Dunkelheit und Eis. Das sind die einzigen zwei Dinge die ich sehe, wenn ich nach draussen schaue. Seit bald zehn Tagen sind wir nun unterwegs Richtung Norden. Wir befinden uns an Bord des russischen Eisbrechers «Kapitan Dranitsyn», der mich und etwa 90 weitere Teilnehmende der «MOSAiC Expedition» zum Forschungseisbrecher «Polarstern» bringt.
Die MOSAiC («Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate») Expedition ist die grösste je durchgeführte Forschungsexpedition in der Arktis. Die «Polarstern» lässt sich für ein ganzes Jahr im Eis einfrieren und driftet mit ihm quer durch das Nordpolarmeer. Ziel der Expedition des Alfred-Wegener-Instituts ist es, die komplexen Prozesse, die zum Klimawandel im Nordpol beitragen, besser zu verstehen.
Die Arktis erwärmt sich etwa doppelt so schnell wie der Rest der Welt. Die genauen Gründe dafür sind nach wie vor unklar, sie zu kennen ist aber wichtig, da die Arktis als Vorbote gilt für die zukünftige Entwicklung des weltweiten Klimas. Die Expedition ist aufgeteilt in sechs Etappen zu je zwei Monaten. Für jede Etappe werden die Seemannschaft und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Schiff ausgewechselt. Wir sind nun unterwegs, um unsere Kollegen für die zweite Etappe abzulösen.
Für mich haben die Vorbereitungen für die Expedition bereits früh begonnen. Im Mai habe ich angefangen, unseren Messcontainer am Paul-Scherrer-Institut mit verschiedenen Geräten auszustatten, mit welchen ich vorhabe, Aerosole zu messen. Aerosole sind kleine Schwebepartikel in der Atmosphäre, welche die Wolken und das Klima beeinflussen können. Ihre Effekte auf das Klima in der Arktis wollen wir studieren.
Am 23. November flog ich nach Tromso, um mit den Teilnehmenden der zweiten Etappe ein zweitägiges Sicherheitstraining zu absolvieren. Am 27. November sind wir im Hafen von Tromso an Bord der «Kapitan Dranitsyn» gegangen und in den Nachmittagsstunden ausgelaufen. In rund zwei Wochen sollten wir die «Polarstern» erreichen. Wegen eines starken Sturmes konnten wir vorerst nicht ins offene Meer hinausfahren und blieben einige Tage im Fjord. Ein Glücksfall für mich: So konnte ich erstmals Nordlichter beobachten und letztmals E-Mails zu checken oder ein E-Book herunterladen.
Denn die Internetverbindung auf dem Schiff ist danach eingeschränkt. Wir haben zwar – extra für Whatsapp – ein Wlan eingerichtet. Dieses hat aber eine so kleine Bandbreite, dass wir weder Bilder empfangen noch verschicken können. Nur Text ist also erlaubt, und selbst dies dauert eine gefühlte Ewigkeit. E-Mails können wir nur über eine gemeinsame Adresse versenden, diese wird darum auch nicht privat genutzt.
Inklusive der russischen Seeleute sind wir über 100 Leute an Bord. Platz, um sich zurückzuziehen, gibt es kaum. Die Kabinen sind klein und wir teilen jeweils eine zu zweit. In ihnen befinden sich zwei Betten, ein Tisch, ein Schrank und angebaut ein kleines Bad mit Dusche und WC. Es gibt einen Aufenthaltsraum auf dem Schiff, wo man gut lesen kann, sich zum Kartenspiel trifft oder einfach nur um zu plaudern.
Vor dem Aufenthaltsraum ist eine kleine «Bibliothek», die aber ausser einem einzigen Buch, einem Computer und einer Couch nichts enthält. Wer hier auf dem Schiff in Ruhe arbeiten möchte, der geht am besten in den Speisesaal und setzt sich an einen der Tische dort.
Obwohl, Ruhe findet hier sowieso niemand. Seit wir im Eis angelangt sind, begleitet uns ein ständiges Rauschen vom Eis, welches vom Schiff gebrochen wird und an dessen Seitenwänden vorbeizieht. Von Zeit zu Zeit wird das Rauschen von knirschenden Geräuschen abgelöst. Das hört sich dann an wie in diesen Filmszenen, wenn auf einem Schrottplatz diese riesige Eisenklaue ihre Eisenfinger in ein ganzes Auto bohrt um es hochzuheben (so habe ich diese Szenen zumindest im Kopf).
Dazu rüttelt das ganze Schiff permanent. Etwa so, wie es im Flugzeug manchmal rüttelt, wenn es durch etwas unruhige Luftschichten fliegt. Kaum vorstellbar, mit welcher Kraft sich dieses Schiff unaufhaltsam durchs Eis pflügt. Und im Moment ist das Eis erst ca. 50 Zentimeter dick. Der Eisbrecher soll mit seinen sechs Maschinen aber auch eineinhalb Meter dickes Eis locker schaffen.
Wer raus an die frische Luft möchte, bleibt nicht lang, draussen ist es minus 20°C kalt, wenn man den Wind-chill mitrechnet sind es minus 43°C.
Wir sind quasi von der Aussenwelt abgeschnitten. Die einzigen täglichen Fixpunkte sind die drei Mahlzeiten am Tag, die wir im Speisesaal zu uns nehmen. Den Rest des Tages gestalten alle individuell. Ich verbringe die meiste Zeit mit Lesen, Sport (es hat einen Fitnessraum mit zwei Laufbändern, zwei Fahrrädern und einem Ping-Pong-Tisch an Bord) und Vorbereitungen für meine Arbeit auf der «Polarstern» oder auf der Scholle. Viermal pro Woche können wir die Sauna und den Swimmingpool benutzen.
Dreimal pro Woche richten wir abends eine Bar ein im Aufenthaltsraum, wo sich alle zu Snacks und Getränken treffen. Diese Abende bieten gute Gelegenheiten, um Kontakt zu anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu knüpfen. Sie kommen aus verschiedenen Fachgebieten. Während ich im Team Atmosphäre bin, sind weitere Spezialisten für Eis, Ozean, Ökologie und Biogeochemie mit dabei.
Vor ein paar Tagen war ich auf der Brücke und konnte die Aussicht auf das Eis geniessen, das vor uns liegt. Hier oben im Norden herrscht zurzeit Polarnacht. In Tromso war es um die Mittagszeit jeweils ein paar Stunden hell, inzwischen bleibt es komplett dunkel. Damit der Kapitän etwas sieht, sorgen drei riesige Scheinwerfer auf dem Dach, welche die Offiziere mit Hebeln im Dach der Brücke steuern können.
Es sieht sehr eindrücklich aus, wie das Schiff durch diese weisse Ebene fährt. Das Eis ist sehr heterogen. Immer wieder ändert es seine Struktur, es erscheinen Risse, manchmal über 100 Meter breit, oder Presseisrücken, wenn sich zwei Schollen übereinander schieben. Manchmal müssen wir kurz rückwärts fahren, damit wir mit Anlauf durch stärkeres Eis brechen können.
Wir werden wohl in den nächsten 5-10 Tagen bei der «Polarstern» ankommen. Dann werden wir einige Tage Zeit haben, um unsere Projekte zu übergeben und das Schiff zu wechseln. Wie genau dies geschehen wird, hängt sehr stark von den Bedingungen auf dem Eis ab. Darum weiss dies im Moment noch niemand wirklich. Wir sind – einmal mehr – der Natur ausgeliefert.
(Aufgezeichnet von fox)