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Schweizer Feldhasen: Wieso es ihnen schlecht geht

Dem Feldhasen in der Schweiz geht es schlecht. Abschiessen darf man ihn trotzdem
Aus Schoggi lieben wir ihn, aus Fell tragen wir ihm nicht viel Sorge: der Feldhase.Bild: Keystone

Die Schweiz macht Jagd auf den Feldhasen – warum das gefährlich ist

Dem Feldhasen in der Schweiz geht es schlecht. Und zwar noch schlechter als in anderen europäischen Ländern. Das weiss der Bund schon lange. Trotzdem stellt er ihn nicht unter Schutz.
20.04.2025, 05:3520.04.2025, 09:24
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Osterzeit ist Schokoladenzeit. Zu keinem anderen Feiertag verkaufen die Detailhändler so viel Schokolade wie zu Ostern. Das haben sie besonders dem Schoggihasen zu verdanken.

Zwei bis drei von ihnen essen Herr und Frau Schweizer jedes Jahr, heisst es vom Branchenverband Chocosuisse. Während die Hersteller von den herzigen Schoggitierli profitieren, leidet ihr lebendes Vorbild in unserer Natur: der Feldhase.

Ein Feldhase im Feld.
In Feldern wie diesem sieht man den Feldhasen heute in der Schweiz kaum noch.Bild: Shutterstock

Seit den 1950er-Jahren nimmt der Bestand der Feldhasen in der Schweiz rapide ab, wie das Bundesamt für Umwelt (BAFU) schreibt. Genaue Bestandszahlen gibt es zwar nicht. Ein Blick in die Jagdstatistik zeigt allerdings, wie schnell der Rückgang der Art vorangeschritten ist: 1947, in der Nachkriegszeit, konnten Jägerinnen und Jäger schweizweit noch 70'000 Feldhasen schiessen. Im Jahr 2000 waren es nur noch 2'584 Tiere.

Inzwischen befindet sich der Feldhase auf der roten Liste der gefährdeten Tierarten. Gejagt und abgeschossen wird er trotzdem weiterhin. Weshalb? Eine österliche Spurensuche. Anstelle der Eiersuche.

Fruchtbarkeitssymbol unter Druck

Man könnte meinen, der Feldhase sollte kein Problem haben, sich fortzupflanzen. Immerhin können die Weibchen bis zu fünf Mal im Jahr zwei bis vier Jungtiere werfen. Doch der Feldhase hat zwei grosse Probleme.

Das erste: Sein Lebensraum befindet sich genau dort, wo sich auch der Mensch am liebsten aufhält: im Mittelland. Auf Feldern, Wiesen und Weiden. Genau diese Flächen sind in den letzten 70 Jahren stark zurückgegangen. Zersiedelung sei Dank.

Ein junger Feldhase in einem Feld
Ein Jungtier auf dem Feld.Bild: Shutterstock

Feldhasen bauen keinen Bau, so wie es die gefährdeten Kaninchen tun. Der Feldhase ist ein Einzelgänger, der sich in Mulden inmitten von hohem Gras aufhält, sogenannten Sassen. Nähert sich ein Räuber, beispielsweise ein Greifvogel oder Fuchs, hoppelt er im Zickzack davon, bis er seinen Verfolger abgehängt hat.

Einzelne unbewirtschaftete Weiden inmitten von Wohnsiedlungen und Strassen nützen ihm deshalb nichts. Muss er aus einem solchen Feld flüchten, läuft er Gefahr, von einem Auto erfasst zu werden. Daneben gesellen sich in Wohnsiedlungen Hunde und Katzen zu seinen Feinden.

Die beste Alternative für den Feldhasen ist es deshalb, sich inmitten von landwirtschaftlich genutzten Feldern einzuquartieren. Doch auch hier ist er nicht sicher. Die heutige Landwirtschaft funktioniert stark automatisiert. Die meisten Feldhasen fallen Landmaschinen zum Opfer. Insbesondere im Frühling geraten die Tiere samt ihren Jungen in den Mäher.

epa01794544 A hare 'takes flight' as a reaping machine approaches on a barley field in Neukirchen-Vluyn, Germany, 14 July 2009. EPA/ROLAND WEIHRAUCH
Ein Hase bringt sich vor dem Mähdrescher in Sicherheit.Bild: EPA

Kein Star unter den Wildtieren

Der Feldhase hat aber auch noch ein zweites Problem: Er steht auf Bundesebene nicht unter Schutz. Vielleicht liegt das daran, dass er nicht zu den sogenannten Schirmarten gehört, die das Überleben zahlreicher anderer Arten sichern.

Zu diesen gehört beispielsweise der geschützte Biber. Seine Dämme können in kurzer Zeit für eine Vielzahl an Tieren und Pflanzen neuen Lebensraum schaffen und Wälder vor Flächenbränden schützen. Der Biber kann deshalb als effizientes und kostengünstiges Werkzeug für Biodiversitätsmassnahmen fungieren.

Ein solches Potenzial geht vom Feldhasen nicht aus. Sein Nutzen für die Biodiversität ist im Vergleich gering. Mit seinem Fressverhalten, seinen Sassen und seinen Rennwegen kann er zwar Lebensraum für kleine Reptilien, Insekten und bestimmte Pflanzen schaffen. Indem er durch das hohe Gras hoppelt, hilft er, Samen zu verteilen, die in seinem Fell hängen bleiben. Die wichtigste Funktion des Feldhasen ist jedoch vor allem eines: Er ist Beute.

Ein uossard, der einen Feldhasen erbeutet hat.
Ein Bussard, der einen Feldhasen erbeutet hat.Bild: Shutterstock

Ein praktischer Gradmesser

Halb so schlimm also, wenn der Feldhase irgendwann ausgestorben ist? Natürlich nicht. Vor allem für die Wissenschaft hat der Feldhase eine wichtige Funktion: Er ist eine Indikatorart. Das sind Arten, die mit ihrem Bestand anzeigen, wie es um die Biodiversität in ihrem Lebensraum steht.

Geht es dem Feldhasen schlecht, können Forschende schlussfolgern, dass es auch den Vögeln und Insekten auf Feldern, Wiesen und Weiden schlecht geht. Worunter der Feldhase leidet, leidet auch der Kiebitz, der Feldhamster, die Wildbiene, der Erdbockkäfer.

07.06.2023, Nordrhein-Westfalen, Pulheim: Ein Feldhase sitzt am Wegesrand. Jetzt wird es richtig warm: Wenige Wochen vor dem Start der Sommerferien stimmt das Wetter in Nordrhein-Westfalen an diesem W ...
Hecken und Brachen an Feld- und Waldrändern gefallen nicht nur dem Hasen, sondern auch zahlreichen anderen Säugetieren, Vögeln und Insekten.Bild: DPA

Im Umkehrschluss kann man sagen: Erholt sich der Feldhasenbestand im Mittelland wieder, kann sich der Lebensraum auch für eine Vielzahl anderer Arten verbessert haben. Beispielsweise für Insekten, die einen grossen Einfluss auf das natürliche Gleichgewicht unserer Natur haben.

Zwar ist ebenfalls schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt, dass die Insektenbestände in der Schweiz stark sinken – ganz besonders stark im Mittelland. Die ersten Anstrengungen, die Insektenbestände zu monitoren unternahm der Bund aber erst vor 20 Jahren. Entsprechend zieht die Akademie der Naturwissenschaften SCNAT in ihrem Insekten-Bericht von 2021 wie folgt Bilanz:

«Der Zustand und die Entwicklung der Vielfalt vieler Insektengruppen sowie ihre Häufigkeit und Rolle in Ökosystemen (Ökosystemleistungen) sind noch immer unzureichend untersucht.»

Umso wichtiger wäre es also, dem Lebensraum des Feldhasen Sorge zu tragen.

Bund hält seine Ziele nicht ein

Dem Feldhasen geht es nicht nur in der Schweiz schlecht. In ganz Europa steht die Art unter Druck. Und doch hat das BAFU festgestellt: In der Schweiz geht die Population deutlich schneller zurück als in vergleichbaren EU-Ländern.

Das BAFU erklärt sich diese Ausgangslage damit, dass die kleine Schweiz besonders stark zersiedelt ist. Gleichzeitig könnte man aber auch schlussfolgern: Der politische Wille, die Situation des Feldhasen auf Bundesebene zu verbessern, ist nicht da.

Ein Feldhase versteckt sich in einer Sasse.
Ein Hase versucht, sich in einem umgepflügten Feld zu verstecken.Bild: Shutterstock

Zwar startete das BAFU 1991 sein Feldhasen-Monitoring, bei dem Forschende regelmässig auf Feldhasenzählungen gehen. Spätestens seit 2002 sollte das BAFU aber wissen, wie der Hase läuft. In jenem Jahr kam es in seinem Monitoring-Schlussbericht zum Fazit: «Die wichtigsten Massnahmen sind die Schaffung von qualitativ guten ökologischen Ausgleichsflächen in genügender Menge im Landwirtschaftsgebiet.»

So sieht es aus, wenn Forschende zum Feldhasen-Monitoring ausrücken.
So sieht das Feldhasen-Monitoring aus: Bei Nacht rücken Forschende mit einem Fahrzeug in Gebiete aus, in denen sie Feldhasen vermuten. Dort zählen sie die Hasen, die sie durch das Scheinwerferlicht entdecken. Bild: BAFU/ecotect

Der Bund setzte sich daraufhin zum Ziel, bis 2005 einen «Mindestanteil von 10 Prozent ökologischer Ausgleichsflächen an der gesamtschweizerischen landwirtschaftlichen Nutzfläche» zu schaffen. Hat er das geschafft? Nein.

Stattdessen verstrichen 18 Jahre, die das BAFU dazu nutzte, um im jüngsten Feldhasen-Monitoring-Bericht von 2020 nochmals zur exakt selben Erkenntnis zu kommen: «Neueste Modellrechnungen zeigen, dass Feldhasen nur dann eine gewisse Populationsdichte erreichen, wenn der Anteil wertvoller Biodiversitätsförderflächen (BFF) ca. 10 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmacht und wenn die BFF eine hohe ökologische Qualität aufweisen.»

Hat sich die Schweiz in diese Richtung bewegt? Nicht wirklich.

2023 verkündete das BAFU zwar stolz, dass der Anteil an Biodiversitätsförderflächen bei 17 Prozent liegt. Doch der Teufel liegt im Detail: Wo sich die Biodiversitätsflächen befinden, entscheiden die Landwirtschaftsbetriebe selbst. Dafür wählen sie meist Flächen, die sie ohnehin nur umständlich bewirtschaften können. Flächen, die ihnen nichts bringen. Dem Feldhasen aber eben auch nicht. Wie das BAFU selbst ausweist, befinden sich weniger als ein Prozent der Biodiversitätsflächen auf Ackern.

Der Feldhasenbestand sinkt Schweizweit also weiter. Das muss man zumindest annehmen. Denn 2020 ist das letzte nationale Feldhasen-Monitoring durchgeführt worden. Der Bund hat das Überwachungsprogramm eingestellt, wie das BAFU auf Nachfrage von watson schreibt. Man arbeite derzeit mit den Kantonen zusammen, um das Überwachungsprogramm zu verbessern. Gleichzeitig gibt das BAFU zu:

«Ob und wie das Programm fortgesetzt wird, wird zu einem späteren Zeitpunkt entschieden.»

Bei den letzten nationalen Zählungen im Jahr 2020 kamen Forschende im Schnitt nur noch auf 2,72 Feldhasen auf 100 Hektaren. Das ist einer der tiefsten Werte der letzten 30 Jahre. Zum Vergleich: Allein im Kanton Genf kam man in den 1960er-Jahren noch auf 60 Tiere pro 100 Hektare.

Feldhasenbestandsentwicklung zwischen 1991 und 2020 in 63 Untersuchungsgebieten erster Priorität.
Feldhasenbestandsentwicklung zwischen 1991 und 2020 in 63 Untersuchungsgebieten erster Priorität.bild: BAFU/ecotec

Elf Kantone schiessen trotzdem

Man könnte fast meinen, es ist dem Bund ganz recht, wenn der Feldhase verschwindet. Und mit ihm der offensichtlichste Beweis, dass im Mittelland die Artenvielfalt verkümmert.

Einige Hoffnungsschimmer gibt es jedoch noch: In zahlreichen Gemeinden laufen Hasenförderprogramme, von denen manche bereits aufzeigen konnten, wie nicht nur der Hase, sondern auch andere Arten von den Massnahmen profitieren. Und obwohl der Bund die Jagd auf den Feldhasen erlaubt, haben viele Kantone diese eingestellt. In manchen ist der Abschuss zwar theoretisch noch erlaubt, die Jagdreviere verzichten jedoch freiwillig auf die Bejagung.

Effektiv den Tod durch das Gewehr finden die Feldhasen nur noch in elf Kantonen. Mit Abstand am meisten Tiere schiessen die Bündner Jägerinnen und Jäger. 2023 erlegten sie 1161 Feldhasen.

watson hat beim Kanton Graubünden nach den Gründen für die hohen Abschusszahlen gefragt. Die Antwort:

«Die Bündner Niederjagd und die Bejagung des Feldhasen ist eine Tradition und entspricht auch einer nachhaltigen Nutzung einer natürlichen Ressource.»
Amt für Jagd und Fischerei Graubünden

Die Einnahmen durch Lizenzgebühren investiere der Kanton direkt in die kantonale Wildhut, die nicht nur selbst Feldhasenzählungen vornehme, um den Bestand zu kontrollieren, sondern auch aktiv Lebensräume für die Tiere schaffe. Das käme der Art langfristig zugute.

Ein Jaeger mit einen erlegten Hasen auf dem Ruecken, aufgenommen in der Ebene der Rhone bei Aigle, Kanton Waadt, aufgenommen im Oktober im Kriegsjahr 1942. (KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Fred Eberhard)
Im Kanton Graubünden gehört die Feldhasen-Jagd zur Tradition.Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV

Tatsächlich kann der Kanton Graubünden einen leichten Aufwärtstrend der Feldhasenbestände vorweisen. Der Verein Wildtier Schweiz vermutet, dass sich der Feldhase aufgrund des Klimawandels zunehmend in die Berge zurückziehen kann. Dort könnte er langfristig aber den Schneehasen verdrängen, welcher derzeit noch nicht gefährdet ist.

Schneehase
Dem Schneehasen geht es in der Schweiz gut. Noch. Denn der Feldhase könnte ihm langfristig das Revier streitig machen.Bild: shutterstock.com

Besser wäre es also, bliebe der Feldhase im Mittelland. Dafür müsste der Bund aber endlich die Fördermassnahmen umsetzen, die er in der Theorie längst kennt. Macht er mit demselben Elan weiter, könnte man den Hasen im Mittelland bald nur noch aus Schoggi zu Gesicht bekommen.

In diesem Sinne: Frohe Ostern!

Hier erklärt Andreas Moser:

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Die beste Methode einen Osterhasen zu essen
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63 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ngona
20.04.2025 07:17registriert März 2015
Aber die grösste bürgerliche Partei hat doch eben noch gesagt, dass soooo viel gemacht wird für die Biodiversität und dass es bei uns so viel besser aussieht damit als in dem pösen pösen Europa… hm, kann es sein, dass die dem Volch zugunsten ihrer Lobbygruppe „Geld und Gülle“ etwas vorgelogen haben?
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manuel0263
20.04.2025 07:55registriert Februar 2017
Man könnte in der Schweiz doch eigentlich fast alle Politiker einsparen...viele wollen ja sowieso nur, dass sich nie etwas verändert.
Eine Handvoll zum Beobachten und Repräsentieren scheint ausreichend zu sein. Die können dann auch noch nebenher Putin und Trump hofieren.
Ist das denn so schwierig, den Feldhasen auch unter Schutz zu stellen? Oder macht es so grossen Spaß ihn abzuschießen?
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closer2edit
20.04.2025 06:59registriert September 2023
Hehe ich hab schon mal einen Hasen in der freien Wildbahn gesehen. War eindrücklich. Irgendwann am Morgen früh ist er neben dem Schlafsack vorbei gehoppelt.
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