Depression hat viele Gesichter. Unter dem Hashtag #FaceTheDepression wollen Betroffene darauf aufmerksam machen. Sie zeigen Bilder von sich während Momenten, in denen sie eine depressive Episode erlebten.
Momentan trendet der Hashtag auf Twitter. In Deutschland spricht man bereits von Tausenden Posts. Nun zeigen sich auch immer mehr Schweizerinnen und Schweizer während einer Depression. Was auffällt: Es sind häufig ganz gewöhnliche Selfies, die eine lächelnde Person zeigen. Der Psychologe Tobias Krieger findet diesen Trend wichtig: «Dadurch bleibt Depression nicht einfach ein abstrakter Begriff. Man sieht, dass die Krankheit alle möglichen Gesichter haben kann, denn niemand ist vor ihr gefeit.» Leider sei Depression nach wie vor ein stigmatisiertes Thema in der Gesellschaft.
Das war 2017, während einer meiner depressiven Phasen. Dank Antidepressiva war ich funktionsfähig und v.a. am Leben. Depression ist nicht auf den ersten Blick erkennbar.#FaceTheDepression pic.twitter.com/zNckBjXhMe
— Olivia F (@olivia_f_zh) March 9, 2021
In der Schweiz leiden neun Prozent der Bevölkerung unter Depressionen, wie das Bundesamt für Statistik (BFS) 2017 festhielt. Frauen und Jugendliche sind dabei häufiger betroffen als Männer oder Menschen, die über 64 Jahre alt sind.
Das deutsche Max-Planck-Institut für Psychiatrie bezieht sich derweil auf Studien, wonach jede sechste Person einmal im Leben an einer Depression erkrankt. Dabei würden gewisse Faktoren die Krankheit begünstigen, sagt Psychologe Krieger. So könnten die genetische Veranlagung und persönliche Vulnerabilität im Zusammenspiel mit äusseren Stressfaktoren eine Depression begünstigen. «Allerdings gibt es selten einen einzigen Grund. Theoretisch kann jede Person eine Depression entwickeln, wenn mehrere Faktoren zusammentreffen.»
Inwiefern äussere Situationen eine Depression begünstigen, hat die Corona-Pandemie gezeigt. Wie die Universität Basel feststellte, verdoppelte sich in der Schweiz der Anteil von Personen mit schweren depressiven Symptomen während des Lockdowns.
Genau so unterschiedlich wie die Gründe, können auch die Symptome einer Depression sein. Allerdings werde die Krankheit in diesem Punkt oft stigmatisiert: «Viele Leute haben eine klare, aber häufig falsche Vorstellung davon, wie depressive Menschen sind», sagt Krieger. «Es herrscht bis heute das Vorurteil, die Betroffenen würden sich in etwas hineinsteigern oder dass die Verstimmung dann schon vorbeigehe.»
Solche Reaktionen würden dazu führen, dass sich die Betroffenen nicht ernst genommen fühlen. «Unverständnis aus dem Umfeld kann dazu führen, dass sich die Leute noch mehr zurückziehen. Starke Selbstzweifel und einen tiefen Selbstwert sind ohnehin sehr typisch für Depressionen», so der Fachpsychologe für Psychotherapie der Universität Bern.
Krieger erlebe selber, dass Patientinnen und Patienten lange warten, bis sie sich professionelle Hilfe holten. Eine deutsche Studie hat gezeigt, wo die Barrieren liegen: Am häufigsten hätten Betroffene Angst vor Stigmatisierung und sind zu wenig aufgeklärt, heisst es.
Der Trend #FaceTheDepression rege das Gespräch über die psychische Krankheit an, findet Krieger. «Es ist ein starkes Statement, dass diese Leute sagen: ‹Auf diesem Bild habe ich zwar gelacht, aber innen sah es anders aus›.» Weit nicht alle depressiven Personen seien in der Lage, darüber zu berichten.
#FaceTheDepression vor 3 Jahren fing es an. Die antwort des Psychiater war eine andere als ich dachte. Depression gehörte ab da dazu und die Medis mit. pic.twitter.com/YmwxOGi6lU
— Ramsiris (@Ramsiris2) March 9, 2021
Einen negativen Nebeneffekt könne der Trend allerdings auch haben: «Man sollte sich als betroffene Person nicht unter Druck gesetzt fühlen, ein Bild zu posten, nur weil das andere machen», sagt Krieger. Das sei ohnehin der schwierige Effekt von Social Media: «Man vergleicht sich ständig, was noch zu mehr Druck führen kann.»
Dass Depressionen plötzlich cool und trendig werden könnten, denkt der Psychologe nicht. «Depressionen sind kein ‹Trend›. Dazu gibt es zu viele Studien und die Zahlen sind relativ stabil», sagt der Psychologe.
Es gäbe zwar Studien, die daraufhin weisen, dass die Fälle aktuell wieder zunehmen würden. «Das kann aufgrund der Pandemie sein. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Selbst-Stigmatisierung tendenziell abnimmt. Früher haben sich weit weniger Personen zu einer Depression bekannt als heute.»
Der Tweet-Trend sei ein weiterer Schritt Richtung Enttabuisierung, denn: «Es gibt gute Behandlungsmöglichkeiten für Personen mit Depressionen. Es ist wichtig, dass über das Thema gesprochen wird», so der Psychologe. Unbehandelt könne die Krankheit schwerwiegende Konsequenzen haben, dazu zähle etwa ein erhöhtes Suizidrisiko.
Und wie reagiert man auf Personen im eigenen Umfeld, die sich depressiv fühlen? «Zuhören! Das ist ganz wichtig. Und der betroffenen Person signalisieren, dass sie weiterhin mit einem darüber sprechen kann», sagt Krieger. In einem weiteren Schritt könne man versuchen, die Person zu ermutigen, sich professionelle Unterstützung zu suchen.
Wir sind Viele und doch fühlen wir uns alleine.
Erst durch das darüber sprechen, mit Fremden, mit Bekannten wurde mir bewusst, wie viele Betroffene es gibt. Die Scham vor sich selbst, nicht zu genügen ist gross.
Lasst euch helfen, sprecht darüber, ihr seid nicht alleine. Es ist keine Schwäche, es ist eine Krankheit.
Ja, ich habe Depressionen. Wenn ich mit meinem Outing nur einer Person helfen kann, mache ich es gerne immer wieder.
Mein Tipp an Leute mit Betroffenen im direkten Umfeld: Ja, zuhören ist sehr wichtig. Doch holt euch selbst auch Hilfe.
Es wird länger dauern, aber irgendwann müsst ihr auch abladen/deponieren können. Ich wollte es selbst auch nicht glauben. Ich war ja nicht der mit der Depression. Der, der Hilfe nötig hatte.
War ich dann aber trotzdem (auch).
Was ich bisher gelernt und erlebt habe: Nur wer es selbst erfahren hat, kann es wirklich verstehen. Es anderen Menschen begreiflich zu machen ist nahezu unmöglich, selbst wenn der Wille und die Empathie vorhanden sind. Mit Glück erreicht man Einsicht, dass es kompliziert ist, und ein wenig Akzeptanz.