Lange hatte sich die SVP einem Gegenvorschlag widersetzt. Nun ist die Mehrheit der Fraktion «umgekippt» und hat dem von der Einigungskonferenz beschlossenen Gegenentwurf zur Konzernverantwortungs-Initiative (KVI) am Montag im Nationalrat zum Durchbruch verholfen. Dieser entspricht dem Konzept des Ständerats, weshalb dessen Zustimmung am Dienstag Formsache ist.
Der «Umfaller» der SVP ist auf das Lobbying der Wirtschaft zurückzuführen. Sie will im Abstimmungskampf nicht «nackt» antreten. Selbst der Verband Swissholdings, der die multinationalen Unternehmen in der Schweiz vertritt und die KVI vehement bekämpft hat, weibelte für den indirekten Gegenvorschlag, den die Initianten als Alibiübung bezeichnen.
Dies zeigt das Unbehagen der Wirtschaft gegenüber der Konzerninitiative. In einer aktuellen Umfrage des Initiativkomitees kommt sie auf eine Zustimmung von 78 Prozent. Für viele Menschen ist es inakzeptabel, wenn in der Schweiz ansässige Firmen im Ausland Profit machen mit Kinderarbeit, der Abholzung von Urwäldern oder der Vergiftung von Gewässern.
Entsprechend schwer taten sich die Wirtschaftsverbände mit einer Strategie gegen die KVI. Die Folge war ein fragwürdiges Geschacher, das an den Umgang des Parlaments mit der Abzocker-Initiative erinnerte. Ihre Behandlung wurde mit fadenscheinigen Argumenten immer wieder verschleppt. Die Quittung war die klare Annahme der Initiative im März 2013.
Im Fall der Konzerninitiative wollte der Bundesrat zuerst gar keinen Gegenwurf. Im letzten August zauberte Justizministerin Karin Keller-Sutter plötzlich das nun vorliegende Konzept aus dem Ärmel. Es war ein höchst ungewöhnlicher Vorgang, denn die parlamentarische Beratung war bereits im Gang. Der Ständerat aber liess sich darauf ein.
Allerdings folgte gleich das nächste Störmanöver. In der Herbstsession 2019 verschob der Ständerat die Behandlung der Initiative auf Antrag des Zürcher FDP-Vertreters Ruedi Noser. Er verwies auf den neuen Vorschlag des Bundesrats, doch Kritiker sahen darin ein Manöver, um sich vor den Wahlen im Oktober nicht zur populären Initiative äussern zu müssen.
Seither hat der Ständerat dem «Gegenvorschlag light» dreimal deutlich zugestimmt. Der Nationalrat wiederum hielt an seinem schärferen Konzept fest, das einen Rückzug der Initiative ermöglicht hätte. In allerletzter Minute tauchte ein weiterer Entwurf auf, verfasst von den Rechtsprofessoren Christine Kaufmann und Walter Stoffel.
Der eigentliche Auftraggeber war der Nahrungsmittelkonzern Nestle. Sein Konzept hätte die Forderung der Initiative, dass angeklagte Firmen vor Gericht ihre Unschuld beweisen müssten, relativiert. Juristisch ist dies ohnehin problematisch, denn in einem Rechtsstaat gilt die Devise «In dubio pro reo» – im Zweifel für den Angeklagten.
Nestle und der Rohstoffkonzern Glencore sind die Schweizer Unternehmen, die in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz am stärksten in der Kritik stehen. Offiziell äussert sich der Nahrungsmittelriese aus Vevey nicht zum Vorschlag. Dem Vernehmen nach sorgt er sich in erster Linie um den möglichen Imageschaden durch einen emotionalen Abstimmungskampf.
Letztlich kam der Vorschlag viel zu spät, um den parlamentarischen Prozess zu beeinflussen. Die Initianten aber wären als Gegenleistung zum Rückzug bereit gewesen, obwohl ihr Volksbegehren von namhaften bürgerlichen Politikern und Teilen der Wirtschaft unterstützt wird. Doch sie haben auch gemerkt, dass der Wind gedreht hat.
Vor der Coronakrise hätte die KVI vielleicht eine Chance gehabt. Nun rechnen Experten selbst bei einer raschen Erholung und dem Ausbleiben einer zweiten Pandemiewelle mit dem Verlust von rund 100’000 Arbeitsplätzen. Für die Gegner der Initiative ist dies eine perfekte Vorlage. Sie müssen nicht aus der Defensive agieren, sondern können voll auf die Jobkarte setzen.
Es erstaunt deshalb nicht, dass die Initianten den Spatz in der Hand bevorzugt hätten. Denn auch der Vergleich mit der Abzocker-Initiative hat Grenzen. Diese bezog ihre Glaubwürdigkeit nicht zuletzt aus der Tatsache, dass sie nicht von linken «Weltverbesserern» lanciert wurde, sondern vom eher rechtsbürgerlichen Schaffhauser Kleinunternehmer Thomas Minder.
Der Konzerninitiative aber droht das Schicksal fast aller Volksbegehren aus dem linken Lager: Anfangs hohe Sympathiewerte, dann wachsende Skepsis und schliesslich die Ablehnung. Einen Achtungserfolg traut man ihr auch in Corona-Zeiten zu. Selbst ein Ja ist nicht ausgeschlossen, aber der Weg ist steinig. Das weiss auch das Initiativkomitee.
Deshalb kommt es vermutlich am 29. November zu einem in der Geschichte der direkten Demokratie ziemlich einzigartigen Szenario: einer Volksabstimmung, die niemand wirklich will. Und bei der die Gefahr besteht, dass sie nur Verlierer produziert.
Es geht nur um Gewinnmaximierung
Deswegen bin ich leider wenig zuversichtlich bei dieser mutigen/selbstverständlichen Wirtschaftsrevolution/Wirtschaftsverbesserung