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Maurer erwartet Aufhebung der Massnahmen – und kritisiert die Medien

Interview

Ueli Maurer erwartet Aufhebung aller Massnahmen – und kritisiert die Medien

Bundesrat Ueli Maurer hadert mit der Coronapolitik – und auch mit dem Kauf des US-Kampfjets F-35. Vor allem aber sorgt sich der SVP-Finanzminister um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes: Die Schweiz drohe den Anschluss zu verlieren. Darum kämpft er für die Abschaffung der Emissionsabgabe.
21.01.2022, 06:3421.01.2022, 10:03
Doris Kleck und Patrik Müller / ch media
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Der Bundesrat sieht trotz rekordhoher Ansteckungszahlen von zusätzlichen Massnahmen ab. Ist die Regierung auf den Ueli-Maurer-Kurs eingeschwenkt: möglichst keine Einschränkungen?
Ueli Maurer:
Die Situation hat sich verändert. Omikron führt kaum zu schweren Krankheitsverläufen, darum kann man schrittweise normalisieren.

Sie wollten schon früher normalisieren, drangen aber nicht durch.
Im Nachhinein kann man sich fragen, ob man zu lange damit gewartet hat. Für mich beruhte die Politik immer auf drei Säulen: Gesundheit schützen, wirtschaftliche Folgen abfedern, Gesellschaft am Leben erhalten. Anfänglich ging es fast nur um die Gesundheit, inzwischen werden andere Fakten mitberücksichtigt.

Switzerland's Finance Minister Ueli Maurer poses as he arrives for a meeting of G20 finance and health ministers at the Salone delle Fontane (Hall of Fountains) in Rome, Friday, Oct. 29, 2021. A  ...
«Ich habe als SVP-Präsident das Instrument des Referendums selber so oft gebraucht, dass es nicht glaubwürdig wäre, wenn ich mich nun über die SP ärgern würde»: Finanzminister Ueli Mauer.Bild: keystone

Soll man Corona nur noch wie ein Grippevirus behandeln?
Wer «Grippe» sagt, gilt sogleich als Verschwörer. Wie immer man es benennt – das Virus ist mutiert und scheint nicht mehr so gefährlich. Wenn sich dieser Befund bestätigt, kann man alle Massnahmen aufheben. Die ersten Trends stimmen zuversichtlich, aber um dies zu entscheiden, ist es noch zu früh.

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Die Warnung des BAG von letzter Woche, dass gleichzeitig 10 bis 15 Prozent der Arbeitskräfte infiziert sein könnten, scheint sich nicht zu erfüllen.
Wenn die Experten solche Szenarien entwerfen, wird in den Medien oft nur der schlimmstmögliche Fall dargestellt. Das ergibt ein zu einseitiges Bild. Aber die Medien brauchen halt jeden Tag eine Schlagzeile. Sie haben leider wesentlich zu dieser Misere beigetragen, weil sie nur das Schlimmste pflegen. Der Schaden, den die Medien angerichtet haben, ist nicht zu unterschätzen. Bundesrat, Parlament und Kantone beschlossen nicht zuletzt unter diesem Druck Massnahmen, die im Rückblick vielleicht nicht im jeweiligen Umfang nötig gewesen wären. Das ist mein Vorwurf an die Medien.

Der Bundesrat lässt sich leiten von den Medien?
Das nicht. Aber die Medien tragen logischerweise zur Meinungsbildung in der Öffentlichkeit und leider auch in den Behörden bei. Das beeinflusst die Stimmungslage. Der mediale Druck auf die Politik wurde enorm, es entstand nicht nur beim Bundesrat ein Verschärfungshype. Gezielte, differenzierte Massnahmen wie der Schutz vulnerabler Gruppen waren fast nicht mehr möglich, nein: Es musste generell geschlossen und verschärft werden.

Man könnte es auch anders sehen: Dank der Medien, die nicht verharmlosten, verhielten sich die Leute eigenverantwortlich und vorsichtig – sodass in der Schweiz keine rigiden staatlichen Massnahmen nötig wurden!
Ich weiss, dass Journalisten Medienkritik schlecht vertragen (lacht). Lassen wir's.

Wenn Sie die Vielfalt der Stimmen vermissen: Gibt's die denn im Bundesrat? Wird da offen und kon­trovers diskutiert?
Ja, durchaus. Aber nur mündlich. Schriftliche Mitberichte kann man nicht mehr eingeben, sonst werden sie vor der Sitzung publiziert. Was ich für unsäglich halte. Wie der Volksmund sagt: Die Hand, die einen füttert, beisst man nicht.

Ihr Departement ist federführend bei den Härtefall-Programmen für notleidende Firmen. Wie viel Geld geben Sie dafür aus?
Für das erste Halbjahr 2022 gehen wir von einer geschätzten Milliarde Franken aus, 200 Millionen übernehmen die Kantone, 800 Millionen der Bund. Die Härtefall-Verordnung kommt am 2. Februar in den Bundesrat. Sie sieht Regelungen bis Mitte Jahr vor. Danach muss die Situation neu beurteilt werden.

Man hört, Sie wollen strengere Kriterien für die Härtefall-Gelder?
Nicht strenger, aber es soll nicht mehr flächendeckend unterstützt werden. Jetzt machen wir eine Einzelfall-Beurteilung, der Staat übernimmt einen Teil der Fixkosten – und es muss nachgewiesen werden, dass die Firma Massnahmen getroffen hat, um die Ausfälle zu verringern.

Einzelfälle beurteilen: klingt nach Bürokratie!
Nein. Das ist Fairness. Warum soll ein Bergrestaurant, das super läuft, gleich entschädigt werden wie eine Landbeiz, die leidet? So kompliziert ist das Einreichen eines Gesuches nicht.

Geht es also hauptsächlich um die Gastronomie?
Nein, im Vordergrund stehen vor allem die Fitness- und Eventbranche sowie die Reiseveranstalter. Diese sind insgesamt stärker betroffen als die Gastronomie.

Um weniger grosse Beträge geht es bei der Stempelsteuer. Die Emissionsabgabe, die Bundesrat und Parlament abschaffen wollen, bringt nur 250 Millionen Franken ein. Ärgert es Sie, dass das Volk darüber abstimmt, weil die SP das Referendum ergriffen hat?
Ich habe als SVP-Präsident das Instrument des Referendums selber so oft gebraucht, dass es nicht glaubwürdig wäre, wenn ich mich nun über die SP ärgern würde (lacht). Die Chancen, dass das Volk zustimmt, sind ja vorhanden.

2005 hielt der Bundesrat fest: «Eine Aufhebung der Emissionsabgabe würde zu keiner spürbaren Verbesserung des Wachstumspotenzials unserer Wirtschaft führen.» Warum sollte dieser Satz heute nicht mehr gelten?
Weil sich die Voraussetzungen durch verschiedene Steuerreformen inzwischen geändert haben und auch der Gesamtbundesrat die damalige Aussage korrigiert hat. Schauen Sie: Wenn Sie die Emissionsabgabe isoliert betrachten, ist sie für das Wachstum tatsächlich nicht so wichtig. Aber es geht um das grosse Bild der Massnahmen für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz!

Wie meinen Sie das?
Die Schweiz verliert massiv an Wettbewerbsfähigkeit, unter anderem wegen der internationalen Steuerharmonisierungen. Dort, wo wir Gegensteuer geben können, müssen wir das tun, damit der Standort für Firmen attraktiv bleibt und Arbeitsplätze erhalten und geschaffen werden. Eine veraltete, schädliche Steuer abschaffen: Das ist ein wichtiges Signal.

Warum soll die Steuer veraltet sein?
Nur Liechtenstein, Griechenland und Spanien kennen diese Steuer noch – das kann nicht unser Benchmark sein. Unsere Gegner sehen die 250 Millionen. Das ist Buchhalter-Mentalität. Es geht um das grosse Ganze. Sind wir für Firmen attraktiv, fliessen die verlorenen Steuern mehr als zurück.

Woran machen Sie fest, dass wir an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben sollen?
Die Zuzüge von Firmen haben in den letzten Jahren stagniert. Wir sind im Industriebereich nicht mehr spitze. Wichtige Industrieunternehmen mit weltweiter Ausstrahlung haben an Bedeutung eingebüsst, und auch der Finanzbereich hat Tausende von Arbeitsplätzen verloren. Es gibt zum Glück auch einige erfolgreiche Beispiele, aber diese haben nicht die Grösse und Bedeutung der früheren Industriekonzerne und bauen primär im Ausland aus. Auch im IT-Bereich haben wir keine führenden Firmen. Wir drohen mittel- und langfristig als Standort den Anschluss zu verlieren.

Ist das wirklich wegen der Steuern?
Sie sind nur ein Faktor. Aber sie gehö­ren zum Gesamtbild. Indem wir die Bildung von Eigenkapital von der Stempelsteuer befreien, senden wir das wichtige Signal aus, dass wir Investitionen für Firmen mit Wachstumspotenzial fördern und anziehen wollen.

«Die EU ist für uns wichtig, aber nicht der einzige Partner.»

Ist nicht der Zugang zum europäischen Markt – Stichwort Rahmenabkommen – viel wichtiger für die Standortattraktivität?
Gerade weil wir mit der EU in den nächsten Jahren keine perfekte Lösung haben werden, ist wichtig, dass wir Verbesserungen umsetzen, die wir eigenständig machen können.

Wie nach dem Nein zum EWR, als die Schweiz ein Revitalisierungsprogramm startete?
Es ist eine Daueraufgabe, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die EU ist für uns wichtig, aber nicht der einzige Partner. Vielleicht haben wir uns in den letzten Jahren zu sehr auf diesen Markt konzentriert. Wir benötigen einen breiteren Horizont.

Aber jeden zweiten Franken verdient unsere Wirtschaft in Europa - der Marktzugang ist zentral.
Richtig. Aber obwohl die EU der wichtigste Handelspartner der Schweiz ist, wird das Verhältnis weiterhin volatil bleiben. Darum ist es richtig, den Fächer aufzumachen.

Es geht also bei der Emissionsabgabe um den Standort. Dann zielt die Daumen-hoch-Kampagne, die auf KMU fokussiert, am Ziel vorbei.
Die Kampagne kommt vom Gewerbeverband. Die Vorlage von Bundesrat und Parlament geht aber über die KMU hinaus. Wir wollen Firmen unterstützen, die investieren und wachsen wollen. Grössere, kleinere, Start-ups – einfach alle.

Das Kapital – also die Firmen – wurden in den letzten Jahren stark entlastet, dafür sind für Personen etwa die Mehrwertsteuer oder die Abgaben für Sozialversicherungen gestiegen. Ist das in Ihrem Sinn?
Auch die Bürgerinnen und Bürger wurden entlastet. Die meisten Kantone haben in den letzten Jahren die Steuern für natürliche Personen gesenkt; andererseits werden Dividenden höher besteuert. Zudem wurden die Prämienverbilligungen erhöht oder die Steuerabzüge für die Fremdbetreuung von Kindern. Für die natürlichen Personen geht die Rechnung auf.

Das empfinden viele Leute ganz anders.
Das Problem ist, dass die Ansprüche steigen: Man wünscht sich mehr Wohnraum oder gibt mehr Geld aus für Freizeitaktivitäten. Für diese höheren Lebenskosten kann der Staat nichts. Und nehmen Sie die AHV: Dort profitieren rund 90 Prozent der Rentnerinnen und Rentner, weil die Gutverdienenden mehr einbezahlen.

Wir konnten lesen, dass Sie die Steuern für Topverdiener senken wollen wegen der Einführung einer globalen Mindeststeuer. Richtig?
Ich habe gesagt, es sei nicht ausgeschlossen, dass die Kantone solche Steuersenkungen prüfen. Der Bund wird das aber nicht tun. Ich habe gestaunt über die Schlagzeile der «NZZ am Sonntag». Etwas muss man aber bedenken …

… was denn?
Ein Prozent der Steuerpflichtigen bezahlt 40 Prozent der direkten Bundessteuern. 40 Prozent der Steuerpflichtigen mit Kindern bezahlen hingegen überhaupt keine direkte Bundessteuer, können aber oft staatliche Unterstützung etwa in Form von Prämienverbilligungen beantragen.

Wäre es denn richtig, dass die Kantone die Steuern für Grossverdiener senken?
Ich kann mir vorstellen, dass die Kantone ihre Steuerprogression genauer anschauen. Denn die Einkommenssteuer kann ein Grund sein, dass ein Topmanager seinen Steuersitz nicht in der Schweiz wählt, wo er Wochenaufenthalter ist. Wer so viel verdient, optimiert im Rahmen der Legalität seine Steuern.

Die Kantone sind quasi in Geiselhaft von ein paar wenigen Topverdienern. Bräuchte es nicht eine globale Mindeststeuer für Superreiche, um sie in die Schranke zu weisen?
Als Problem werden die hohen Löhne von ein paar wenigen, masslosen Managern empfunden. Man müsste darüber nachdenken, diese Löhne zu deckeln. Denn das Verständnis für die berechtigten Anliegen der Wirtschaft leidet sehr darunter.

Haben Sie auch schon überlegt, Steuern zu optimieren durch einen Wohnortswechsel?
Hinwil ZH ist steuerlich tatsächlich nicht attraktiv. Doch es braucht Solidarität mit der Wohngemeinde. Wo kämen wir hin, wenn alle ihre Steuern nur noch mit dem Wohnort optimieren würden?

Weil die Schweiz den amerikanischen Kampfjet F-35 kauft statt den Rafale, ist ein Steuerdeal mit den Franzosen geplatzt. 3.5 Milliarden Franken hätte Frankreich der Schweiz zusätzlich überwiesen in den nächsten Jahren. Angesichts des Corona-Schuldenbergs hätten Sie dieses Geld wohl gut gebrauchen können?
Der Bundesrat war der Meinung, dass mögliche Zugeständnisse Frankreichs die technische Überlegenheit des F-35 nicht aufwiegen. Sie wollten seinerzeit den Gripen kaufen. Braucht die Schweiz einen Hochleistungsjet wie den F-35? Ich glaube immer noch, dass der Gripen perfekt für die Schweiz gewesen wäre. Doch das Volk hat Nein gesagt. Jetzt schauen wir, ob es den F-35 möchte.

Hätte der Bundesrat in seinem Entscheid nicht noch andere Kriterien berücksichtigen müssen als das Preis-Leistungs-Verhältnis?
Der Bundesrat hat sich an Regeln der Ausschreibung gehalten, wonach das beste Preis-Leistungs-Verhältnis entscheidend war und politische Aspekte nicht berücksichtigt wurden.

Das ist Buchhaltermentalität. Die politische Führung dieses Landes nimmt sich selbst jeglichen Spielraum für einen politischen Entscheid.
Passen Sie auf, was Sie dem Bundesrat unterstellen (lacht).

Man gewinnt den Eindruck, dass Sie der Zeit als Vorsteher des Verteidigungsdepartements (VBS) nicht nachtrauern.
Das VBS ist ein unterschätztes Departement. Ich fühlte mich dort sehr zu Hause. Mit dem Gripen versuchte ich, die Maximalansprüche der Armee einzumitten. Sie hat die Tendenz, dass nur das Beste und der Swiss Finish gut genug ist. Dabei hätte der Gripen für die Schweiz genügt.

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Jonaman
21.01.2022 07:22registriert Oktober 2017
"40 Prozent der Steuerpflichtigen mit Kindern bezahlen hingegen überhaupt keine direkte Bundessteuer, können aber oft staatliche Unterstützung etwa in Form von Prämienverbilligungen beantragen."

Maurer kritisiert, dass Familien, die kaum ihre Krankenkassenprämien bezahlen können, keine direkten Bundessteuern bezahlen müssen? Ernsthaft?!
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Maria Cardinale Lopez
21.01.2022 06:47registriert August 2017
Herr Maurer bitte schauen Sie in den Spiegel und überlegen sich, was Sie alles für die Spaltung der Schweiz getan haben.
432195
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Nick Name
21.01.2022 07:18registriert Juli 2014
Einmal mehr der gewiefte Bauernfänger-Kommunikator. Was er da bezüglich den Medien verbreitet, disqualifiziert ihn bzw. die Arbeit der Behörden, Regierungen und Politik ja im Grund völlig selbst...

Aber er betont es natürlich auch so stark, weil jetzt über die Medienförderung abgestimmt wird.
Kommunikationsstrategie kann er, leider...
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