«Hey, hier ist Brian», steht in Handschrift auf einem weissen Zettel, der abfotografiert und auf Instagram gepostet wurde. Mutmasslich geschrieben von Brian, dem straffälligen 25-jährigen Zürcher, der als «Carlos» bekannt wurde.
In die Öffentlichkeit kam Brian erstmals 2013 durch einen Dokumentarfilm von SRF. Dort lernte man ihn als einen 17-jährigen, notorischen Straftäter kennen, der auf Kriegsfuss mit der Justiz ist und in einem «Sondersetting» in die richtige Spur zurückfinden soll. Es folgte eine jahrelange Kontroverse über Strafvollzug und Sozialarbeit, die die Presse akribisch begleitete. Währenddessen wurde Brian in Haft immer wieder straffällig. Seit dreieinhalb Jahren sitzt er nun in Isolationshaft in der Zürcher Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies.
Jetzt beginnt im «Fall Carlos» ein neues Kapitel: Ein Kollektiv aus Künstlerinnen und Künstler hat ein Projekt gestartet, in dem der bald 26-Jährige zu Wort kommen soll. «Wir haben mit Brian ein Format aufgebaut, in dem nicht andere, sondern er seine Geschichte erzählt», sagt Annika.
Annika und Richard sind Teil vom Kollektiv «Big Dreams». Auf Instagram haben sie diese Woche mittlerweile drei Briefe von Brian publiziert. Vor eineinhalb Jahren haben sie das Vorhaben zusammen mit anderen Kunstschaffenden aufgegleist. «Damals, 2019, während eines Prozesses hat er gesagt, er heisse Brian und nicht Carlos», erzählt Richard. «Das hat uns zum Nachdenken angeregt, was ein mediales Narrativ in einer Gesellschaft anrichten kann.»
Daraufhin hätten sie Brian einen Brief ins Gefängnis geschickt und gefragt, ob er an einem gemeinsamen Projekt interessiert sei. Inzwischen arbeiten sie mit ihm sowie mit unterschiedlichen Gruppen zusammen. Darunter auch Expertinnen aus dem soziologischen, psychologischen und juristischen Bereich. Richard sagt: «Uns ist wichtig, einen breiten Blick zu behalten. Dieser Fall ist nicht rein juristisch, politisch oder medial, sondern intersektional.»
Das Kollektiv kritisiert auf ihrer Website die Medien und deren Mitverantwortung für Brians Leiden. Nun bilden sie eine Art Gegen-Öffentlichkeit. Die Frage drängt sich auf, ob das Brian wirklich nützt. Richard erklärt: «Wir haben die Risiken mit Brian und seinem engsten Umfeld besprochen und die Risiken abgewogen. Wir haben auch Kontakt mit Psychologinnen, die sich mit Isolationshaft beschäftigen und wollen immer wieder mit Brian evaluieren, wie es ihm mit dem Projekt geht.»
Man sei da nicht einfach reingesprungen, sondern hätte das Vorhaben genau besprochen, sagt Richard. Zwischen 30 und 40 Briefe hätten sie mit Brian hin- und hergeschrieben und besuchten ihn fünf Mal in der JVA Pöschwies. Die zig Telefongespräche hätten sie gar nicht mehr gezählt.
Doch was bedeutet diese Plattform für Brian? Mehrere Gutachten attestieren ihm Erwachsenen-ADHS und dissoziale Persönlichkeitsstörung. In der SRF Rundschau 2019 sprach er von Depressionen und dass er als Narzisst bezeichnet werde. Natürlich hätten sie sich diese Frage auch gestellt, sagt Annika. «Aber was Brian wirklich schadet, sind die restriktiven Regimes in der Isolationshaft, nicht das Briefe-Schreiben.»
Annika und Richard heissen eigentlich anders. Sie wollen vorerst anonym bleiben. «Es sollen nicht einzelne Personen im Vordergrund stehen, sondern das Ziel des Projekts», sagt Annika. «Wir möchten Brians Fall in einen grösseren Diskurs stellen und auf Mängel in unserem System hinweisen.
Brian hätte mit seiner Biografie einen beispielhaften Blick auf Missstände wie institutionelle Gewalt in Gefängnissen, Verletzungen von Menschenrechten oder die Folgen von Boulevardberichten. Das Strafmass wolle man aber nicht beeinflussen. «Für Brian wie für uns war von Anfang an klar: Das ist keine Free-Brian-Kampagne, sondern geht weit über seinen Fall hinaus.»
Der erste Teil des Projekts ist nun veröffentlicht. «Weitere Publikationen sind geplant. Wir geben sie zu gegebener Zeit bekannt», so Annika.
Werte Ignoranten, es gibt böse Menschen, das könnt ihr nicht ändern. Die Verantwortung für weitere Opfer übernimmt im Schweizer Justizsystem leider niemand.
Zeigte sich auf tragische Weise im Fall in der Romandie, als ein mehrfacher Sexualgewaltäter alleine mit einer Frau auf Rösslitherapie geschickt wurde, nur um eine weitere Tat zu verüben.
Immer nur gegen andere schiessen und selber keine Hilfe annehmen ist nämlich keine Lösung.