Das Duell um den Meistertitel spitzt sich zu. Fünf Runden vor Schluss scheint klar, dass es dem FC Basel nicht mehr reicht, die sieben Punkte Rückstand auf St.Gallen noch wettzumachen und den Meisterpokal zu gewinnen. Weil dafür ja nicht nur der FCSG schwächeln müsste, sondern auch Titelverteidiger YB.
Einen Abend nach dem 4:2-Sieg der Berner gegen Servette zog St.Gallen nach. War zuletzt nach zwei Auswärts-Unentschieden (3:3 in Lugano, 1:1 in Genf) da und dort die Befürchtung geäussert worden, dass die Kräfte der Grün-Weissen zur Neige gehen, war gegen Luzern gar nichts davon zu sehen. Für das «St.Galler Tagblatt» war das, was Peter Zeidlers Mannschaft beim 4:1-Sieg von der ersten Minute an zeigte, «vielleicht sogar die beste Halbzeit der Saison.» Auch der Trainer selber war voll des Lobes:
Das Fussballfest gegen das an sich formstarke Luzern war ein Beweis dafür, dass die St.Galler trotz ihrer intensiven Spielweise und dem dichtgedrängten Spielplan noch Saft in den Beinen haben. Es war auch ein Beleg dafür, dass jugendliche Unbekümmertheit manchmal mit Naivität einhergeht. Captain Silvan Hefti – 22-jährig erst, aber gestern bereits mit seinem 150. Super-League-Spiel – hätte auch Kraft sparen können in der Schlussphase der Partie, die schon längst entschieden war. Stattdessen legte er einen Rush nach dem anderen hin, traf in der 86. Minute nach einem schönen Angriff nur den Innenpfosten.
Es zeichnet den FC St.Gallen aus, dass er sich diese Sorglosigkeit leistet. Die junge Mannschaft kann gar nicht anders, sie scheint nur den Vorwärtsgang zu kennen. In 14 der 31 Saisonspiele schoss sie drei oder mehr Tore. Das kompensiert die für einen Leader ungewöhnliche Tatsache, dass gleich fünf Teams weniger Gegentore erhalten haben.
Zeidler konnte gestern auch die Behauptung widerlegen, wonach Titelkonkurrent YB über die bessere Bank, den breiteren Kader verfügt. Er musste den gesperrten zwölffachen Saisontorschützen Ermedin Demirovic ersetzen und stellte deshalb erstmals überhaupt André Ribeiro in die Startelf. Der Portugiese war sofort bereit, er erzielte nach zehn Minuten das brillant kombinierte Führungstor.
Ribeiro ist 23-jährig, gestern war bei St.Gallen nur ein Mittelfeldtrio älter: Lukas Görtler und die Spanier Jordi Quintilla und Victor Ruiz sind 26 Jahre alt. 23,4 Jahre alt war die Startelf gegen Luzern im Schnitt – und damit ein Jahr jünger als die vermeintliche U21-Mannschaft, die der FC Zürich am Dienstag beim 0:4 in Basel aufstellen musste, weil sich die Profis in der Corona-Quarantäne befanden.
Und nun? Hat St.Gallen weiterhin einen Punkt Vorsprung auf YB. Noch fünf Runden sind zu absolvieren, das ist das Restprogramm:
Geht es nach der Papierform, kommt es in der letzten Runde am 3. August, einem Montagabend, zur grossen Finalissima im Berner Wankdorf-Stadion. Doch selbst wenn dieses an der Papiermühlestrasse liegt, wird Fussball nicht auf Papier gespielt. Eine seriöse Prognose ist nicht möglich. Der St.Galler Bonus: Es kann sich selbst bei vier Berner Siegen eine Niederlage in den nächsten vier Spielen erlauben und hat dennoch die Chance, mit einem Erfolg im Direktduell den Titel zu holen.
Fakt ist: Der FC St.Gallen hat es in den eigenen Füssen, 20 Jahre nach der Sensation 1999/2000 wieder Schweizer Meister zu werden. Fünf Runden vor Schluss ist das für die Ostschweizer eine Aussage, die vor der Saison wohl niemand für möglich gehalten hätte.