigt sich beispielsweise bei den Gärtnern der Personalmangel «in erster Linie in der Qualität der Arbeiten», sagt Barbara Jenni von Jardin Suisse. Zudem führe das Fehlen von Arbeitskräften dazu, «dass Gartenbauunternehmen gezwungen werden, Aufträge abzulehnen».
Konkrete Folgen spürt auch die Beherbergungsbranche: Wie Claude Meier von Hotellerie Suisse sagt, müssen Hotels ihre Rezeptionsöffnungszeiten einschränken oder auf die tägliche Reinigung der Zimmer verzichten. Auch in der Gastronomie bleibt der Personalmangel nicht folgenlos. So ist beispielsweise die SV Group aktuell auf viele kurzfristige Aushilfen angewiesen, um den Betrieb gewährleisten zu können.
Während sich die Branchenverbände krampfhaft um Personal bemühen, sehen die Gewerkschaften «die positiven Effekte des Fachkräftemangels», wie Daniel Lampart sagt. Der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) ist überzeugt:
Er sieht das Problem vor allem bei den Arbeitgebern: «Viele Unternehmen haben das Gefühl, sie können eine Stelle ausschreiben mit ganz spezifischen Anforderungen, und es kommt dann genau jene Person, die all diese erfüllt.» Das könne man heute aber einfach nicht mehr erwarten.
Für Daniel Kopp von der Konjunkturforschungsstelle ist klar: «Jene Betriebe und Branchen, die ihre offenen Stellen nicht besetzen können, müssen sich überlegen, wie sie die Arbeitsbedingungen so verändern können, dass ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigt.» Kopp nennt verschiedene Ansatzpunkte: «Neben höheren Löhnen oder verbesserten Lohnnebenleistungen können das kürzere Arbeitszeiten, mehr Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit, eine Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort oder generösere Regelungen zur Elternzeit sein.»
Diese Vorschläge begrüsst Daniel Lampart vom SGB. Er ist überzeugt, dass «die Löhne angepasst werden müssen und die Arbeitgeber auch Personen einstellen sollten, die nicht alle Anforderungen im Jobprofil erfüllen». Er beobachte, dass sich der Anstellungsprozess stark verändert habe: «Früher haben die Firmen auch Arbeitskräfte ausgesucht, in denen sie Potenzial sahen.» Die Betriebe hätten diese Personen dann unterstützt und fortlaufend «on the job» ausgebildet.
Dass sich die Arbeitgeber und der Staat den Bedürfnissen der Arbeitnehmer punkto Rahmenbedingungen annähern müssen, um ihre offenen Stellen besetzen zu können, ist sowohl den Branchenverbänden als auch Arbeitgeberverband bewusst. Chefökonom Simon Wey sieht aber nicht nur bei den Arbeitsbedingungen Handlungsbedarf: «Wir müssen an verschiedenen Schrauben drehen, damit wir den Arbeitskräftemangel entschärfen können.» Er denke da beispielsweise an politische Massnahmen im Bereich der Zuwanderung oder an verbesserte Rahmenbedingungen für Mütter und ältere Arbeitnehmende. (aargauerzeitung.ch)
Noch immer werden die Mitarbeitenden in vielen Firmrn letztlich nur als Ressourcen angesehen und befördert werden nicht kompetente Leute (resp. diese höchstens ein, zwei Stufen), sondern Karrieristen mit Charme und Redegewandtheit, die jedoch keinen Plan von irgendwas haben…