Frau Humprecht, sind Sie schon einmal auf Fake News hereingefallen?
Edda Humprecht: Das ist eine beliebte Frage, nur gibt es keine gute Antwort darauf. Wenn man darauf reinfällt, weiss man das in der Regel ja nicht. Das Hereinfallen ist auch nicht das grosse Problem. Worum es vielmehr geht, ist die Frage, warum Bürgerinnen und Bürger Fehlinformationen sowie Desinformationen weiterverbreiten.
Und was wäre hier die Antwort?
Einerseits spielen die Sozialen Medien eine zentrale Rolle. Man nutzt Instagram oder YouTube meistens nicht zu Informations-, sondern zu Unterhaltungszwecken. Man ist dann in einer anderen Stimmung, als wenn man eine Nachrichtenwebsite nutzt. Da geht es leichter von der Hand, etwas zu kommentieren oder unbedacht zu teilen. Nicht unbedingt, weil man denkt, dass es stimmt, sondern weil es die eigene Ansicht bestätigt und man Freunden oder Bekannten mitteilen will: «Seht ihr, diese Information bestätigt meine Meinung, ich hatte recht.» Das ist problematisch, weil so Fehl- oder Desinformationen eine grosse Reichweite bekommen. Das hat man bei der Fehlinformation gesehen, dass die Impfung unfruchtbar machen würde. Wenn man eine Nachricht besonders häufig liest, prägt sie sich ein. Auch wenn sich herausstellt, dass sie falsch ist.
Der Winterthurer YouTuber namens Sputim hat aufgezeigt, wie reibungslos die Fake-News-Verbreitung hierzulande funktioniert. Hunderttausende Impfskeptiker schauten seine Videos. Ein schlechtes Zeugnis für die Schweiz?
Interessant, davon habe ich nicht gehört. Allerdings muss man beachten: Tausende Views bedeuten nicht, dass all diese Leute impfkritisch sind. Gleichzeitig ist die Impfung ein Thema, das hierzulande stark polarisiert.
Wie oft verbreiten Schweizerinnen und Schweizer Desinformationen zur Impfung?
Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass man in der Schweiz grundsätzlich zurückhaltend ist, was das Weiterverbreiten, Kommentieren und Liken von Desinformationen betrifft. Sie werden hingegen häufig von prominenten Personen verbreitet, wie etwa von Politikern. So erreichen Desinformationen zur Impfung viele Menschen, was zur Folge haben kann, dass beispielsweise Schutzmassnahmen nicht mehr eingehalten werden. Wenn Politiker Impfskeptiker unterstützen oder die Entscheidungen der Regierung in Frage stellen, ist das Wasser auf die Mühlen von Desinformationsverbreitern. Das ist ein ganz zentrales Problem.
Was für Interessen haben Schweizer Politikerinnen und Politiker daran, Desinformationen zur Impfung zu verbreiten?
Meistens geht es darum, potenzielle Wählergruppen anzusprechen und politische Gegner zu diskreditieren. Wenn beispielsweise der Gesundheitsminister dem gegnerischen Lager angehört, bieten sich Desinformationen als Mittel an, um Misstrauen zu schüren und das Handeln dieses Politikers in Frage zu stellen. Auf der anderen Seite greifen die Medien diese Ereignisse auf. Auch sie tragen eine Verantwortung bei der Verbreitung von Desinformationen.
Aber die Behörden sind dem ja nicht hilflos ausgeliefert. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bekämpft Fake News zu Corona seit Beginn der Pandemie. Scheitert das BAG bei diesem Kampf?
Das BAG betreibt ein Fake-News-Monitoring, was nicht ganz einfach ist. Die unterschiedlichen Kanäle und Userinnen zu tracken, ist kompliziert. Es ist hier sicher wichtig, dass die Behörden ihre Informationen so aufbereiten, damit sie User schnell finden, verstehen und ansprechend finden. Allerdings sind diese Informationen nur erfolgreich, wenn die Menschen ihnen auch vertrauen. Und da komme ich nochmals zurück auf die Rolle, die die Politikerinnen und Politiker in diesem Land spielen.
Das BAG hat in Vergangenheit auch Fehleinschätzungen gemacht. Die Menschen haben allen Grund, kritisch zu sein.
Ich sage nicht, dass die Menschen blind vertrauen und unreflektiert abnicken sollen, was der Bundesrat sagt. Es ist gut, wenn man zu einem gewissen Grad skeptisch ist. Aber es braucht ein gewisses Bewusstsein für die Interpretation von Informationen.
Was raten Sie?
Einerseits ist es wichtig, Informationen kritisch zu hinterfragen. Gerade wenn man den Absender oder die Quelle nicht kennt. Dann sollte man fragen: Kam die gleiche Information an einem anderen Ort bereits vor? Wurde sie geprüft, Stichwort Faktenchecker? Gibt es Widersprüche in den Texten? Gibt es Bilder, die möglicherweise manipuliert wurden? Eine ganz wichtige Rolle spielt hier auch die Medienkompetenz, die in der Bevölkerung zum Teil wenig ausgeprägt ist. Untersuchungen in Deutschland haben beispielsweise gezeigt, dass die meisten Menschen nicht wissen, wie öffentlich-rechtliche Medien funktionieren. Sie dachten, das seien Staatsmedien, die von der Regierung gesagt kriegen, was sie schreiben müssen. Bürgerinnen und Bürger sollten verstehen, wie die Medien recherchieren und Nachrichten produzieren. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen interessengeleiteter Kommunikation und journalistischen Normen.
Welchen?
Der Journalismus orientiert sich am Gemeinwohl und an journalistischen Werten. Bei PR geht es darum, Gewinne zu erzielen oder Wählerstimmen zu gewinnen.
Watson ist wie viele andere Medienhäuser auch gewinnorientiert.
Ja, aber privatwirtschaftliche und öffentliche Medien haben Leitbilder, an denen sie sich orientieren und befolgen Regeln bei ihrer Arbeit, die beispielsweise Politiker oder die PR nicht im gleichen Mass beachten müssen. So ist die Achtung der Wahrheit das oberste Gebot der Medien. Natürlich können Fehler passieren und wie gesagt: Es ist nicht die Meinung, dass die Leute blind vertrauen – auch den Medien nicht. Zu viel Misstrauen ist allerdings auch nicht gut, es kann dazu führen, dass keinem mehr geglaubt wird und die Frage, ob ein Sachverhalt faktisch richtig ist oder nicht, in den Hintergrund gerät. Das lässt sich teilweise in den USA beobachten.
Wie gross ist das Risiko, dass Desinformationen zur Impfung die Schweiz ähnlich wie die USA spalten?
Grundsätzlich klein, denn die Schweiz ist strukturell ganz anders aufgebaut als die USA. Die Impfdebatte ist hier auch eine Ausnahmesituation und vieles ist völlig neu. So sind einige Schweizerinnen und Schweizer während der Pandemie zum ersten Mal mit Telegram-Channels in Berührung gekommen, in denen zum Teil Desinformationen zur Impfung verbreitet werden. Bei Desinformations-Videos auf YouTube sehen wir zum Teil auch hohe Zugriffszahlen aus der Schweiz. Hier kommt zudem die globale Vernetzung ins Spiel: Auf Plattfomen wie YouTube ist eine grosse Menge an Content mit Desinformationen aus verschiedenen Ländern verfügbar. Das birgt sicher ein gewisses Risiko.
Was gilt es zu tun?
Ideal wäre, wenn sich öffentliche Akteure aus Politik und Medien ihrer Verantwortung bewusst sind und sich auch so verhalten. Verantwortungsvoll wäre, nicht die Stimmung anzuheizen und stattdessen nüchtern über Themen zu sprechen und unterschiedliche Aspekte zu betrachten, beispielsweise wissenschaftliche Evidenz, politische Überlegungen und Bedürfnisse unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. Dann kommt es gar nicht erst zu einem Hochschaukeln.
Vor Allem die SVP zerfleddert sich mit ihren gespaltenen Parteiköpfen selbst und 'ihr Volch' gleich mit. Die SVP handelt in meinen Augen seit Beginn dieser Pandemie unverantwortlich und schädlich für die Schweiz.
Ja, schön wäre es. Vor allem von Politikern!
Ja, SVP und SP. Ihr seid als allererstes gemeint.😉
🖖🏻