Osterzeit ist Schokoladenzeit. Zu keinem anderen Feiertag verkaufen die Detailhändler so viel Schokolade wie zu Ostern. Das haben sie besonders dem Schoggihasen zu verdanken.
Zwei bis drei von ihnen essen Herr und Frau Schweizer jedes Jahr, heisst es vom Branchenverband Chocosuisse. Während die Hersteller von den herzigen Schoggitierli profitieren, leidet ihr lebendes Vorbild in unserer Natur: der Feldhase.
Seit den 1950er-Jahren nimmt der Bestand der Feldhasen in der Schweiz rapide ab, wie das Bundesamt für Umwelt (BAFU) schreibt. Genaue Bestandszahlen gibt es zwar nicht. Ein Blick in die Jagdstatistik zeigt allerdings, wie schnell der Rückgang der Art vorangeschritten ist: 1947, in der Nachkriegszeit, konnten Jägerinnen und Jäger schweizweit noch 70'000 Feldhasen schiessen. Im Jahr 2000 waren es nur noch 2'584 Tiere.
Inzwischen befindet sich der Feldhase auf der roten Liste der gefährdeten Tierarten. Gejagt und abgeschossen wird er trotzdem weiterhin. Weshalb? Eine österliche Spurensuche. Anstelle der Eiersuche.
Man könnte meinen, der Feldhase sollte kein Problem haben, sich fortzupflanzen. Immerhin können die Weibchen bis zu fünf Mal im Jahr zwei bis vier Jungtiere werfen. Doch der Feldhase hat zwei grosse Probleme.
Das erste: Sein Lebensraum befindet sich genau dort, wo sich auch der Mensch am liebsten aufhält: im Mittelland. Auf Feldern, Wiesen und Weiden. Genau diese Flächen sind in den letzten 70 Jahren stark zurückgegangen. Zersiedelung sei Dank.
Feldhasen bauen keinen Bau, so wie es die gefährdeten Kaninchen tun. Der Feldhase ist ein Einzelgänger, der sich in Mulden inmitten von hohem Gras aufhält, sogenannten Sassen. Nähert sich ein Räuber, beispielsweise ein Greifvogel oder Fuchs, hoppelt er im Zickzack davon, bis er seinen Verfolger abgehängt hat.
Einzelne unbewirtschaftete Weiden inmitten von Wohnsiedlungen und Strassen nützen ihm deshalb nichts. Muss er aus einem solchen Feld flüchten, läuft er Gefahr, von einem Auto erfasst zu werden. Daneben gesellen sich in Wohnsiedlungen Hunde und Katzen zu seinen Feinden.
Die beste Alternative für den Feldhasen ist es deshalb, sich inmitten von landwirtschaftlich genutzten Feldern einzuquartieren. Doch auch hier ist er nicht sicher. Die heutige Landwirtschaft funktioniert stark automatisiert. Die meisten Feldhasen fallen Landmaschinen zum Opfer. Insbesondere im Frühling geraten die Tiere samt ihren Jungen in den Mäher.
Der Feldhase hat aber auch noch ein zweites Problem: Er steht auf Bundesebene nicht unter Schutz. Vielleicht liegt das daran, dass er nicht zu den sogenannten Schirmarten gehört, die das Überleben zahlreicher anderer Arten sichern.
Zu diesen gehört beispielsweise der geschützte Biber. Seine Dämme können in kurzer Zeit für eine Vielzahl an Tieren und Pflanzen neuen Lebensraum schaffen und Wälder vor Flächenbränden schützen. Der Biber kann deshalb als effizientes und kostengünstiges Werkzeug für Biodiversitätsmassnahmen fungieren.
Ein solches Potenzial geht vom Feldhasen nicht aus. Sein Nutzen für die Biodiversität ist im Vergleich gering. Mit seinem Fressverhalten, seinen Sassen und seinen Rennwegen kann er zwar Lebensraum für kleine Reptilien, Insekten und bestimmte Pflanzen schaffen. Indem er durch das hohe Gras hoppelt, hilft er, Samen zu verteilen, die in seinem Fell hängen bleiben. Die wichtigste Funktion des Feldhasen ist jedoch vor allem eines: Er ist Beute.
Halb so schlimm also, wenn der Feldhase irgendwann ausgestorben ist? Natürlich nicht. Vor allem für die Wissenschaft hat der Feldhase eine wichtige Funktion: Er ist eine Indikatorart. Das sind Arten, die mit ihrem Bestand anzeigen, wie es um die Biodiversität in ihrem Lebensraum steht.
Geht es dem Feldhasen schlecht, können Forschende schlussfolgern, dass es auch den Vögeln und Insekten auf Feldern, Wiesen und Weiden schlecht geht. Worunter der Feldhase leidet, leidet auch der Kiebitz, der Feldhamster, die Wildbiene, der Erdbockkäfer.
Im Umkehrschluss kann man sagen: Erholt sich der Feldhasenbestand im Mittelland wieder, kann sich der Lebensraum auch für eine Vielzahl anderer Arten verbessert haben. Beispielsweise für Insekten, die einen grossen Einfluss auf das natürliche Gleichgewicht unserer Natur haben.
Zwar ist ebenfalls schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt, dass die Insektenbestände in der Schweiz stark sinken – ganz besonders stark im Mittelland. Die ersten Anstrengungen, die Insektenbestände zu monitoren unternahm der Bund aber erst vor 20 Jahren. Entsprechend zieht die Akademie der Naturwissenschaften SCNAT in ihrem Insekten-Bericht von 2021 wie folgt Bilanz:
Umso wichtiger wäre es also, dem Lebensraum des Feldhasen Sorge zu tragen.
Dem Feldhasen geht es nicht nur in der Schweiz schlecht. In ganz Europa steht die Art unter Druck. Und doch hat das BAFU festgestellt: In der Schweiz geht die Population deutlich schneller zurück als in vergleichbaren EU-Ländern.
Das BAFU erklärt sich diese Ausgangslage damit, dass die kleine Schweiz besonders stark zersiedelt ist. Gleichzeitig könnte man aber auch schlussfolgern: Der politische Wille, die Situation des Feldhasen auf Bundesebene zu verbessern, ist nicht da.
Zwar startete das BAFU 1991 sein Feldhasen-Monitoring, bei dem Forschende regelmässig auf Feldhasenzählungen gehen. Spätestens seit 2002 sollte das BAFU aber wissen, wie der Hase läuft. In jenem Jahr kam es in seinem Monitoring-Schlussbericht zum Fazit: «Die wichtigsten Massnahmen sind die Schaffung von qualitativ guten ökologischen Ausgleichsflächen in genügender Menge im Landwirtschaftsgebiet.»
Der Bund setzte sich daraufhin zum Ziel, bis 2005 einen «Mindestanteil von 10 Prozent ökologischer Ausgleichsflächen an der gesamtschweizerischen landwirtschaftlichen Nutzfläche» zu schaffen. Hat er das geschafft? Nein.
Stattdessen verstrichen 18 Jahre, die das BAFU dazu nutzte, um im jüngsten Feldhasen-Monitoring-Bericht von 2020 nochmals zur exakt selben Erkenntnis zu kommen: «Neueste Modellrechnungen zeigen, dass Feldhasen nur dann eine gewisse Populationsdichte erreichen, wenn der Anteil wertvoller Biodiversitätsförderflächen (BFF) ca. 10 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmacht und wenn die BFF eine hohe ökologische Qualität aufweisen.»
Hat sich die Schweiz in diese Richtung bewegt? Nicht wirklich.
2023 verkündete das BAFU zwar stolz, dass der Anteil an Biodiversitätsförderflächen bei 17 Prozent liegt. Doch der Teufel liegt im Detail: Wo sich die Biodiversitätsflächen befinden, entscheiden die Landwirtschaftsbetriebe selbst. Dafür wählen sie meist Flächen, die sie ohnehin nur umständlich bewirtschaften können. Flächen, die ihnen nichts bringen. Dem Feldhasen aber eben auch nicht. Wie das BAFU selbst ausweist, befinden sich weniger als ein Prozent der Biodiversitätsflächen auf Ackern.
Der Feldhasenbestand sinkt Schweizweit also weiter. Das muss man zumindest annehmen. Denn 2020 ist das letzte nationale Feldhasen-Monitoring durchgeführt worden. Der Bund hat das Überwachungsprogramm eingestellt, wie das BAFU auf Nachfrage von watson schreibt. Man arbeite derzeit mit den Kantonen zusammen, um das Überwachungsprogramm zu verbessern. Gleichzeitig gibt das BAFU zu:
Bei den letzten nationalen Zählungen im Jahr 2020 kamen Forschende im Schnitt nur noch auf 2,72 Feldhasen auf 100 Hektaren. Das ist einer der tiefsten Werte der letzten 30 Jahre. Zum Vergleich: Allein im Kanton Genf kam man in den 1960er-Jahren noch auf 60 Tiere pro 100 Hektare.
Man könnte fast meinen, es ist dem Bund ganz recht, wenn der Feldhase verschwindet. Und mit ihm der offensichtlichste Beweis, dass im Mittelland die Artenvielfalt verkümmert.
Einige Hoffnungsschimmer gibt es jedoch noch: In zahlreichen Gemeinden laufen Hasenförderprogramme, von denen manche bereits aufzeigen konnten, wie nicht nur der Hase, sondern auch andere Arten von den Massnahmen profitieren. Und obwohl der Bund die Jagd auf den Feldhasen erlaubt, haben viele Kantone diese eingestellt. In manchen ist der Abschuss zwar theoretisch noch erlaubt, die Jagdreviere verzichten jedoch freiwillig auf die Bejagung.
Effektiv den Tod durch das Gewehr finden die Feldhasen nur noch in elf Kantonen. Mit Abstand am meisten Tiere schiessen die Bündner Jägerinnen und Jäger. 2023 erlegten sie 1161 Feldhasen.
watson hat beim Kanton Graubünden nach den Gründen für die hohen Abschusszahlen gefragt. Die Antwort:
Die Einnahmen durch Lizenzgebühren investiere der Kanton direkt in die kantonale Wildhut, die nicht nur selbst Feldhasenzählungen vornehme, um den Bestand zu kontrollieren, sondern auch aktiv Lebensräume für die Tiere schaffe. Das käme der Art langfristig zugute.
Tatsächlich kann der Kanton Graubünden einen leichten Aufwärtstrend der Feldhasenbestände vorweisen. Der Verein Wildtier Schweiz vermutet, dass sich der Feldhase aufgrund des Klimawandels zunehmend in die Berge zurückziehen kann. Dort könnte er langfristig aber den Schneehasen verdrängen, welcher derzeit noch nicht gefährdet ist.
Besser wäre es also, bliebe der Feldhase im Mittelland. Dafür müsste der Bund aber endlich die Fördermassnahmen umsetzen, die er in der Theorie längst kennt. Macht er mit demselben Elan weiter, könnte man den Hasen im Mittelland bald nur noch aus Schoggi zu Gesicht bekommen.
In diesem Sinne: Frohe Ostern!
Eine Handvoll zum Beobachten und Repräsentieren scheint ausreichend zu sein. Die können dann auch noch nebenher Putin und Trump hofieren.
Ist das denn so schwierig, den Feldhasen auch unter Schutz zu stellen? Oder macht es so grossen Spaß ihn abzuschießen?