Im letzten EM-Gruppenspiel wurde Turnier-Mitfavorit Deutschland von der Schweiz vor grosse Herausforderungen gestellt. Über lange Zeit hinweg sah alles nach der ersten Niederlage für Deutschland aus, denn die Taktik von Nati-Trainer Murat Yakin ging voll auf.
Erst der 1:1-Ausgleich in der 92. Minute durch Niclas Füllkrug sorgte jedoch dafür, dass die Mannschaft von Trainer Julian Nagelsmann die Vorrunde unbesiegt und als Gruppensieger beenden konnte. Wie die Schweizer jedoch die Schwächen der DFB-Elf aufzeigten und was Deutschland für den Achtelfinal Mut machen kann, erfährst du in der folgenden Taktikanalyse.
FT: 🇨🇭 1-1 🇩🇪
— Play Squawka Selector for Free (@Squawka_Live) June 23, 2024
Niclas Füllkrug's stoppage time equaliser means the hosts top Group A, while Switzerland qualify in second. @bet365 | #EURO2024 | #Ad pic.twitter.com/jNnOuFKEd2
Mit unveränderter Startelf begegnete den Deutschen ein mutig pressendes Team aus der Schweiz. Diese spielten wie zuletzt Ungarn in einem 5-2-3-System gegen den Ball. Anders als die Ungarn rückten die Schweizer jedoch immer wieder aggressiv vor und pressten die DFB-Elf sehr mannorientiert. Dies bedeutete eine klare Mann-gegen-Mann-Zuordnung, bei der die Schweizer den Spielaufbau der Deutschen früh stören wollten.
Dabei nahmen die drei Angreifer Fabian Rieder, Dan Ndoye und Breel Embolo den Dreieraufbau der Deutschen auf. Robert Andrich wurde von der Doppelsechs aufgenommen, während Granit Xhaka als defensiver Sechser den Spieler der Deutschen aufnahm, der sich im Mittelfeld fallen liess. Gegen Ungarn schafften es Jamal Musiala und Florian Wirtz durch diagonales Lösen von der gegnerischen Abwehrkette immer wieder an den Ball zu gelangen und das Spiel weiter nach vorne zu gestalten.
Die Schweizer Halbverteidiger folgten den beiden deutschen Spielmachern jedoch deutlich aggressiver und hinderten diese am Aufdrehen. Alternativ war es einer der Schweizer Doppelsechs um Xhaka und Remo Freuler, der diese aufnahm. Da Deutschland trotz enger Deckung beim Spielaufbau mit Pässen das Herzstück, nämlich ihr Mittelfeldzentrum suchte, konnte die Schweiz dort immer wieder ihr Pressing auslösen. So verlor Musiala vor dem 0:1-Gegentreffer den Ball gegen Xhaka:
Eine Lösung, welche gegen die ungarische Defensive häufig erfolgreich war, nämlich das Überspielen der Abwehr mit tiefen Bällen auf Havertz, nutzte die Nagelsmann-Elf seltener. Lediglich ein paar Mal konnte Antonio Rüdiger den tiefsten deutschen Punkt in Stürmer Kai Havertz finden. Situationen, in denen Innenverteidiger Manuel Akanji den deutschen Stürmer jedoch daran hindern konnte, weiter Richtung Tor zu spielen.
Dennoch sind dies Situationen, die besonders für kommende Spiele mit ähnlichen Gegnern noch optimiert werden sollten. Denn in diesen Angriffen war es Deutschland zumindest möglich, ins letzte Drittel zu gelangen.
Die Schwachstelle in der deutschen Defensive, welche die Ungarn schon im Ansatz aufdeckten, zeigte sich auch in der Partie gegen die Schweiz wieder. Infolge der Ballverluste hatte die deutsche Defensive auch mehr Verteidigungsmomente als noch in den ersten beiden Gruppenspielen. Und die Schweizer schafften es gelegentlich, die Problemzone der DFB-Abwehr zu bespielen – den Rücken der Aussenverteidiger.
Hatte die Schweiz den Ball in einer geordneten Phase, konnte Deutschland die eigene Problemzone noch gut kaschieren. Andrich fiel zwischen Rüdiger und Tah in die Abwehrkette zurück, wodurch die beiden Innenverteidiger mit der nötigen Sicherung bis zum Flügel durchschieben konnten. Zudem war Andrich dadurch in der Lage, gegen die Schweizer Sturmspitze Embolo zu verteidigen.
Etwas weniger klar war das Kettenverhalten jedoch nach Ballverlusten. War Andrich noch nicht in der Abwehrkette, dann verpasste es Rüdiger zum Beispiel beim Gegentreffer rechtzeitig den Rücken von Joshua Kimmich zu verteidigen. Von dort aus bereiteten die Schweizer ihr Tor vor. Auch weil Jonathan Tah es nicht schaffte, den Laufweg von Torschütze Dan Ndoye zu blocken oder rechtzeitig aufzunehmen.
Mit dem Rückstand war Deutschland gezwungen, sich Chancen herauszuspielen und hatte auch wesentlich mehr Ballbesitz. Die einfach besetzten Flügel in den deutschen Ballbesitzphasen sorgten dafür, dass die Schweizer im Zentrum kompakt blieben, wenn sie tiefer in der eigenen Hälfte verteidigten.
Räume zum Bespielen boten sich in der Folge eher auf den Flügeln. So war es kein Zufall, dass der aberkannte deutsche Führungstreffer über einen Doppelpass von Maximilian Mittelstädt und Wirtz auf der linken Aussenbahn eingeleitet wurde.
Zeitweise bewegte sich sogar Stürmer Havertz auf den Flügel, allerdings fehlte dann die Präsenz im deutschen Sturm. Mittelstädts Hereingaben fanden oftmals keinen Abnehmer. Denn auch wenn sich Havertz und Ilkay Gündogan im Strafraum befanden, konnten diese oftmals erfolgreich von der Schweizer Defensive am Abschluss gehindert werden.
Besonders gegen Fünferketten-Teams wie die Schweiz kann es eine Lösung für Deutschland sein, immer wieder mit Hereingaben von aussen zu arbeiten. Weil viele Gegner voraussichtlich aufgrund der Qualitäten der deutschen Zwischenraumspieler Musiala und Wirtz das Zentrum möglichst kompakt halten werden, bietet sich der DFB-Elf immer wieder die Möglichkeit, Mittelstädt und Kimmich ins Spiel zu bringen.
Gerade die Präsenz im Strafraum stieg mit der Einwechslung von zwei weiteren Stürmern mit Maximilian Beier und Niclas Füllkrug. Und so konnte Deutschland schliesslich in der Schlussphase doch noch den Ausgleich per Kopfballtreffer von Füllkrug erzielen.
Ein Element, dass bisher noch wenig zum Einsatz kam, im Laufe des Turniers jedoch noch von wichtiger Bedeutung im deutschen Angriffsspiel werden könnte. Denn auch wenn bei den Siegen über Ungarn und Schottland noch die Qualitäten im Zwischenraumspiel ausreichten, so werden sich auch kommende stärkere Gegner auf die deutsche Spielweise einstellen.
Alles in allem offenbarte das deutsche Team Probleme im Bespielen des Mann-gegen-Mann-Pressings der Schweizer und konnte ihre offensiven Schlüsselfiguren nur selten in Szene setzen. Zudem provozierte das Schweizer Pressing im Zentrum Ballverluste, die Deutschland in den kommenden Partien abstellen muss, um wieder weniger Umschalt- und Verteidigungsmomente zuzulassen.
Die Möglichkeit, durch die Einwechslung anderer Spielertypen die Dynamik des Spiels zu verändern, kann der DFB-Elf dennoch Mut für den Achtelfinal machen.
In meinen Augen hat Nagelsmann auch den Fehler gemacht, Füllkrug nicht früher eingewechselt zu haben. Mit Raum haben wir einen tollen Flankengeber. Dafür hätte es aber auch Spieler benötigt, die diese verwerten können und das kann in meinen Augen nur Füllkrug.