Er sollte Kundinnen und Kunden der Migros dabei unterstützen, sich gesünder zu ernähren. Nach drei Jahren ist der sogenannte Nutri-Score jedoch bereits wieder Geschichte.
Am Montag hat die Migros darüber informiert, die Nährwert-Kennzeichnung nicht weiterzuführen. Verpackt in eine Medienmitteilung, die primär einen Abbau von 150 Stellen bekannt gab.
Der Nutri-Score werde schrittweise von den Migros-Produkten entfernt, die Erfahrungen hätten gezeigt, dass der Nutzen im Verhältnis zu den hohen Kosten zu gering sei.
«Die Kostenfrage ist ein vorgeschobenes Argument», betont Sara Stalder, Geschäftsleiterin des Konsumentenschutzes. Der Nutri-Score sei in den vergangenen Jahren mit vielen polemischen und auch falschen Argumenten diskreditiert worden, leider habe sich die Migros nun dem Druck von Lobbyisten und Politik gebeugt.
Stalder erwähnt Nahrungsmittel wie Käse, stark verarbeitete Fleischprodukte oder Süssgetränke. «Die erhalten ein D, je nachdem sogar ein E. Nicht die besten Aussichten für Produzenten. Solche Bewertungen sind aufgrund des hohen Fett-, Salz- oder Zuckergehalts jedoch angebracht.»
Auf politischer Ebene manifestierte sich die Kritik gegenüber dem Nutri-Score in einer Motion, die das Parlament im März verabschiedet hat. Die Kommission für Wirtschaft, Bildung und Kultur des Ständerates (WBK-S) fordert den Bundesrat darin auf, zu präzisieren, wie der Nutri-Score zum Einsatz kommt. Die anstehende Lebensmittelgesetzrevision biete sich dafür an.
Die Kommission ist nebst weiteren Aspekten der Meinung, dass der Einsatz des Nutri-Scores freiwillig und die Verwendung Sache der Marktakteure bleiben sollte.
Benedikt Würth, der damalige Präsident der WBK-S, war die treibende Kraft hinter der Motion. Der St.Galler Mitte-Ständerat präsidiert auch die Vereinigung AOP-IGP, welche traditionellen Schweizer Spezialitäten, hauptsächlich Käse und Fleisch, ein gesetzlich geschütztes Qualitätszeichen verleiht.
«Das Motiv von Benedikt Würth ist ganz klar, die AOP-IGP hat Angst, dass durch den Nutri-Score ihre Produkte weniger verkauft werden», sagt Stalder vom Konsumentenschutz. Traditionelle Nahrungsmittel wie der Gruyère-Käse und die St.Galler Bratwurst seien selbstverständlich eine Bereicherung, so Stalder weiter. «Dass sich die AOP-IGP aber dagegen wehrt, zu zeigen, was an Nährwerten in ihren Produkten enthalten ist, finde ich nicht korrekt.»
Seine Interessenbindung habe er immer offengelegt, entgegnet Würth auf Anfrage. In der Tat hat der Mitte-Politiker bei der Debatte im Ständerat transparent auf sein Mandat hingewiesen.
Dass die Migros entschieden hat, den Nutri-Score nicht weiterzuführen, begrüsse er sehr. Der Ansatz der Nährwert-Kennzeichnung sei falsch, weil er nur auf das einzelne Produkt fokussiere. Würth hat sich in seinem Votum im Ständerat für die allseits bekannte Lebensmittelpyramide als das wichtigste Instrument der Konsumenteninformation ausgesprochen.
Konfrontiert mit der Aussage, dass Produkte wie Käse und Fleisch auch in der Lebensmittelpyramide weit oben rangierten und deswegen die Information mittels Nutri-Score rechtfertigten, sagt Würth: «Wichtig ist, dass sich die Bevölkerung ausgewogen ernährt. Das ist der Kern der Lebensmittelpyramide.»
Auch was den Schweizer Sonderweg in Bezug auf die Europäische Union betrifft, vertreten Stalder und Würth gegensätzliche Positionen.
Derzeit debattiert die EU darüber, ob der Nutri-Score in ihren Mitgliedsländern als obligatorisch gelten sollte. Der Entscheid ist hängig, auch weil einzelne Staaten, darunter Italien, stark opponieren.
Sara Stalder ärgert sich über die Motion, mit der das Parlament dem Entscheid der EU zuvorkomme, «dieses Vorgreifen ist absurd». Eine obligatorische Einführung des Nutri-Scores sei hierzulande nun vom Tisch.
Unter anderem um einem Obligatorium vorzugreifen, habe seine Kommission die Motion lanciert, entgegnet Ständerat Benedikt Würth. «Der Entscheid des Parlaments zeigt: Die Mehrheit will nicht, dass der Nutri-Score obligatorisch wird. Die Schweiz vertritt somit eine ähnliche Position wie andere EU-Länder, die skeptisch oder ablehnend sind.»
Auch wenn derzeit nicht klar ist, wann der Entscheid gefällt wird: Sollte die EU den Nutri-Score für obligatorisch erklären, könnte es in der Schweiz kompliziert werden. Stalder sagt:
Auch die Migros stünde vor Herausforderungen. «Möchte sie in Deutschland weiterhin Läden betreiben, müsste sie den Nutri-Score dort verwenden.» Würth hingegen geht davon aus, dass die Nährwert-Kennzeichnung in der EU nicht obligatorisch wird, «auch aufgrund der zunehmend fachlichen Zweifel am Nutri-Score».