Seit bald vier Wochen sind wir nun auf der «Polarstern» und bewegen uns mit der natürlichen Eisdrift durch die Arktis, mal nach Westen, mal nach Osten, mal nach Süden, aber insgesamt stetig nach Norden.
Der Wechsel von der «Kapitan Dranitsyn» auf die «Polarstern» hat vier Tage gedauert. Dabei mussten immerhin 200 Personen mit ihrem Gepäck und eine ganze Menge Fracht gezügelt werden und ich konnte zum ersten Mal in meinem Leben auf schwimmendes Meer-Eis gehen. Ein merkwürdiges Gefühl, wenn man weiss, dass einen lediglich 80 Zentimeter Eisdecke vom 4000 Meter tiefen Ozean trennen.
Mittlerweile sind wir alle in unserem neuen Alltag angekommen und auf der «Polarstern» herrscht geschäftiges Treiben. Unser Leben ist geprägt von der Kälte und den Bedingungen, die draussen herrschen. Viele von uns müssen täglich raus aufs Eis, um dort Messungen zu machen, Proben zu nehmen oder Geräte zu warten. Das Schiff zu verlassen ist aber nicht so einfach, wie man es sich vielleicht vorstellt.
Wer raus will, muss dies einen Tag früher anmelden. Dann ist da noch das Anziehen der Arbeitskleidung. Eine oder zwei Lagen Thermowäsche, darüber ein Fleece und zuoberst den speziellen Overall, der isoliert und auf dem Wasser schwimmt. Dazu kommen eine Halsschleife, die Gesichtsmaske, eine Fellmütze und dicke Fausthandschuhe. Die Devise lautet, möglichst wenig Hautfläche der Kälte auszusetzen. Bevor man schliesslich von Bord gehen kann, muss man sich auf einer Liste austragen. Abends müssen alle wieder zurück sein.
Aufs Eis dürfen wir nur in Gruppen. Jede Gruppe muss eine Eisbärenwache, ausgerüstet mit Funkgerät, Schreckschusspistole und Gewehr, dabei haben. Dafür mussten wir vor der Expedition alle ein spezielles Training absolvieren, das uns lehrte, mit den Waffen umzugehen. Um die Sicherheit auf dem Eis noch zu erhöhen, halten auf der Brücke permanent mehrere Personen mit Ferngläsern Ausschau nach Eisbären.
Wer jetzt denkt, dass wir bestimmt schon viele Eisbären gesehen haben, der irrt sich. Keinen einzigen bekamen wir zu Gesicht. So weit nördlich sind sogar die Eisbären selten. Dafür konnten wir bereits zweimal Polarfüchse beobachten. Einer hat leider die Datenkabel einiger Messgeräte angebissen auf der Suche nach etwas Essbarem und hat damit für einige Tage Gesprächsstoff gesorgt.
Draussen ist es meistens um die minus 30 Grad kalt. Wenn dazu noch Wind bläst, kann es sich schnell anfühlen wie bei minus 45 Grad. Eine solche Kälte habe ich vorher noch nie gefühlt. Meine Barthaare, Wimpern und Augenbrauen gefrieren innert Minuten und die Stirn schmerzt. Einige von uns haben sich bei der Arbeit bereits kleinere Frostbeulen auf der Nase und den Wangen zugezogen.
Neben der Kälte begleitet uns auch die Dunkelheit. Anfangs fiel sie mir nicht auf, draussen war es halt dunkel, aber das ist es zuhause im Winter ja auch immer, wenn man Abends aus dem Büro kommt. Mit der Zeit habe ich fast vergessen, dass es Orte gibt, an denen die Sonne scheint. Nach einigen Wochen ohne Tageslicht wurde es mir dann aber doch bewusst, dass etwas fehlt. Inzwischen freue ich mich wirklich darauf, wieder einmal Tageslicht und Sonne zu sehen. Auch dieses Gefühl ist mir neu.
Und wenn ich dann noch Whatsapp Nachrichten bekomme von Freunden, die gerade ein schönes Wochenende in den Bergen verbringen, werde ich doch etwas neidisch. Einige von uns haben sogar ihre eigenen Tageslichtlampen mitgebracht, um sich wenigstens ein wenig wie in der «normalen Welt» zu fühlen.
Mein Kontakt zur «normalen Welt» ist etwas eingeschränkt. Wir können E-Mails schreiben und Whatsapp nutzen, allerdings keine Bilder verschicken. Ins World Wide Web können wir nicht. Die WLAN Verbindung ist eher langsam. Für mich ist das gar nicht schlecht, da ich mich so besser auf die Situation hier oben einlassen kann. Und der «digital Detox» tut mir definitiv auch gut. Um die wenigen Nachrichten, die ich von zuhause bekomme, freue ich mich aber dennoch.
(Aufgezeichnet von fox)
Bleibt am Ball und Danke!