«Hierzulande sind weit mehr hitzebedingte Todesfälle zu beklagen als beispielsweise Todesopfer im Strassenverkehr.» Das schrieb das Bundesamt für Umwelt (BAFU) im Juli in einem Bericht. Im überdurchschnittlich warmen Jahr 2022 mit seinem überdurchschnittlich warmen Sommer starben 474 Personen wegen der hohen Temperaturen und nur 241 Personen bei Strassenverkehrsunfällen.
Für das Jahr 2023 zählt das BAFU 542 Hitzetote. Wobei «zählt» das falsche Wort ist. Es schätzt. Denn: Obwohl das Bundesamt für Statistik (BSF) die Übersterblichkeit in der Schweiz überwacht und dabei auch Hitze als Todesgrund erhebt, ist es nicht möglich, dass alle Fälle gemeldet und erfasst werden. Ab sofort will das BAFU deshalb die hitzebedingten Todesfälle in der Schweiz im Spezifischen monitoren. Mit komplizierten Hochrechnungen, in denen sie Daten von MeteoSchweiz einbeziehen, um besonders heissen Sommern Rechnung tragen zu können.
Diese Berechnungen nahm das BAFU nun auch rückwirkend für alle Jahre ab 2000 vor. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Im Sommer 2003 – den Meteonews als «Jahrhundertsommer» bezeichnet, da die Temperaturen im Schnitt 4.5 Grad höher waren als in den Jahren zuvor – verzeichnet das BAFU die meisten Hitzetoten: insgesamt 1402.
Auf dem zweiten Platz der Rangliste der heissesten Sommer der letzten 23 Jahre befindet sich das Jahr 2022. Allerdings gab es 2022 nicht gleichzeitig auch die zweitmeisten Hitzetoten. Weshalb?
Wie das BAFU schreibt: «Über die Zeit lässt sich eine leichte Abnahme des hitzebedingten Sterberisikos an Hitzetagen beobachten.» Der Grund: Die Schweizerinnen und Schweizer passen sich an die Hitze an.
Wie genau, das kann das BAFU nicht mit Sicherheit sagen. Es hofft, dass die Aufklärungsarbeit des Bundes über die Gefahren bei Hitze in der Bevölkerung Anstoss gefunden hat. Auch «grüne Inseln», also Pärke, Bäume oder wenigstens kleine Wiesen, könnten geholfen haben, dass sich die Hitze in den ansonsten mit Beton zugebauten Städten weniger staut.
Gut möglich aber auch, dass wir uns automatisch vor Hitze schützen, indem wir die pralle Sonne oder Mittagshitze meiden, bei hohen Temperaturen keinen Sport treiben, mehr Wasser trinken, Schatten aufsuchen, und vieles mehr.
Die meisten hitzebedingten Todesfälle würden nicht an den heissesten Tagen, also bei Temperaturen ab 27 Grad, sondern bei moderat heissen (oberhalb jahresspezifischer Optimaltemperatur bis 25 Grad) bis heissen (25 bis 26.9 Grad) Tagen geschehen, so das BAFU.
Diese Anpassung an die zunehmenden Temperaturen findet in ganz Europa statt. Ohne sie würden jährlich 80 Prozent mehr Menschen als Folge von Hitze sterben. Personen über 80 Jahre wären sogar doppelt so häufig gestorben. Das sagt eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie einer internationalen Forschungsgruppe in der Fachzeitschrift «Nature Medicine».
Das Fazit des internationalen Forschungsteams und des BAFU ist darum dasselbe: Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns weiter an die Hitze anpassen. Das alleine wird aber nicht ausreichen.
Mit dem Klimawandel steigen die Durchschnitts- und Extremtemperaturen unweigerlich. Hitzewellen, heisse Tage und Nächte werden häufiger und extremer. Eine neu veröffentlichte Studie, die im Lancet Public Health publiziert wurde, hält fest: Wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten, wird sich die hitzebedingte Sterberate in Europa bis 2100 verdreifachen. Und das auf dem kühlsten bewohnten Kontinent der Welt. Einem Kontinent, auf dem die kältebedingten Todesfälle bisher die hitzebedingten überwogen. Aber eben nicht mehr lange.
Die Forschenden haben berechnet, dass die Zahl der Hitzetoten in Europa jene der Kältetoten in absehbarer Zeit überflügeln werden. Länder in Asien, Afrika, Ozeanien und Nord- und Südamerika würden von noch tödlicheren Temperaturen heimgesucht werden.
Die Hitze könnte das Gesundheitssystem in vielen Ländern zusammenbrechen lassen, so die Forschenden. Denn zunehmende Todesfälle seien nur die Spitze des Eisbergs, wie Madeleine Thomson, Leiterin der Abteilung für Klimaauswirkungen und Anpassungen bei der gemeinnützigen Gesundheitsforschungsorganisation Wellcome, zum Guardian sagt.
Es gäbe Studien, die einen Zusammenhang zwischen der Hitze und der Häufung von Fehlgeburten zeigten. Oder auch einen Zusammenhang der Hitze mit psychischen Problemen. Und dann gäbe es auch noch zahlreiche indirekte Auswirkungen der Hitze:
Ihre Untersuchung mache deutlich, wie viele Menschenleben aufs Spiel gesetzt würden, wenn wir nicht schnell gegen den Klimawandel vorgehen würden. (aye)