Das Bundesgericht hat die Beschwerde von mehreren Personen im Zusammenhang mit dem Parteiwechsel der Zürcher Kantonsrätin Isabel Garcia kurz nach der Wahl gutgeheissen. Die Sache geht nun an das Zürcher Verwaltungsgericht, das eine allfällige Täuschung der Wählerschaft prüfen muss.
Der Entscheid des Bundesgerichts fiel mit drei zu zwei Stimmen knapp aus. Der letzte Richter legte sich erst in der zweiten Diskussionsrunde fest, welchem Urteilsvorschlag er folgen will. In der öffentlichen Beratung mussten die Richter verschiedene Grundrechte einander gegenüberstellen.
Auf der einen Seite stehen die freie Bildung des Wählerwillens und in der Folge die möglichst präzise Widerspiegelung der Auffassungen und Meinungen der Stimmbürger im Parlament. Auf der anderen Seite galt es zu berücksichtigen, dass gewählte Personen ihr Mandat frei ausüben dürfen und ein Instruktionsverbot besteht.
Die Mehrheit hielt fest, dass mit dem im Kanton Zürich angewendeten Wahlsystem des doppelten Pukelsheim das Ziel verfolgt werde, den Wählerwillen möglichst unverfälscht zu ermitteln. Nur auf einer Liste aufgeführte Personen seien wählbar. Die Zugehörigkeit zu einer Partei sei ein wesentliches Element bei dieser Proporzwahl.
Ein Parteiwechsel kurz nach der Wahl verfälsche den Wählerwillen, und das in der Bundesverfassung festgehaltene Recht auf freie Willensbildung. Es finde sozusagen ein Etikettenschwindel statt.
Das kantonale Verwaltungsgericht muss nun abklären, ob Garcias Entscheid für den Parteiwechsel von der GLP zur FDP im Februar 2023 bereits während der Wahl feststand.
Grundsätzlich waren sich die Richter einig, dass das Zürcher Recht einen Parteiwechsel nicht verbietet. Mehr oder weniger deutlich sagten sie auch, dass sie das Vorgehen von Garcia der politischen Glaubwürdigkeit für nicht zuträglich halten.
Die Beschwerde hatten Benjamin Gautschi, Co-Präsident der GLP-Stadtpartei Kreis 7/8, und weitere fünf Personen aus unterschiedlichen Parteien beim Bundesgericht eingereicht.
Sie beantragten, den so genannten Erwahrungsbeschluss des Kantonsrats vom 8. Mai 2023 bezüglich Garcia aufzuheben und eine Verletzung der politischen Rechte festzustellen.
Mit dem Erwahrungsbeschluss bestätigte der Kantonsrat die Ergebnisse der Erneuerungswahl vom Februar 2023. Garcia kandidierte für die GLP. Sie erhielt 3023 Stimmen und errang damit eines der zwölf Kantonsratsmandate, die dem Wahlkreis II zugeteilt sind.
Die Ergebnisse der Wahl wurden im kantonalen Amtsblatt veröffentlicht. Die fünftägige Frist zur Ergreifung von Rechtsmitteln lief am 22. Februar ungenutzt ab. Am Tag darauf wurde bekannt, dass Garcia die GLP über ihren Übertritt zur FDP informiert hatte.
Bei der Erwahrung der Wahlresultate am 8. Mai 2023 beantragten AL und Grüne, Garcia nicht zu bestätigen, da sie gegen Treu und Glauben verstossen habe. Dieses «Misstrauensvotum» scheiterte mit 107 zu 52 Stimmen bei elf Enthaltungen.
Sogar die GLP, Garcias frühere Partei, habe damals anerkannt, dass keine rechtliche Grundlage bestehe, um ihr die Wahl zu verweigern, hält die Zürcher FDP, Garcias neue politische Heimat, als Reaktion auf das Bundesgerichtsurteil fest.
Dieses Urteil schafft für die FDP einen «gefährlichen Präzedenzfall»: Politikerinnen und Politiker könnten erheblich eingeschränkt werden, nach ihrem Gewissen handeln und entscheiden zu können – dabei sichere ihnen das Instruktionsverbot eine freie Ausübung ihres Amtes zu.
(Urteil 1C_223/2023 vom 22.5.2024) (saw/sda)