In Zürich steht derzeit der erste T-Rex, der Schweizer Boden berührt hat – tot oder lebendig. Sein Name: Trinity. Doch der Dinosaurier ist nur noch bis zum 16. April in der Tonhalle zu bestaunen, danach kommt er unter den Hammer. Wie es dann weitergeht mit der Urzeitechse, ist ungewiss und hängt vom neuen Besitzer ab.
In die Präsentation von Trinity in Zürich ist in beratender Funktion Yolanda Schicker-Siber vom Sauriermuseum Aathal involviert. watson hat mit ihr über das Grabungsfieber, Stegosaurier, Spinosaurier und den T-Rex gesprochen.
watson: Die Verlockung ist gross, das Interview mit dieser Frage zu beginnen: Was ist Ihr Lieblingsdinosaurier?
Yolanda Schicker-Siber: Der Stegosaurus!
Und haben Sie schon einmal einen Stegosaurus ausgraben dürfen?
Nicht nur einmal. Und gerade aktuell bearbeiten wir eine Fundstelle im US-Bundesstaat Wyoming mit einem Stegosaurus. Das ist eine aufregende Geschichte.
Erzählen Sie.
Nach nur zwei Tagen an dieser Grabungsstelle habe ich vor einigen Jahren einen winzigen Schwanzwirbel gefunden. Wir haben dann weitergesucht – und plötzlich lag die ganze Wirbelsäule vor uns. Das ist ein so unglaubliches Gefühl, wenn man etwas Ganzes vor sich liegen hat und nicht einfach nur einzelne Knochen. Das ist das Schönste überhaupt. Und: Dieser Stegosaurus hat 70 bis 80 Prozent originale Knochenmasse. Das ist viel! Trinity zum Beispiel besteht aus 50 Prozent originalen Knochen.
Wie kommt man überhaupt dazu, sein Leben Dinosauriern zu widmen?
Ich bin mit Dinosauriern aufgewachsen, meinem Vater gehört das Sauriermuseum Aathal. Ich war schon als Kind bei Ausgrabungen dabei. Saurier waren also nichts Spezielles für mich. Bei der Berufswahl war klar: Ich will ganz sicher nichts machen mit diesen alten Knochen. Darum habe ich eine Ausbildung zur Schneiderin gemacht. Ein paar Jahre später, nach der Rückkehr von einer längeren Reise, half ich vorübergehend im Sauriermuseum bei den Präparatoren aus. Da hat es mich gepackt.
Und aus «vorübergehend» wurde eine Leidenschaft.
In der Schweiz gibt es keine Ausbildung zur Präparatorin. Ich habe zwar einige Kurse besucht an der Uni – aber wie man präpariert, musste ich trotzdem autodidaktisch lernen. In amerikanischen Museen habe ich dann als Volontärin das Handwerk gelernt.
Und heute kehren Sie in die Staaten zurück, um nach Stegosauriern zu graben.
Wir graben, um neue Ausstellungsstücke für das Museum zu bekommen, und in den Staaten kommt uns die rechtliche Situation entgegen. Denn auf privatem Land darf man in den USA graben und die Knochen danach legal in die Schweiz ausführen, wenn man ein Abkommen mit dem Landbesitzer hat.
Wie erkennen Sie, wo sie graben müssen?
Die Landbesitzer kennen ihren Boden sehr gut und wissen, wo die Saurier liegen könnten. Wir schauen uns dann zuerst die Oberflächensituation an – und dank unserer jahrelangen Erfahrung können wir rasch beurteilen, ob es sich lohnt, auch wirklich zu graben.
Wann lohnt es sich?
Wir suchen zuerst nach Bruchstücken, kleinen Brosmen, die aus dem Boden herauswittern. Wenn die Stelle vielversprechend erscheint, beginnen wir kleinflächig zu graben. Wenn dann noch ein zweiter oder sogar dritter Knochen zum Vorschein kommt, wird es interessant. Aber wissen, was zum Vorschein kommen wird, tun wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Darum fahren Sie die grossen Geschütze auf.
Genau. Dann holen wir den Bagger. Manchmal hat man Pech und die Knochen des Dinosauriers liegen nicht nur auf dem Land, für das man die Bewilligung hat zu graben. Das kann frustrierend sein. Da, wo wir graben dürfen, dokumentieren wir die Anordnung der Knochen und gipsen sie zusammen mit dem umgebenden Gestein ein, bevor wir sie in die Schweiz transportieren. Hier befreien wir die Knochen aus ihrem Gipskleid, präparieren sie und bereiten sie auf die Ausstellung vor.
Sie gipsen die Knochen ein?
Wir können die Objekte nicht einfach aus dem Boden reissen, sonst zerbröseln sie. Wir müssen darum sehr vorsichtig vorgehen bei der Bergung. Wenn wir eine Serie haben, graben wir blockweise aus und diese Blöcke werden eingegipst. Erst in der Schweiz beim Präparieren lösen wir die Knochen dann aus dem Gestein. Da die Knochen bereits im Boden gebrochen sind, stabilisieren wir sie währenddessen fortlaufend mit Leim, sonst würden sie auseinanderfallen, sobald sie aus der Gesteinshülle gelöst werden.
Das tönt nach einer gigantischen Sisyphus-Arbeit.
Ausgegraben haben wir die Knochen schnell. Aber sie zu präparieren und für die Ausstellung vorzubereiten, geht Jahre. Wir müssen etwa die fehlenden Knochen mit künstlichem Material ergänzen.
Wenn Sie fehlende Knochen ergänzen, müsste also bekannt sein, aus wie vielen Knochen genau Dinosaurier bestanden und wie diese angeordnet waren. Wie sieht das zum Beispiel bei dem Stegosaurus aus, den Sie gerade bearbeiten?
Unser Glück ist, dass wir mittlerweile Stegosaurus-Experten sind. Dieses Exemplar ist bereits der fünfte Stegosaurus, den wir ausgraben. Wenn wir alle unsere fünf Exemplare anschauen, dann können wir auf das ganze Skelett schliessen. Was wir aber immer noch nicht wissen, ist, wie die Platten auf dem Rücken der Tiere angeordnet waren, denn die sind nicht mit dem restlichen Skelett verbunden. Waren sie parallel zueinander oder versetzt? In einer Reihe? Konnte das Tier sie vielleicht sogar bewegen?
Das ist spannend! Haben Sie Forschende, die ihre Skelette auf diese Fragen hin untersuchen?
Das Sauriermuseum arbeitet sehr eng mit der Wissenschaft zusammen. Bereits auf der Grabung haben wir Wissenschafterinnen und Wissenschaftler dabei – wir sind immer ein internationales Team. Sobald die Dinosaurier im Museum sind, kommen die Forschenden zu uns. An unseren Stegosaurus-Skeletten wird derzeit leider nicht geforscht. Aber es gäbe vieles zu forschen – zum Beispiel, wie die Rückenplatten angeordnet waren. Man könnte auch die Ansatzstellen der Blutgefässe unter die Lupe nehmen. Es gibt die These, dass die Tiere Blut in die Platten pumpen konnten, um die Farbe zu verändern oder die Durchblutung zu regulieren. Aber das muss alles noch untersucht werden. Manchmal krempelt die Auswertung neuer Daten alles um, was man über eine Art zu wissen glaubte.
Haben Sie ein Beispiel?
Der Spinosaurus ist ein anschauliches Beispiel. Man ging lange davon aus, dass es sich bei dem Tier mit den auffälligen Wirbelfortsätzen auf dem Rücken um ein Landtier handelte. Bis in einer kürzlich veröffentlichten Studie die Knochendichte untersucht wurde und diese war auffällig hoch. So wurde die These gestützt, dass der Spinosaurus vorwiegend im Wasser lebte und jagte. Es gibt noch so viele offene Fragen! Und jeder Fund kann neue Fragen in den Raum stellen.
Das bringt mich zu Trinity. Der T-Rex, der derzeit in Zürich zu bestaunen ist, gehörte bis anhin einer Privatperson und ist darum wissenschaftlich völlig unberührt. Wenn das Skelett bei der Auktion im April jetzt wieder in einer Privatsammlung verschwindet und erneut über Jahrzehnten nicht zugänglich ist für die Forschung, geht doch ein 11 Meter langer Datensatz verloren, aus dem unzählige Forschungsfragen hervorgehen könnten. Wie schätzen Sie das ein?
Das Sauriermuseum ist in beratender Rolle in den Aufbau von Trinity involviert, darum bin ich nahe am Thema dran. Meiner Einschätzung nach ist der Druck von aussen derzeit sehr hoch, dass das Skelett der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich gemacht werden muss. Trinity ist mittlerweile eine Berühmtheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Skelett einfach wieder verschwindet. So wäre es möglich, dass sich der neue Käufer zwar nicht zu erkennen geben will – aber das Skelett trotzdem als Leihgabe in ein Museum gibt.
Auch das Sauriermuseum hat schon Knochen gehandelt. Steht das nicht im Widerspruch zu Ihren wissenschaftlichen Ansprüchen?
Die Zusammenarbeit mit Forschenden und wissenschaftlichen Institutionen ist uns, wie gesagt, sehr wichtig. Unter anderem hat mein Vater, Hans Jakob Siber, zehn unserer Original-Dinosaurier der Uni Zürich geschenkt, für das neue Naturmuseum, das kommen wird. Alle dieser zehn Dinos sind als Sammlung für die Wissenschaft von unschätzbarem Wert. Mit der Schenkung wollen wir gewährleistet, dass die Sammlung zusammenbleibt und an einem würdigen Ort ausgestellt wird.
Aber zurück zur Frage: Wir sind ein privates Museum und müssen uns und unsere Grabungen finanzieren. Ohne diese Verkäufe wären wir nicht da, wo wir heute sind.
Können Sie das ausführen?
Gerade während der frühen Jahre unseres Museums war es so, dass wir Objekte verkauften, um wiederum eine Grabung mitzufinanzieren. Die Skelette, die dabei gefunden wurden, konnten wir dann der Öffentlichkeit präsentieren. Es war ein Kreislauf.
Und das ist heute nicht mehr so?
Heutzutage gibt es die Möglichkeit, unsere originalen Skelette weltweit bei Ausstellungen zu präsentieren. Unser Ziel ist es, mit solchen Shows bald genug einzunehmen. Ich will an dieser Stelle aber anmerken, dass die meisten grossartigen Funde von privaten Sammlern gemacht wurden, und die Museen haben diese Funde gekauft oder als Leihgabe ausgestellt. Bei so speziellen Stücken wie Trinity, die sich Institutionen nicht unbedingt leisten können, kommt es zudem immer häufiger vor, dass Investoren die Skelette für neue Museen ersteigern – gerade sehr viele im asiatischen Raum. Der Handel mit Dinosaurierskeletten wird so zu einer Chance für Museen und die Wissenschaft.
Was lieben Sie am meisten an Ihrem Job?
Es ist der beste Job der Welt! Er ist so vielseitig: vom Ausgraben bis zum Ausstellen. Es gibt Momente, da kann ich kaum fassen, was für ein Glück ich habe, einen Job zu machen, der mir so viel Freude bereitet. Klar, manchmal ist es brutal anstrengend, aber das beflügelt umso mehr, wenn man es geschafft hat. Ich habe ein tolles Team an meiner Seite und auch meine Familie unterstützt mich, wo sie nur kann.
Was ist die Zukunft von Dinosauriern in Museen?
Unsere Besucher und Besucherinnen werden immer jünger. Bereits Kindergärtner kommen zu uns. Manchmal kommt es vor, dass diese Kinder sich Jahre später bei mir auf Grabungen bewerben. Das Dinosaurier-Fieber vergeht nicht.