Der Prämiensprung ist nicht so schlimm wie angekündigt, nicht 10 Prozent oder mehr. Aber er ist trotzdem happig: Die Krankenkassenprämien steigen im Schnitt um 6.6 Prozent. Im Tessin, in Neuenburg und Appenzell schlagen sie gar mehr als 9 Prozent auf. «Für viele Haushalte ist dieser Anstieg schwer zu ertragen, gerade für Familien und für Personen mit tiefen Einkommen», sagte Gesundheitsminister Alain Berset.
Er erinnert deshalb daran, dass Personen mit geringen finanziellen Mitteln Anrecht auf Prämienverbilligungen haben. Der Bund, der verpflichtet ist, einen Mindestbeitrag an Prämienverbilligungen zu zahlen, muss für 2023 aufstocken. Berset: «Der Bund zahlt mehr als 3 Milliarden Franken an die Prämienverbilligungen, 170 Millionen mehr als im Jahr davor.»
Inwiefern sich auch die Kantone an weiteren Prämienverbilligungen beteiligen, ist noch unklar. Sie sind im Unterschied zum Bund nicht verpflichtet, einen fixen Beitrag zu leisten.
Vier Jahre lang konnten die Versicherten in der Schweiz etwas verschnaufen. Die Prämien sind seit 2018 kaum gewachsen, im Schnitt bis heute um 1.5 Prozent. Zuletzt waren sie gar leicht rückläufig. Tempi passati. Denn die Prämien folgen den Kosten. Und diese steigen derzeit wieder kräftig. Fürs kommende Jahr wachsen sie um rund 8 Prozent. Dass die Prämien nicht noch mehr steigen, liegt an einer knappen Berechnung der Prämien: Die Krankenkassen bauen weiter Reserven ab.
Alain Berset erklärte zum bisher zehnten Mal die Kostenentwicklung. Die Gründe sind bekannt. Nebst der alternden Gesellschaft und dem technologischen Fortschritt gelten Überversorgung und hohe Preise als Kostentreiber. Doch 2021 und 2022 kommt ein zusätzlicher Faktor hinzu: Corona.
Laut Anne Lévy, Direktorin des Bundesamts für Gesundheit, hat in erster Linie die Pandemie die Kosten derart in die Höhe getrieben. Und zwar habe es einen grossen Nachholeffekt gegeben. Eingriffe wurden aufgeschoben, die Menschen gingen selten zum Arzt – darum auch die Verschnaufpause bei den Prämien. Ab zweitem Halbjahr 2021 stiegen die Gesundheitskosten plötzlich rasant an, deutlich mehr Leistungen wurden nachgefragt. Dieser Effekt hat bis heute nicht nachgelassen.
Zudem fielen wegen Corona spezifische Zusatzkosten an: Rund 250 Millionen Franken bezahlten die Krankenkassen fürs Impfen, 300 Millionen für stationäre Aufenthalte von Patienten. Wie viele wegen Coronasymptome oder Long Covid zum Arzt gingen, lässt sich nicht beziffern. Das BAG rechnet abermals mit mehreren hundert Millionen Franken. Denn Corona löste eine höhere Sensibilität des eigenen Gesundheitszustands aus. Die Menschen, gerade Junge, waren verunsichert und suchten häufiger eine Ärztin auf.
Wer die Kosten etwas aufdröselt, sieht schnell: Im Bereich Spital ambulant wuchsen die Kosten um 9.4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die Leistungen von Apotheken um 7,6, jene der Spitex um 6.6 und Ärztebehandlungen um 3.6 Prozent. Wohingegen die Kosten für stationäre Spitalleistungen rückläufig sind.
Dieser Trend ist politisch gewollt. Die Spitäler haben Vorgaben, Eingriffe ambulant zu machen und die Patienten am selben Tag wieder nach Hause zu schicken. Auch Corona hat diesen Effekt befeuert. Für die Prämienzahler hat dies direkte Konsequenzen: Eine ambulante Knieoperation geht voll zu Lasten der Krankenkassen, während eine Knieoperation mit Übernachtung (stationär) zu 55 Prozent vom Kanton finanziert wird.
Die Finanzierung driftet seit Einführung der obligatorischen Krankenversicherung auseinander: 1995 zahlten die Kassen 10.2 Milliarden Franken an Gesundheitsleistungen, 2019 waren es 31.1 Milliarden. Die Kantone steigerten sich von 4.4 auf 13.5 Milliarden. Und auch die Patienten tragen nebst Steuern und Prämien einen zünftigen Selbstkostenbeitrag von 20.2 Milliarden Franken, 1995 waren es noch 11.5.
Seit 2009 gibt es im Bundesparlament Bestrebungen, dies zu ändern und eine einheitliche Finanzierung aller Gesundheitsleistungen einzuführen. Die Kantone sperren sich dagegen. Neu wird diskutiert, ob die Kantone einen fixen Beitrag an die Prämienverbilligungen zahlen müssen – und mehr zur Entlastung beisteuern. Doch auch dort gehen sie auf die Barrikaden.
Natürlich: Für die Bürgerinnen und Bürger ist das nicht unbedingt eine Erleichterung. Sie finanzieren die Kosten entweder als Steuerzahler oder als Prämienzahler. Einen Unterschied gibt es doch: Spüren die Kantone das Kostenwachstum nicht mehr direkt, schwindet auch ihr Interesse daran, Kosten zu sparen.