Basel-Fans im Stadion von Genf. Sion-Fans im Berner Wankdorf. Luzern-Fans im Letzigrund. Zürich-Fans vor dem Lausanner Stadion. Was sich am vergangenen Wochenende abgespielt hat, war nicht im Sinne des Erfinders. Die Swiss Football League hatte wenige Tage zuvor verkündet, dass bis Ende Jahr die Gastsektoren geschlossen bleiben müssen.
Warum? Primär, weil die Entwicklung der Pandemie doch sehr besorgniserregend ist und die Fans meist gedrängt in Zügen anreisen. Vielleicht ging es aber auch darum, etwas Dampf aus dem Kochtopf entweichen zu lassen.
In diesem Kochtopf schwimmen derzeit Politiker, Polizeibehörden und Fussballfunktionäre. Wer einen Löffel der Essenz probiert, verzieht das Gesicht. Ausserdem scheint ein ziemlicher Dichtestress zu herrschen in diesem Topf, weshalb die Ellbogen resolut ausgefahren, die Köpfe der Gegner in die Suppe gedrückt werden. Sich gemeinsam aus dem Topf zu befreien? Offenbar keine Option.
Der Ton hat sich in der Sache massiv verschärft. Und die Sache heisst: Kampf gegen Fangewalt rund um den Fussball.
Falls das temporäre Verbot von Gästefans auch eine deeskalierende Wirkung zwischen Fussball, Polizei und Politik haben sollte, so ist diese bereits verpufft. Denn jene Politiker und Politikerinnen, die Fussball-Fans generell in der Schublade der unbelehrbaren Anarchisten verstauen, sehen sich durch die Missachtung des Verbots bestätigt. Kurz: Die Fans aus Basel, Zürich Sion und Luzern haben einmal mehr ein Eigentor geschossen.
Aber auch die Berner Polizei hat am Mittwoch den Ball im eigenen Tor versenkt. Basel-Fans mit einem Grossaufgebot am Bahnhof abzufangen und ihnen den Aufenthalt in Bern zu verbieten, wirkt verstörend. Jedenfalls ist bis dato keine Ausgangssperre verhängt worden. Das Fussball-Ultras nun die Opferrolle für sich beanspruchen, ist nachvollziehbar.
Der Kampf gegen Fangewalt hat viel mit Bundesrätin Viola Amherd zu tun. Für sie spricht, dass sie Missstände im Sport beheben will. Das ist schon mal gut. Aber wie ihre Vorgänger regt auch sie sich in der Sache erst, wenn in irgendeinem Stadion gerade irgendein Mob getobt hat. Wie zuletzt nach den Krawallen beim Zürcher Derby. Da wünschte sie sich subito die Einführung personalisierter Tickets, obwohl die Geschichte noch nicht zu Ende gedacht ist.
Noch schlechter ist es aber, wenn die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren vorpreschen, die ID-Pflicht für Fussballfans fordern, obwohl kein Konzept vorliegt. Wieder ein Eigentor.
In England würde es auch funktionieren, heisst es – das nächste Eigentor. England mit der Schweiz zu vergleichen ist etwa so abwegig wie den Feierabendverkehr von New York mit jenem in Appenzell in Relation zu stellen. Erstens ist in England die Nachfrage nach Tickets grösser als das Angebot, weshalb personalisierte Tickets eher als Mittel gegen den Schwarzmarkt eingeführt wurden. Zweitens steht in England zwar ein Name auf dem Ticket, aber ob die Angaben mit den Personalien des Matchbesuchers übereinstimmen, wird höchstens stichprobenmässig geprüft.
Dass sich Fussballfans gegen personalisierte Ticket wehren, ist schleierhaft, wo wir doch eh gläsern sind. Verständlich ist die Opposition von Klubs und Liga. Denn personalisierte Tickets, insbesondere aber die Kontrolle, bedeuten einen erheblichen Mehraufwand. Erste, vage Berechnungen ergeben, dass es bei 20'000 Zuschauer zwei bis drei Stunden dauert, ehe alle Matchbesucher kontrolliert sind.
Es gibt aber noch weitere Hürden: Die Eingangskontrolle müsste Zugriff auf die Datenbank des Fedpol haben. Und wer kontrolliert? Die Polizei, die vielerorts eh schon über mangelnde Ressourcen klagt, sollte jedenfalls nicht zu weit weg sein, wenn am Drehkreuz der Alarm losheult.
Unbestritten ist wohl: Je mehr Repression, desto grösser der Personalaufwand. Umso erstaunlicher, dass die Polizei ein grosser Freund von personalisierten Tickets ist – Eigentor. Denn man schafft es ja nicht mal, die Werkzeuge des Hooligan-Konkordats zu nutzen. Die Meldepflicht, das wohl effektivste Mittel gegen Fangewalt, wird vielerorts nicht angewendet, weil Personal fehlt, der Polizeiposten am Wochenende geschlossen ist.
Das kann halt nicht funktionieren...