Der Wirtschaftsminister konnte seine Freude nicht verbergen. «Ich bin stolz, dieses Abkommen unterschrieben zu haben», sagte Bundesrat Guy Parmelin (SVP) am Montag vor den Medien. Tags zuvor hatte er zusammen mit seinen Efta-Amtskollegen aus Island, Liechtenstein und Norwegen in Neu-Delhi den Freihandelsvertrag mit Indien besiegelt.
Ganze 16 Jahre hatten die Verhandlungen gedauert. Der Weg zum Abkommen sei lang und kurvig gewesen, erklärte Parmelin. Es werde «die Schweizer Exporte in das aufstrebende Land markant vereinfachen», teilte der Wirtschaftsverband Economiesuisse mit. Der Weg aber ist nicht zu Ende. Bis zur definitiven Ratifizierung müssen Stolpersteine überwunden werden.
Indien ist dem seit dem letzten Jahr offiziell das bevölkerungsreichste Land der Welt, mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern. Das Potenzial ist riesig, doch für die Exportnation Schweiz war der Subkontinent bislang beinahe ein Nonvaleur. Auf der Liste der Abnehmer lag Indien mit einem Anteil von weniger als ein Prozent lediglich auf Platz 26.
Seit Jahren wird Indien als kommendes Wirtschaftswunderland gefeiert, doch die grossen Erwartungen haben sich nur im Ansatz materialisiert. Was auch daran lag, dass die indische Wirtschaft stark abgeschottet war. Die Regierung des Hindu-Nationalisten Narendra Modi, der im Mai beste Chancen auf eine Wiederwahl hat, setzt auf eine verstärkte Öffnung.
Modi will auch von der Schwäche des Erzrivalen China profitieren. Das erklärt, warum es in den zähen Verhandlungen über das Efta-Freihandelsabkommen so schnell zum Durchbruch kam. Profitieren wird in erster Linie die Schweizer Maschinenindustrie, die durch Zölle von bis 20 Prozent gebremst wurde. Sie sollen teils sofort oder schrittweise aufgehoben werden.
Bislang war Indien für die Industrie laut der NZZ unbedeutender als Spanien und Österreich. Der Branchenverband Swissmem begrüsst das Abkommen ausdrücklich und spricht von einem «Lichtblick in einer schwierigen Phase». Wegen der Absatzschwäche in China und in EU-Ländern, namentlich Deutschland, mussten Industriefirmen Kurzarbeit einführen.
Bedenken gegenüber dem Freihandel gibt es in der Landwirtschaft. Sie soll vom Indien-Deal gemäss Parmelin kaum betroffen sein. Der Bauernverband will das Abkommen trotzdem genau prüfen. Grösstes Hindernis für einen Abschluss war die Pharmabranche, der mit Abstand wichtigste Exportsektor der Schweiz. Sie hatte Bedenken wegen der Patente.
Indien ist selbst ein Pharma-Gigant und wird als «grösste Apotheke der Welt» bezeichnet. Als wichtigster Hersteller von Generika beliefert Indien vor allem arme Länder mit günstigen Medikamenten. Die Schweizer Hersteller klagten, ihre Patentrechte würden dabei zu wenig beachtet. Sie forderten entsprechende Absicherungen in einem Freihandelsabkommen.
Bei den geistigen Eigentumsrechten habe man «Verbesserungen» erreicht, betonte Guy Parmelin. Die Branche aber bleibt skeptisch. Man nehme den Deal in Delhi «zur Kenntnis», teilte der Verband Scienceindustries mit. Eine abschliessende Beurteilung des Abkommens sei erst nach Vorliegen des definitiven Textentwurfes möglich.
Selbst Economiesuisse deutet an, dass es beim geistigen Eigentum Luft nach oben gibt: «In Zukunft sind weitere Verbesserungen anzustreben.» Kritik kommt auch von der Gegenseite. Die globalisierungskritische Organisation Public Eye fürchtet, ein zu strenger Patentschutz gefährde die Versorgung der Ärmsten mit lebensnotwendigen Medikamenten.
In einem Brief an den Bundesrat vom Februar äusserte sich Public Eye «tief besorgt». Guy Parmelin versicherte am Montag, das Abkommen entspreche den von Nichtregierungsorganisationen vorgebrachten Bedenken. Der Zugang zu Medikamenten in Indien sei «in keiner Weise gefährdet». Offen bleibt, ob dies für Exporte von Generika in andere Länder gilt.
Allerdings haben auch die Inder hohe Erwartungen. In einem für ein Freihandelsabkommen ziemlich ungewöhnlichen Punkt verpflichten sich die Efta-Staaten zu Investitionen von 100 Milliarden Dollar und zur Schaffung von einer Million Arbeitsplätzen in den nächsten 15 Jahren in Indien. Das entspricht einer Verzehnfachung der bisherigen Investitionen.
Falls die Efta dieses Versprechen nicht einhält, kann Indien die Zollerleichterungen wieder aufheben. Es wäre «keine gute Idee, solche Investitionsziele zu einem neuen Standard für Freihandelsabkommen zu machen», kritisiert die NZZ. Bundesrat Parmelin erklärte, ohne diesen Teil wäre es enorm schwierig gewesen, ein ausgewogenes Abkommen zu haben.
Ambitiös ist es in jedem Fall, auch weil das siebtgrösste Land der Erde beträchtliche Probleme hat. Die Verkehrs- und die Energieinfrastruktur lassen in weiten Teilen Indiens zu wünschen übrig. Im Vergleich mit China muss Indien einen grossen Rückstand aufholen. Auch deswegen zögern westliche Firmen oft mit einem Einstieg, trotz des Potenzials.
Der Bundesrat leitet nun das Verfahren zur Genehmigung durch das Parlament ein. Dies dürfte Formsache sein. Die SVP etwa begrüsst den Abschluss ausdrücklich. Spätestens 2025 soll das Abkommen ratifiziert werden. Allerdings ist ein Referendum möglich. Public Eye und andere Organisationen ziehen es gemäss Tamedia in Erwägung.
Ein solches könnte kein Spaziergang werden, wie die knappe Annahme des Freihandels mit Indonesien 2021 gezeigt hat. Damals stand mit dem Palmöl ein Reizthema im Zentrum. Ein solches fehlt auf den ersten Blick im Indien-Deal. Dennoch muss sich zeigen, ob die Efta ihren Wettbewerbsvorteil gegenüber der EU, Grossbritannien oder Kanada halten kann.
Was werden dann die anderen Freihandelsabkommen kosten?
Ohne Worte.