Die Schweizer Armee will ihre Kampfjet-Flotte erneuern. Einen Rahmenkredit von sechs Milliarden Franken hatte das Stimmvolk im September 2020 hauchdünn bewilligt. In die Endauswahl des Verteidigungsdepartements VBS kamen je zwei amerikanische und europäische Flugzeuge: F/A-18 Super Hornet und F-35 sowie Eurofighter und Rafale.
Ende Juni 2021 verkündete der Bundesrat seinen Entscheid: Das Rennen machte der F-35. Hersteller Lockheed-Martin habe mit Abstand das günstigste Angebot eingereicht, erklärte Verteidigungsministerin Viola Amherd. Die Überraschung war gross, denn der Hightech-Jet mit Tarnkappen-Technologie ist im Herstellerland USA nicht als Billigprodukt bekannt.
Die Begründung des VBS wurde von Anfang an kritisch hinterfragt. Im November musste es die Kosten nach der Bereinigung der Verträge bereits nach oben korrigieren. Nun hat das Onlinemagazin «Republik» eine dreiteilige Serie veröffentlicht. Sie zeigt neue Ungereimtheiten um den Entscheid für den F-35 auf, die den Jet in Turbulenzen bringen.
Kein Land hat sich so intensiv um den Deal bemüht wie Frankreich. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und Verteidigungsministerin Florence Parly kamen letztes Jahr persönlich nach Bern und machten ziemlich offensiv Werbung für den Rafale von Hersteller Dassault. Staatspräsident Emmanuel Macron telefonierte dreimal mit Bundespräsident Guy Parmelin.
Ausserdem reisten mehrere Bundesratsmitglieder nach Paris. Bislang wurde kolportiert, die Franzosen hätten der Schweiz ein «unmoralisches» Angebot gemacht, damit der Rafale zum Zug käme. Laut der «Republik» war es eher umgekehrt: Es war die Schweiz, die Frankreich mit immer neuen Wünschen und Forderungen konfrontierte. Und Paris ging darauf ein.
So hätte die Schweiz einen höheren Anteil aus der Grenzgänger-Besteuerung erhalten. Das hätte der Bundeskasse rund 3,5 Milliarden Franken eingebracht. Offenbar war Frankreich auch bereit, sich während seiner EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 für eine Überwindung der Blockade nach der «Beerdigung» des Rahmenabkommens einzusetzen.
Ende März 2021 lag der Evaluationsbericht der Rüstungsbehörde Armasuisse vor, der den Vorsprung des F-35 aufzeigte. Dennoch verhandelten Aussenminister Ignazio Cassis und Finanzminister Ueli Maurer weiter mit den Franzosen. Der Bundesrat liess Paris «bis zuletzt im Glauben, Frankreich erhalte den definitiven Zuschlag», schreibt die «Republik».
«Das Resultat ist ein diplomatisches Desaster», kommentieren die Tamedia-Zeitungen. Denn statt Tauwetter herrscht Eiszeit. Macron liess im September ein persönliches Treffen mit Parmelin platzen. Und während der EU-Ratspräsidentschaft ist die Schweiz kein Thema, wie der französische Botschafter Frédéric Journès der NZZ sagte.
Kann es sein, dass der F-35 das billigste Produkt ist? Die vorhandenen Zweifel werden durch die «Republik»-Recherchen verstärkt. Armasuisse habe den Tarnkappen-Jet in mehreren Punkten «billig gerechnet», lautet der Vorwurf. So habe man den Anbietern 180 Flugstunden pro Jahr und Jet vorgegeben, beim F-35 aber nur mit 140 Stunden kalkuliert.
Begründet wurde dies mit der angeblich einfachen Bedienung und den weit entwickelten Trainingssimulatoren. Weiter sei beim F-35 eine «fast wirkungslose Bewaffnung» mit einer einzigen Lenkwaffe für den Luftkampf eingeplant worden. Man habe die Infrastrukturkosten «viel zu tief» geschätzt, und die Offerte habe keine Software-Upgrades enthalten.
Nicht budgetiert sei auch der Lärmschutz, obwohl der F-35 «doppelt so laut» sei wie die heutigen F/A-18-Flugzeuge. Und schliesslich sei ein «extrem tiefer» Risikozuschlag für den Fall unerwarteter Probleme berechnet worden. Für die «Republik» ist deshalb absehbar, dass der F-35 «alle vom VBS kommunizierten Budgetberechnungen überschreiten wird».
Geschürt werden diese Befürchtungen durch die Erfahrungen in den USA und anderen Bestellerländern. So behauptete Viola Amherd im September, man habe «garantierte Verkaufspreise und garantierte Betriebskosten für die ersten zehn Jahre». Die USA aber könnten «kein Interesse an solchen Fixpreisen haben», schreibt die «Republik».
Der Grund seien die massiven Kostenüberschreitungen. Sie sorgen in den USA immer wieder für rote Köpfe. Denn das Hightech-Flugzeug kämpft mit technischen Problemen. Die US Airforce dürfte deshalb statt 1700 nur 900 F-35-Jets kaufen. Auch andere Länder wie Grossbritannien und Italien wollen weniger Exemplare beschaffen als ursprünglich geplant.
Als Scott Miller, der neue US-Botschafter in Bern, zum Hearing im Kongress erschien, fragte ihn der demokratische Senator Tim Kaine, warum die Schweiz sich beim Kampfjet-Kauf für eine «teurere amerikanische Technologie» entschieden habe. Der britische Militärjournalist Francis Tusa rechnet laut «Republik» mit Mehrkosten in Milliardenhöhe.
Die «Republik»-Serie ist höchst unangenehm für das VBS. Die Vorwürfe haben jedoch einen Beigeschmack. Sie stammen zumindest teilweise von den drei unterlegenen Anbietern. Diese seien naturgemäss «nicht glücklich über die Auswahl der Bundesrats», so die «Republik». Das ist eine Untertreibung, denn sie dürften auf einen Neustart hoffen.
Die Munition für einen nachträglichen «Abschuss» des F-35 liefert die Volksinitiative von GSoA, SP und Grünen, für die derzeit Unterschriften gesammelt werden. Sie galt bislang als nicht sehr chancenreiche Zwängerei, doch mit den Ungereimtheiten um die Kostenrechnung und die drohenden massiven Mehrausgaben könnte sie sogar das Ständemehr knacken.
Seit letztem November untersucht zudem die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Nationalrats, ob die Kampfjet-Beschaffung «rechtmässig und zweckmässig» erfolgt sei. Und die Eidgenössische Finanzkontrolle klärt die finanziellen Risiken ab. Das letzte Wort zu diesem Geschäft ist nicht gesprochen. Auf Viola Amherd kommen unruhige Zeiten zu.