Nächstes Jahr feiert die Grünliberale Partei (GLP) ihr 20-jähriges Bestehen. Sie war 2004 im Kanton Zürich als Abspaltung von den Grünen entstanden. Nach einigem Auf und Ab hat sie sich in der Schweizer Parteienlandschaft etabliert. Ihre Wählerschaft rekrutiert sich primär aus dem Segment links der Mitte, das von FDP und SP notorisch vernachlässigt wird.
Wirklich gefestigt aber scheinen die Grünliberalen nicht zu sein. Das zeigt der am Donnerstag erfolgte Übertritt der Zürcher Kantonsrätin Isabel Garcia zur FDP. Der Zeitpunkt weniger als zwei Wochen nach den Wahlen sorgt vor allem im linksgrünen Lager für rote Köpfe. Denn nun droht die Klimaallianz im Kantonsrat ihre knappe Mehrheit zu verlieren.
Sie habe sich «erst nach den Wahlen zu diesem Schritt durchgerungen», wehrte sich Garcia in einem NZZ-Interview gegen die vor allem in den sozialen Medien erhobenen Vorwürfe, sie habe «Betrug am Stimmvolk» begangen. Nachvollziehbar sind sie (Disclaimer: Ich wohne in Isabel Garcias Wahlkreis 3/9 in der Stadt Zürich, ihr Name stand auf meiner Wahlliste).
Parteiwechsel sind in der Schweiz nicht unüblich. Die GLP hat auch davon profitiert. Das bekannteste Beispiel ist die frühere SP-Nationalrätin Chantal Galladé, die jetzt für die Grünliberalen in den Kantonsrat gewählt wurde und bereits mit einem Comeback in Bundesbern liebäugelt. Und von Verhältnissen wie etwa in Italien sind wir weit entfernt.
Ein Absprung unmittelbar nach den Wahlen wirkt dennoch opportunistisch. Der Verdacht drängt sich auf, dass Garcia vom «trendigen» GLP-Label profitieren wollte (die Umfragen sagten der Partei den grössten Zuwachs voraus). Bei einem Übertritt zur FDP vor den Wahlen wäre ihr Verbleib im Kantonsrat trotz Bisherigen-Bonus gefährdet gewesen.
Ein solches Verhalten ist extrem unfair gegenüber ihrer Wählerschaft und der bisherigen Partei, zumal sie seit 2007 Mitglied war und im weiteren Sinn zur «Gründergeneration» gehörte. Man habe sich «auseinandergelebt», sagte Garcia der NZZ. Das rechtfertigt ihr Vorgehen nicht, doch die Grünliberalen haben sich seit ihren Anfängen stark gewandelt.
Dazu muss man ein wenig ausholen: Die Grüne Partei der Schweiz, die dieses Jahr ihren 40. Geburtstag feiert, deckte ursprünglich ein breites Spektrum ab. Es reichte von linken Pazifisten bis zu bürgerlich-wertkonservativen Naturschützern. Davon ist wenig geblieben, die Grünen sind heute klar links und unterscheiden sich inhaltlich kaum von der SP.
Zum Knall kam es, als Martin Bäumle als Vertreter des rechten Parteiflügels 2004 die Kampfwahl um das Zürcher Kantonalpräsidium verloren hatte. Er verliess die Grünen zusammen mit Regierungsrätin Verena Diener und gründete die GLP, die anfangs einen eher bürgerlichen Kurs vor allem in der Finanz- und Wirtschaftspolitik verfolgte. Das hat sich geändert.
In den letzten Jahren sind die Grünliberalen jünger, weiblicher, urbaner und progressiver geworden. Das hat ihnen zusätzliche Wählerschichten erschlossen, irritiert aber Exponenten der Gründerzeit, darunter Bäumle. Im Oktober 2020 machte er seinem Unmut Luft, nachdem die Delegierten die Ja-Parole zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI) beschlossen hatten.
«Ich verstehe meine Partei immer weniger... tut weh als Gründer», hielt der ehemalige GLP-Präsident in einem internen Schreiben fest, das via «CH Media» den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hatte. Die KVI schaffe «unnötige neue Risiken für die Wirtschaft. Das ist gerade in der heutigen Zeit ein Problem». Auch das Nein zur E-ID hatte ihn verärgert.
Auch Isabel Garcia begründete ihren Abgang mit der Konzernverantwortungsinitiative sowie der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Letztlich ist ihr «Seitensprung» ein Ausdruck von späten Geburtswehen einer Partei, von der sich die «Etablierten» bedroht fühlen. Ihr Profil macht sie für Menschen attraktiv, die von der Links-Rechts-Konfrontation abgestossen sind.
Es macht sie aber auch angreifbar. Von links wird die GLP oft als eine Art SVP mit grünem Mäntelchen beschimpft, von rechts als pseudoliberales Anhängsel von Rotgrün. Das kann der Partei egal sein, solange die Wähleranteile nach oben zeigen. Selbst Martin Bäumle freut sich über den Aufwind. Aber es erschwert Erfolge bei Majorzwahlen.
Den Abgang von Isabel Garcia werden die Grünliberalen verkraften können. Er kann dazu beitragen, ein klareres Profil zu entwickeln. Stimmen im Internet attestieren ihnen, durch diesen Eklat an Glaubwürdigkeit gewonnen zu haben. Es ist dennoch nicht zu hoffen, dass Isabel Garcias dreister Vertrauensbruch mit ihrer Wählerschaft Schule machen wird.
Wir nehmen überrascht und mit Bedauern zur Kenntnis, dass #IsabelGarcia die Partei verlässt. Dies ist ein persönlicher Entscheid, den es zu respektieren gilt. Wir werden mit Isabel das Gespräch suchen und danken ihr an dieser Stelle für ihren langjährigen Einsatz für Partei.
— Grünliberale Kanton Zürich (@glpzh) February 23, 2023
Irritierend ist die gleichmütige bis fatalistische Reaktion der Kantonalpartei. Dabei hat Garcia ihr viel zu verdanken und noch kürzlich Flyer im Wahlkampf verteilt. Vielleicht ist das ja ein Problem der Grünliberalen: Sie sind oft zu lieb für die Schlangengrube Politik.
Da müsste wohl FDP anstelle von SVP stehen. Bei Wirtschaftsthemen mag die GLP gewisse Gemeinsamkeiten mit der SVP haben, aber bei der konservativ-progressiv-Achse sind die beiden sehr weit auseinander. FDP mit grünem Mäntelchen ist aber bei manchen Mitglieder durchaus eine passende Beschreibung.