«Prämienschock», titelten die Zeitungen vor nicht mal einem Monat, als Gesundheitsminister Alain Berset einen durchschnittlichen Anstieg der Krankenkassenprämien für das nächste Jahr von 6.6 Prozent bekannt gab. «Die Krankenkassenprämien gehören zu den Hauptsorgen der Schweizerinnen und Schweizer», sagte Berset.
Heute Donnerstag haben die Gesundheitspolitikerinnen und -politiker des Nationalrats nun die Gelegenheit, dagegenzuhalten: In Ihrer Gesundheitskommission ist das sogenannte «zweite Paket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen» traktandiert. Es geht zurück auf Vorschläge einer Expertengruppe aus dem Jahr 2017. Inhaltlich sieht es mehrere Massnahmen vor.
Unter anderem, dass Rechnungen zur besseren Kontrolle elektronisch übermittelt werden müssen, eine effiziente koordinierte Versorgung für chronisch Kranke oder dass Apotheker gewisse Leistungen wie Darmkrebs-Kontrollen direkt abrechnen können. Das Paket gleiche «einem zahnlosen Tiger, effektive Massnahmen fehlen» schrieben die CH-Media-Zeitung im September, als Berset es vorstellte.
Offensichtlich geht es aber selbst in dieser Form den Lobbys von Spitälern, Ärztinnen, Krankenversicherungen und Pharmaindustrie zu weit: Seit Tagen belagern sie die Politikerinnen und Politiker mit ihren Forderungen. Oder wie es SP-Copräsidentin Mattea Meyer am Montag in einem Tweet beschrieb: «Unzählige Schreiben von Versicherungen, Pharma-Lobby und Gesundheitsverbänden, auf das Geschäft nicht einzutreten – ohne konkrete Alternativ-Vorschläge. So kommen wir nicht weiter.»
Auf Nachfrage leitet Meyer einige der Schreiben an die Redaktion weiter. Auch bürgerliche Mitglieder der Gesundheitskommission gewähren Einblick in die Lobby-Mails. Es sei gar nicht möglich, alles zu lesen, sagen zwei Personen unabhängig voneinander.
Hier eine kleine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Ospita, der Verband der Privatspitäler, bittet die Kommissionsmitglieder «nicht auf dieses nächste Regulierungspaket einzutreten». Auch der Krankenkassenverband Curafutura empfiehlt «nicht eintreten». Der Vertreter der Medix-Netzwerke bittet, zwei Artikel zu streichen - «oder treten Sie, besser noch, gar nicht auf das Paket ein».
Bei einzelnen Punkten zeichnen sich bereits neue Konflikte ab. So freut sich der Schweizerische Apothekerverband, dass seine Mitglieder neu gewisse Leistungen direkt abrechnen dürfen. Der Krankenkassenverband Santésuisse lehnt das hingegen ab: Die Grundversicherung werde ausgebaut, da die neuen Leistungen durch die Apotheker bisherige Leistungen tendenziell nicht ersetzen, sondern ergänzen würden.
Bemerkenswert ist weiter ein Schreiben der vereinigten Pharmaverbände. Sie fordern die Kommission auf, ein weiteres Geschäft zurückzuweisen, das in der Kompetenz des Bundesrats liegt, zu dem sich die Parlamentarier aber äussern wollen: Es geht um die Frage, unter welchen Bedingungen neuste, noch nicht zugelassene Medikamente etwa gegen seltene Krankheiten abgerechnet werden können. Im Brief an die Mitglieder der Gesundheitskommission geisselt sie nun unter anderem «die Forcierung des Billigstprinzips» durch Bundesrat Berset.
Inhaltlich ist vielen der Eingaben ein grosses Misstrauen gegenüber Alain Berset und der Bundesverwaltung gemeinsam. Der sozialdemokratische Gesundheitsminister wolle noch mehr staatliche Kontrolle, der Apparat im Bundesamt für Gesundheit werde bloss weiter aufgebläht, die zahlreichen, sich jagenden Reformen seien schlecht koordiniert und überholten sich selber – Kosten sparen würde man hingegen kaum, so sinngemäss eine Zusammenfassung.
Exemplarisch dafür das Schreiben des Ärztenetzwerks Medix, das die koordinierte Betreuung von Patienten auf freiwilliger Basis massgeblich mitentwickelt hat – und sich nun wehrt, dass dieses Modell staatlich verordnet und kontrolliert werden soll. Auch der Kassenverband Curafutura kritisiert, Bersets Paket schwäche die Tarifpartnerschaft.
Etwas bleiben all die Kritiker freilich schuldig: Die Antwort auf die Frage, warum sie sich denn nicht längst schon ohne Bersets Intervention, ohne staatlichen Zwang also, auf wirksame Massnahmen zur Eindämmung des Kostenwachstums geeinigt haben.
Wie wärs mal mit der Abgabe von der benötigten Anzahl Tabletten anstelle von ganzen Packungen? Funktioniert in anderen Ländern sehr gut.