Man hatte bereits damit gerechnet: Kommendes Jahr steigen die Krankenkassenprämien. Im Durchschnitt werden sie 334,70 Franken teurer, ein Anstieg von 6,6 Prozent. Das verkündete am Dienstag Innenminister Alain Berset an einer Medienkonferenz.
Die hohen Gesundheitskosten beschäftigen die Schweizer Bevölkerung wie kaum ein anderes Thema. Die Grundversicherung belastet das Portemonnaie vieler Haushalte empfindlichst. Über Vorschläge zur Senkung von Gesundheitskosten und Prämien wird darum seit Jahren heiss diskutiert. Konkrete Lösungen scheitern allerdings oft an den verhärteten Fronten.
Ein Überblick über die wichtigsten anstehenden Massnahmen.
Im Frühling 2018 verabschiedete der Bundesrat ein Kostendämpfungsprogramm, um das Wachstum der Gesundheitskosten zu bremsen und den Anstieg der Krankenkassenprämien zu verlangsamen. Das Programm enthält verschiedene Massnahmen, die ursprünglich in zwei Paketen und Etappen umgesetzt werden sollten.
Dabei geht es vor allem um die Stärkung der Rechnungskontrolle und die Einführung eines nationalen Tarifbüros für den ambulanten Bereich. Auch die Einführung eines Beschwerderechts der Versicherer bei den kantonalen Spitallisten ist geplant. Weiter will der Bundesrat einen Experimentierartikel schaffen, der innovative, kostendämpfende Projekte ermöglicht.
Von den Massnahmen wurden bisher erst wenige umgesetzt. Das Parlament hat die Pakete aufgeteilt, die Vorschläge zerredet oder verworfen. Die Einführung von Zielvorgaben in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung wurde 2020 aus dem zweiten Paket herausgelöst und dient nun als indirekter Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei (siehe weiter unten). Die hohen Preise für Generika wollte der Bundesrat mit einem festgelegten Referenzpreis senken. Doch das Parlament lehnte die Idee ab, auch auf Druck der Pharmalobby.
Einige Massnahmen des ersten Pakets, wie die Schaffung einer nationalen Tariforganisation und die Einführung einer Rechnungskopie im «tiers payant», sind in Kraft getreten. Die Kostensteuerung im ambulanten Bereich und das Beschwerderecht der Versicherer bei der Spitalplanung werden derzeit noch im Parlament beraten. Weitere Massnahmen wie die Einführung eines Experimentierartikels zur Förderung innovativer Projekte sowie die Datenweitergabe durch die Gesundheitsakteure sollen Anfang 2023 in Kraft treten.
Wenn Ärztinnen ihren Patienten eine Rechnung stellen, wenden sie einen einheitlichen Tarif an. Dieser umfasst sämtliche ärztlichen Leistungen, denen je nach zeitlichem Aufwand, Schwierigkeit und erforderlicher Infrastruktur eine bestimmte Anzahl von Taxpunkten zugeordnet wird.
Der heutige Tarif Tarmed trat 2004 in Kraft. Seit seiner Einführung wurde er nie gesamthaft revidiert und gilt heute als heillos veraltet. Über ihn laufen jährlich Zahlungen von gut 12 Milliarden Franken aus der Grundversicherung. Der neue Tarif Tardoc soll das relevante ärztliche Leistungsspektrum besser abbilden, national vereinheitlichen und das Kostenwachstum so reduzieren.
Doch seit Jahren können sich die Tarifpartner nicht auf ein neues System einigen. Vor drei Jahren haben die Ärztevereinigung FMH und der Versicherungsverband Curafutura den neuen Tarif beim Bundesrat eingereicht und mussten ihn seither schon dreimal nachbessern. Anfang Juni hat der Gesundheitsminister auch den vierten Entwurf verworfen und zurück an den Absender geschickt. Bis Ende 2023 muss nun eine neue Version ausgearbeitet werden – womit der neue Tarif nicht vor 2024 kommen wird.
Niemand soll mehr als ein Zehntel seines Einkommens für die Krankenkassenprämien zahlen müssen. Was darüber hinausgeht, soll über Prämienverbilligungen ausgeglichen werden. Das fordert die SP mit ihrer Prämien-Entlastungs-Initiative. Die Mehrkosten von geschätzt 3,6 Millionen Franken sollen zu zwei Dritteln vom Bund und zu einem Drittel von den Kantonen übernommen werden.
Weder die bürgerlichen Parteien noch der Bundesrat sind von dem Anliegen überzeugt. Das sei reine Symptombekämpfung. Gesundheitsminister Alain Berset sagt, die hohen Kosten im Gesundheitswesen seien das Problem, nicht die Prämien. Auch sei das Anliegen ohne höhere Steuern kaum umsetzbar.
Der Bundesrat schlug als indirekten Gegenvorschlag ein neues Modell zum Ausbau der individuellen Prämienverbilligung vor. Der Beitrag jedes Kantons an die Prämienverbilligungen soll mindestens einem Prozentsatz der Kosten der obligatorischen Krankenversicherung entsprechen. Der Nationalrat hat diesem Vorschlag zugestimmt. Im Ständerat ist die Diskussion noch hängig.
Die Mitte-Partei will mit ihrer Kostenbremse-Initiative erreichen, dass Bundesrat und Kantone eingreifen, wenn die Gesundheitskosten im Vergleich zu der Lohnentwicklung zu stark steigen. Diese Kostenbremse müsste im Folgejahr greifen, damit die Prämien bezahlbar bleiben.
Der Bundesrat ist gegen die Vorlage, legte aber auch hier einen indirekten Gegenvorschlag vor mit flexibleren Kostenzielen. Dies war ursprünglich eine der Massnahmen im ersten Kostendämpfungs-Paket (siehe oben). Der Bundesrat schlägt ein jährliches, maximales Ziel für die Kosten in der Grundversicherung vor. Wenn die Ziele überschritten werden, sind die Tarifpartner, die Kantone und der Bund verpflichtet, in den Bereichen in ihrer Verantwortung zu prüfen, ob korrigierende Massnahmen notwendig sind. Solche Massnahmen können beispielsweise die Anpassung von Tarifen oder die Zulassung von Leistungserbringern betreffen.
Der Nationalrat hat dem indirekten Gegenvorschlag zugestimmt. Der Ständerat hat die Diskussion vertagt.
Ein Streitpunkt in der Diskussion um die Prämien sind die milliardenhohen Reserven der Krankenkassen. Im vergangenen Jahr hatten die Kassen gemäss den Zahlen vom BAG 12,4 Milliarden Franken auf der hohen Kante. Doppelt so viel wie das Gesetz vorschreibt. Die Verordnung über die Krankenversicherungsaufsicht verlangt zwar eine Mindestreserve, die für ein weiteres Jahr Zahlungsfähigkeit ausreicht. Die überschüssigen Reserven können die Versicherungen abbauen – wenn sie denn wollen. Der Abbau ist freiwillig.
Immer wieder wird mittels politischer Vorstösse versucht, an den hohen Krankenkassen-Reserven zu rütteln. Zuletzt scheiterte eine Motion des Tessiner Lega Nationalrats Lorenzo Quadri am Ständerat.
Der nächste Vorstoss zu den Reserven steht bereits in den Startlöchern. Der FDP-Nationalrat Philippe Nantermod schlug die Einführung einer Überschussbeteiligung vor. Gemäss seines Vorstosses soll der entsprechende Überschuss im folgenden Jahr als Anzahlung für die Prämien auf die Versicherten aufgeteilt werden, sobald die Reserven einer Kasse über 150 Prozent der Mindesthöhe liegen. Im Juni sprach sich eine Mehrheit für den Vorschlag von Nantermod aus. Als Nächstes muss sich der Ständerat mit dem Geschäft auseinandersetzen.
Wie sieht dieser druck aus? Steht die pharmalobby mit eine pistole da? Vielleicht soll das parlament die lobby einfach rausschmeissen, nein sagen lernen??
Parallellimport von generika, jetzt, und generika pflicht machen!
kommt mir irgendwie bekannt vor (Pensionskasse..).
beim Tardoc muss es viel schneller gehen, alle an einen Tisch und verhandeln bis die Lösung steht. kann ja nicht sein, dass deswegen die Kosten munter weiter steigen..