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Nach Entscheid für Nördlichen Lägern kommen diese Fragen auf

Nach Entscheid für Nördlich Lägern: Diese Fragen zum Atommülllager geben jetzt zu reden

Nach 15 Jahren Suche ist klar: In Würenlingen soll der Schweizer Atommüll verpackt und in Nördlich Lägern in einem Tiefenlager entsorgt werden. Damit wird die Diskussion nun politisch. Die wichtigsten Fragen rund um das Jahrhundertprojekt.
12.09.2022, 11:4112.09.2022, 12:02
Samuel Thomi / ch media
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fotorealistische Darstellung Nagra
Eine Dartstellung wie der Bau des Tiefenlagers aussehen könnte.Bild: Nagra

Seit Montag ist nun auch offiziell klar: Das Schweizer Tiefenlager für schwach und stark radioaktive Abfälle soll im Gebiet Nördlich Lägern in der Gemeinde Stadel im Zürcher Unterland zu stehen kommen.

Die Aufbereitung der Brennstäbe aus den Atomkraftwerken wird davor in der Aargauer Gemeinde Würenlingen stattfinden. Dort steht auch bereits ein Zwischenlager. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

  • 1. Wie erklärt die Nagra ihre Kehrtwende, dass Nördlich Lägern nun doch der bestmögliche Standort sein soll?
  • 2. Ist das Votum für Nördlich Lägern ein politischer Entscheid?
  • 3. Reichen die bereits getätigten Rückstellungen der AKW-Betreiber für den Bau eines Tiefenlagers?
  • 4. Welche Unterstützung erhalten betroffene Grundeigentümer, Gemeinden und Kantone?
  • 5. Wie reagiert das Ausland auf den Tiefenlager-Entscheid?
  • 6. Wie geht es nun weiter?

Wie erklärt die Nagra ihre Kehrtwende, dass Nördlich Lägern nun doch der bestmöglicher Standort sein soll?

«Die Geologie hat gesprochen», sagte Nagra-CEO Matthias Braun am Montag vor den Medien in Bern. Und dann wiederholte er die bereits am Samstag von seiner Behörde gelieferte Begründung: «Nördlich Lägern ist der beste Standort mit den grössten Sicherheitsreserven.» Nach jahrelanger, komplexer Zusammenarbeit mit Geologen, Politikern und Bürgern seien schlicht alle klüger geworden.

Auf seine Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) bezogen, heisst das laut Braun: «Heute wissen wir, dass die Dichte des Gesteins etwa doppelt so hoch ist.» 2015 sei man aus heutiger Sicht «viel zu vorsichtig gewesen». Noch vor acht Jahren wollte seine Behörde nämlich den Standort Nördlich Lägern wegen zu grosser Unsicherheiten betreffend des Opalinuston aussortieren, wurde dann aber von den Kantonen zurückgepfiffen. Dieser spezielle Ton gilt in der Schweiz als geeignetste Gesteinsschicht. Laut Nagra ist er äusserst dicht, bindet radioaktive Materialien und quillt im Fall eines Wassereinbruchs auf und «heilt sich damit gleich selbst», wie es Nagra-Chef Braun formuliert.

Matthias Braun, CEO der Nagra (Nationale Genossenschaft fuer die Lagerung radioaktiver Abfaelle),, kommentiert den Vorschlag von Noerdlich-Laegern im Zuercher Unterland als Standort fuer ein Tiefenlag ...
Matthias Braun, CEO der Nagra.Bild: keystone

Nach weiteren Abklärungen stehe nun fest, dass sich in Nördlich Lägern hierzulande die dickste Schicht von Opalinus-Ton befinde. Und diese weise auch «die ältesten Spuren von Wasser» auf, wie Matthias Braun erklärte. Das lasse darauf schliessen, dass der Untergrund in einer Tiefe von 700 Metern unter der Zürcher Gemeinde Stadel am stabilsten sei.

Ist das Votum für Nördlich Lägern ein politischer Entscheid?

Martin Neukom, Regierungsrat Kanton Zuerich, kommentiert den Vorschlag von Noerdlich-Laegern im Zuercher Unterland als Standort fuer ein Tiefenlager fuer radioaktive Abfaelle, am Montag, 12. September ...
Martin Neukom, Regierungsrat Kanton Zürich. Bild: keystone

Seit vergangene Woche erste Informationen und Spekulationen zur möglichen Standortwahl Nördlich Lägern bekannt worden, vermuten viele Kritikerinnen und Kritiker einen politischen Entscheid. Dies mit der Hauptargumentation, dass die Behörden in dieser Region mit dem geringsten Widerstand rechnen würden. Darauf angesprochen sagte der Zürcher Energiedirektor Martin Neukom als Kantonsvertreter der Nagra in der entsprechenden Begleitgruppe: «Ich bin definitiv der Meinung, dass dies kein politischer Entscheid ist.»

Darauf habe er von kantonalen Experten keine Hinweise erhalten, ergänzte Neukom. Natürlich kenne er die in den Medien geäusserte Kritik. «Meine Experten sind allerdings schon vor dem formalen Entscheid der Nagra auf ebendiesen Entscheid gekommen», versuchte Neukom zu beschwichtigen. Denn die bereits damals bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse würden den nun gefällten Entschluss eindeutig vorzeichnen. Und er versprach: «Selbstverständlich werden wir Kantonsvertreter das Geschehen rund um ein Schweizer Tiefenlager auch in Zukunft kritisch begleiten.»

Reichen die bereits getätigten Rückstellungen der AKW-Betreiber für den Bau eines Tiefenlagers?

Auf die Frage, welche Auswirkungen die Tiefe eines Schweizer Endlagers auf die Bau- und Betriebskosten haben werde, gab es an der Medienkonferenz vom Montag keine Antwort. «Die Kosten haben keine Rolle gespielt bei der Auswahl des Standorts», sagte Nagra-Chef Braun. «Es ging nur um die sicherheitskritischen Fragen.» Klar ist nur, dass Nördlich Lägern der tiefste untersuchte Standort von Opalinus-Ton ist. Damit bleibt auch weiterhin offen, ob die bereits durch die AKW-Betreiber getätigten Rückstellungen für die Entsorgung ihres Atommülls reichen werden.

Laut der aktuellsten verfügbaren Schätzung der Rückbau- und Entsorgungskosten wird der Atomausstieg die Schweizer Energiekonzerne 19.4 Milliarden Franken kosten. Für die Entsorgung aller radioaktiver Abfälle rechnet der von der Branche geäufnete Stilllegungs- und Entsorgungsfonds (Stenfo) mit Kosten von insgesamt 23.1 Milliarden. Laut diesen 2021 veröffentlichten Prognosen werden die Kosten damit 1.1 Milliarden tiefer ausfallen als fünf Jahre zuvor angenommen.

Welche Unterstützung erhalten betroffene Grundeigentümer, Gemeinden und Kantone?

Wer in der Nähe des künftigen Tiefenlagers wohnt oder Grund besitzt, darf zwar auf ein Entgegenkommen hoffen. Aber nicht in jedem Fall. Wie Martin Neukom erklärte, gilt es dabei zwischen Entschädigungen und Abgeltungen zu unterscheiden. Entschädigungen sind dabei für private oder juristische Personen sowie öffentliche Institutionen vorgesehen, die aufgrund von Eingriffen für das Tiefenlager einen Schaden erleiden.

Für die Region, in welcher das Tiefenlager zu stehen kommen soll, ist dagegen eine generelle Abgeltung vorgesehen. Dazu gibt es laut Monika Stauffer vom Bundesamt für Energie (BFE) zwar noch keine gesetzliche Grundlage. Diese solle nun aber für alle transparent ausgearbeitet werden. Für Einzelpersonen und Kantone sind jedoch keine Abgeltungen vorgesehen, wie der Zürcher Energiedirektor Neukom sagte. «Diese werden dafür ausgerichtet, dass eine Region diese Last tragt.»

Wie reagiert das Ausland auf den Tiefenlager-Entscheid?

Die Schweizer Pläne zur Entsorgung des Atommülls haben am Wochenende auch ennet der Grenze Protest und Sorgen ausgelöst. Deutsche Städte und Gemeinden am Hochrhein kritisierten einerseits den Bau einer Brennelemente-Verpackungsanlage in Würenlingen. Das sei für die 67'000 Menschen der 15 Kilometer entfernt gelegenen deutschen Gemeinde Waldshut-Tiengen eine grosse Belastung und eine potenzielle Gefahr, schrieben mehrere Bürgermeister in einer Mitteilung.

Aber auch der nun gefällte Standort für ein Tiefenlager provoziert ennet der Grenze Fragen. Die Nagra müsse nun «sehr gut begründen, warum ein zurückgestellter Standort plötzlich zum präferierten Standort wird», sagte Martin Benz, Bürgermeister von Hohentengen, der Deutschen Presse-Agentur. Den Bewohnern dieser Gemeinde gut zwei Kilometer entfernt vom geplanten Tiefenlager sei zwar klar, dass radioaktiver Müll nun mal da ist und auch entsorgt werden muss. Benz fordert namentlich Antworten auf Fragen zu Störfallszenarien und wie die Schweiz darauf vorbereitet sei.

Auch die Deutschen hätten im Vorfeld für Nördlich Lägern votiert, da dieser Standort von ennet der Grenze nicht einsehbar ist. Daran erinnerte Monika Stauffer vom BFE am Montag vor den Medien in Bern. «Die ganze Standortregion jetzt mitzunehmen, bleibt jedoch wichtig.» Dazu gehörten etwa auch die Abgeltungsverhandlungen mit betroffenen Gemeinden hierzulande als auch in Deutschland. Am Donnerstag will die Nagra ihren Entscheid auch in Hohentengen erklären.

Wie geht es nun weiter?

Seit 2008 läuft das aktuelle Auswahlverfahren für ein Tiefenlager. Zuletzt standen nebst Nördlich Lägern noch zwei weitere Regionen im Fokus – als Favorit das Zürcher Weinland (das sogenannte Projekt Zürich Nord-Ost) sowie die Region um den Bözberg (Jura Ost). 2024 will die Nagra bei den Bundesbehörden ihr Rahmenbewilligungsgesuch für ein Tiefenlager einreichen.

Danach wird der Bundesrat voraussichtlich 2029 darüber entscheiden, ein Jahr später das Parlament. Abschliessend dürfte das Volk das letzte Wort haben, untersteht der Standortentscheid für ein Tiefenlager doch dem fakultativen Referendum. Mit einer Inbetriebnahme ist frühestens ab dem Jahr 2045 zu rechnen, wie es am Montag in Bern hiess. (aargauerzeitung.ch)

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72 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Triple
12.09.2022 13:37registriert Juli 2015
Als Anwohner geht der Bau des Tiefenlagers für mich völlig in Ordnung. Interessant finde ich immer wieder die Kommentare aus Hohentengen. Da wird in höchsten Masse von der Schweiz profitiert, wehrt sich aber gegen alles was vielleicht nicht so schön ist. Grad Hohentengen hätte ohne die Schweiz gegen 0 Steuereinnahmen.
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