Der Torschützenkönig. Die Frohnatur aus Ghana kommt 1995 in die Schweiz, kann sich in der Nationalliga B bei Winterthur nicht durchsetzen. Er wechselt in die 1. Liga nach Frauenfeld, wieder in die NLB zu Wil, wo Marcel Koller Trainer und wo Amoah treffsicher ist. Koller nimmt seinen Stürmer mit nach St.Gallen und mit 24 Jahren nimmt die Karriere Fahrt auf. Amoah lacht, Amoah trifft, Amoah begeistert. Er ist der unumstrittene Star der Meistermannschaft, wird an der Nacht des Schweizer Fussballs als Torschützenkönig, bester Stürmer und bester Spieler ausgezeichnet; für Ghanas Nationalteam schiesst er zehn Tore in 15 Einsätzen. Ein halbes Jahr nach dem Titel unterschreibt er einen lukrativen Vertrag bei Sturm Graz, er wird Österreichs Rekordtransfer. Doch Amoahs Stern ist verglüht. Auch wegen Verletzungen ist er nie wieder so gut wie in der mythischen St.Galler Meistersaison.
Der ärgste Rivale im Kampf um den Titel. Unter Trainer Christian Gross soll der schlafende Riese wieder zur grossen Nummer werden, was schlussendlich auch gelingt. Doch noch nicht in der Saison 1999/2000, da ist St.Gallen zu gut. Wobei die Espen in ihren Heimspielen das Glück auf ihrer Seite haben. In der Qualifikation geht Basel in der 91. Minute in Führung, doch in der 94. Minute erzielt Amoah nach Kopfball-Vorarbeit des aufgerückten Goalies Stiel das 1:1. In der Finalrunde jubelt Basel über einen Last-Minute-Sieg, doch Schiedsrichter René Rogalla versagt einem Kopfballtreffer von Oliver Kreuzer die Anerkennung. St.Gallen grinst, Basel schäumt.
Die Mutter aller Niederlagen für jeden FCSG-Fan. Dank zwei Toren von Edwin Vurens führt St.Gallen im alten Wankdorf gegen Lausanne 2:0. Als der Holländer einen Penalty verschiesst, kippt das Spiel. Lausanne verkürzt postwendend und erzwingt in der 89. Minute eine Verlängerung, am Ende siegen die Romands im Penaltyschiessen. Nur fünf St.Galler Meister stehen im Finalteam – was einiges über den Umbruch danach aussagt. Goalie Jörg Stiel, die Verteidiger Marc Zellweger, Marco Zwyssig und Ivan Dal Santo sowie Flügel Sascha Müller sind schon damals Stützen. Trainer Roger Hegi hat ein Fundament gelegt für das, was kommen sollte.
Als der FCSG am 7. Juni 2000 nach dem letzten Saisonspiel (1:1 gegen GC) den Pokal erhält, trägt Topskorer Charles Amoah ein Schiedsrichtertrikot. Er hat mit dem Unparteiischen getauscht, denn Dominique Tavel leitet die letzte Partie seiner Karriere. Der Waadtländer Weinbauer schnappt sich ein exklusives Erinnerungsstück an dieses besondere Spiel.
Das beste Fussballstadion der Welt. 11'300 Fans sorgen Spiel für Spiel für eine ausverkaufte Festhütte. Das Stadion ist fast hundert Jahre lang die Heimat der Espen, die deswegen auch so genannt werden. 2008 erfolgt der Umzug in die neue Arena im Westen der Stadt, vom Espenmoos steht heute noch die Haupttribüne. Nach wie vor wird es für Fussballspiele genutzt.
Als Materialwart zählt Franz Malara seit der Meistersaison und bis zur Pensionierung 2013 zum Staff. Seine Liebe zum FC St.Gallen dauert aber schon ein Leben lang an – und sie ist gegenseitig. Denn Malara ist die gute Seele, das Mädchen für alle und alles, besonders auch für die ausländischen Spieler eine Vaterfigur. Keiner, der nicht vom klein gewachsenen, warmherzigen Ausserrhoder schwärmt. Im «Tagblatt» erinnert sich Malara dieser Tage an die ruhmreiche Saison 1999/2000:
«Mein Vater war ein riesiger Fan. Er wurde 86 Jahre alt und durfte es nie erleben, dass St.Gallen Meister wurde. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie das damals war. Was in St.Gallen abging, das kann gar nicht getoppt werden, weder in Basel noch in Bern. Der Fussball kann so viel auslösen. Wenn ich davon erzähle, kommen mir jetzt noch Tränen. Einmal wird es sicher wieder so weit sein und ich hoffe, dass ich das noch einmal erleben darf. Und falls nicht, wünsche ich denen, die es erleben dürfen, ganz viel Freude und Spass.»
Einer der Sturmpartner Amoahs – im Wechsel mit Giorgio Contini. Der Rumäne Ionel Gane kommt ebenfalls im Sommer 1999 nach St.Gallen, schiesst ebenfalls viele Tore und setzt sich in der Saison nach dem Meistertitel ein Denkmal. Gegen Yverdon schiesst der wuchtige Angreifer beim 7:0-Sieg fünf Tore in einem Spiel – ein Rekord.
Der Ausgangspunkt des Wunders. Zum Auftakt der Finalrunde muss St.Gallen beim Rekordmeister GC spielen und der teilt die frechen Emporkömmlinge aus dem Osten gnadenlos ein. Nach einer Viertelstunde führen die vom grossen Roy Hodgson trainierten Hoppers 3:0. Doch bis zur Pause gleichen die St.Galler aus und auch auf das 4:3 durch Ricardo Cabanas in der 90. Minute finden sie nochmals eine Antwort: Ein Schlenzer von Charles Amoah von der Strafraumgrenze bedeutet das 4:4. Ekstase pur im St.Galler Fanblock, Hupkonzerte in Richtung Heimat. Ein Spiel, das die Anwesenden ihr Leben lang nicht vergessen werden.
Der Winterzuzug. Als vor der Finalrunde Wilco Hellinga in die Bundesliga zum 1. FC Nürnberg wechselt und Dorjee Tsawa zum FC Zürich geht, steht St.Gallen ohne defensives Mittelfeld da. Wieder erinnert sich Koller an einen Spieler, der unter ihm in Wil gespielt hat: Daniel Imhof. Der Doppelbürger wächst in Kanada auf, kehrt 1999 zurück in die Schweiz. Bald folgt der Wechsel zum FCSG, wo er die entstandene Lücke gemeinsam mit dem Brasilianer Guido ausfüllt. Jener debütiert im vierten Spiel der Finalrunde und erzielt gleich in der 2. Minute das 1:0 beim rauschenden 7:1-Sieg über den FC Luzern. Imhof lebt wieder in Kanada, wo er unter anderem eine Ferienlodge in British Columbia vermietet. Von Guido heisst es, dass er sein Kampfgewicht früherer Tage nicht ganz hat halten können – ähnlich wie der «echte» Ronaldo.
Der Denker und Lenker im Mittelfeld. Auch Luiz Filho Jairo spielt zunächst in Wil, ehe 1998 nach einer Saison der grosse Bruder ruft. Nach einer weiteren Saison kommt es zur Wiedervereinigung mit Trainer Koller. Der Brasilianer bereitet viele Tore vor und trifft auch selber regelmässig.
Der Meistermacher. Als Spieler war Marcel Koller eine Legende des in St.Gallen verhassten GC. Sieben Mal wurde er Schweizer Meister mit dem Grasshopper Club, 1999/2000 führt er den FCSG zum Titel. Ihn zeichnet aus, dass er eine Mannschaft aufbaut, in der sich die Spieler verstehen, manche sprechen von einer Familie. Dass dies noch immer so ist, belegt die Tatsache, dass Giorgio Contini unlängst eine WhatsApp-Chatgruppe des Meisterteams gegründet hat, in dem laut Sascha Müller reger Betrieb herrscht.
Auswärts spielen die grün-weissen St.Galler zwischen 1997 und 1999 in roten Trikots – ausserordentlich erfolglos. Koller fällt das auf, fortan ist das Ausweichtrikot gelb. Schon im ersten Auswärtsspiel der Meistersaison gibt es einen 1:0-Sieg bei Cupsieger Lausanne, nachdem Koller angekündigt hat: «Heute gewinnen wir im Maillot Jaune!» Der FCSG bleibt bis am Ende der Saison auf Rang 1. Auch dank dem Psychotrick des Trainers.
Zürcher gehören bekanntlich nicht zu den populärsten Landsleuten der Ostschweizer. Doch es gibt Ausnahmen. Flügel Sascha Müller begeistert die Fans mit seinen Sturmläufen, dazu arbeitet er auch defensiv mit. Lange vor Tranquillo Barnetta haben die Espen einen Star mit zu grossem Trikot am rechten Flügel. Müller ist bei weitem nicht der einzige Zürcher im Meisterteam. Neben ihm und Trainer Koller leisten auch Giorgio Contini, Giuseppe Mazzarelli, Dino Pinelli und Marc Zellweger «Aufbauhilfe im Osten».
Die Super League mit zehn Teams ist seit 2003/04 die höchste Schweizer Spielklasse. Zuvor heisst diese Nationalliga A und hat zur Jahrtausendwende zwölf Mannschaften. Die Saison ist aufgeteilt in Qualifikation und Final- bzw. Auf-/Abstiegsrunde. Die besten acht Teams der Qualifikation ermitteln den Meister, die schlechtesten vier spielen mit den vier besten der Nationalliga B um vier NLA-Plätze für die Folgesaison. St.Gallen kämpft in den Jahren mit diesem Modus fast immer um einen Finalrunden-Platz – mal erreicht es diesen, mal verpasst es ihn.
Der FC St.Gallen ist das sportliche Aushängeschild eines grossen Teils der Schweiz. Auch wenn böse Zungen noch heute behaupten, hinter Winterthur würde Österreich beginnen. Der Ostschweizer Anteil im Meisterteam ist wesentlich: Aus der Region kommen Thomas Alder, Adrian Eugster, Philipp Meyer, Pascal Thüler, Dorjee Tsawa, Patrick Winkler, Vincenzo Zinna und Marco Zwyssig. Und natürlich Co-Trainer Werner Zünd, der mit seinem Rheintaler Dialekt ausserhalb der Heimat wohl etwa gleich häufig verstanden wird wie ein Walliser.
Charles Amoah wird von Ausrüster Adidas dank seiner Treffsicherheit in einen exklusiven Zirkel aufgenommen. Der Topskorer erhält als einziger Spieler in der Schweiz den im Handel nicht erhältlichen Schuh «Predator» in Silber. Den dürfen nur Superstars wie David Beckham oder Giovane Elber tragen.
13 Siege, sechs Unentschieden und nur drei Niederlagen leistet sich der FC St.Gallen im Herbst 1999. Eine Bilanz, die niemand hat kommen sehen – denn die letzten zwölf Spiele der Vorsaison enden sieglos. St.Gallen hat acht Punkte Vorsprung auf Basel, wobei die Zähler vor der Finalrunde halbiert werden. Trotzdem ist der FCSG schon in der viertletzten Meisterschaftsrunde Champion, am Ende hat er zehn Punkte Vorsprung auf Lausanne.
Aus der Feder dieser Band stammt der Meister-Song mit den eingängigen und so wahren Zeilen: «I ha Träne i dä Auge, i cha's immer no nöd glaube!» Der Rest ist viel schalalala und geht trotzdem unter die Haut (und führt zu einem Rechtsstreit, weil ein Teil der Melodie von DJ Ötzis «Anton aus Tirol» übernommen wird). Es gibt auch noch einen anderen Meistersong, doch über das hochdeutsch vorgetragene Schlagerlied «La Ola olé» von den Soranos wird besser der Mantel des Schweigens gehüllt.
Der Leader. Als Goalie hat Jörg Stiel schon einiges erlebt, als er 1996 zum zweiten Mal beim FC St.Gallen landet. Der Aargauer spielt als blutjunger Keeper mit Wettingen gegen Diego Maradona, steigt bei seinem ersten Gastspiel in der Ostschweiz mit St.Gallen ab und wechselt nach Mexiko. Nach der Rückkehr in die Schweiz wird sein Vertrag beim FC Zürich nicht verlängert, nur St.Gallen will ihn, also kehrt der vereinslose Stiel, der temporär Fernseher verkauft, zurück aufs Espenmoos. Er wird zum grossen Rückhalt, schafft «auf seine alten Tage» mit 32 Jahren den Sprung ins Nationalteam, wechselt mit 33 Jahren in die Bundesliga zu Borussia Mönchengladbach und beendet die Karriere als 36-jährige Nummer 1 der Schweiz an der EM 2004.
Der Ersatzgoalie hat ein schwieriges Los: Er trainiert, als würde er spielen, nur um am Matchtag dann doch auf der Bank zu sitzen. Und schlägt mit 26 Jahren die grosse Stunde des NLA-Debüts, gibt's im Hardturm eine 0:8-Klatsche gegen GC. Das ist die Geschichte von Thomas Alder – aber sie ist nicht fertig. Denn Alder ist ein loyaler, feinfühliger Mensch, der eine wichtige Rolle im Team einnimmt. Typen wie ihn braucht eine Mannschaft, die etwas gewinnen will. Kurios: 1998 im UI-Cup wird Alder gegen Tulevik Viljandi aus Estland zwei Mal als Stürmer eingewechselt. Und als er seine Laufbahn beendet und in Costa Rica Spanisch lernen will, schliesst er sich einem Klub an, um fit zu bleiben und aus Spass am Fussball. Gleich nach der ersten Partie wird er Mann des Spiels – nicht irgendwo, sondern in der höchsten Liga des Landes.
Dank dem Meistertitel schnuppert der FC St.Gallen im Spätsommer 2000 an der Champions League. In legendären Spielen gegen Galatasaray – amtierender UEFA-Cup-Sieger – scheitern die Espen knapp. Zum Trost kommt es im UEFA-Cup zum Duell mit Chelsea. Die Londoner sind zwar noch nicht der Gigant wie heute, doch als Premier-League-Klub eine ganz andere Hausnummer. St.Gallen verliert an der Stamford Bridge 0:1 und wirft Chelsea dank einem 2:0-Sieg im Rückspiel im Zürcher Hardturm raus. Was für eine Sensation! In der Runde darauf scheitern die Espen in letzter Minute an Brügge, das daraufhin den FC Barcelona als Gegner zugelost erhält.
Ein Bollwerk. In der Mitte verteidigen vor Jörg Stiel die Innenverteidiger Marco Zwyssig und Giuseppe Mazzarelli, links Ivan Dal Santo und rechts Marc Zellweger. Die Übersicht von Abwehrchef Zwyssig ist einzigartig. Sie macht ihn, der erst mit 25 Jahren Profi wurde, zum Nationalspieler. Er wird in fünf Saisons mit drei Klubs vier Mal Meister (2000 St.Gallen, 2001 Innsbruck, 2002 und 2004 Basel).
Bis dahin die Sternstunde aller Espen-Fans, die beim Cupsieg 1969 noch nicht auf der Welt sind. Mit Knipser Ivan Zamorano und seinem chilenischen Spielmacher Hugo Rubio stürmt St.Gallen zum Wintermeister-Titel. Damit kann man sich zwar nichts kaufen, aber die Euphorie ist genau so gewaltig wie ein Jahrzehnt später. Damals zieht es der FCSG aber noch nicht durch: In der Finalrunde folgen ein Einbruch und der Absturz auf Rang 5. Zamorano wird später bei Real Madrid und Inter Mailand zum Weltstar.
Ivan ZAMORANO - St. Gallen 1989-90 pic.twitter.com/5uVV8zVeED
— Old School Panini (@OldSchoolPanini) September 1, 2014
Schweizer Fussballreporter danken den Neuenburgern, dass sie das X bei jedem ABC locker befüllen können … Für Neuchâtel Xamax ist der FCSG in dieser Saison zu stark. In der Finalrunde siegen die St.Galler auswärts wie zuhause mit 3:0.
Neben St.Gallen das zweite Überraschungsteam des Herbsts, das unter Jungtrainer Lucien Favre als Fünfter in die Finalrunde einzieht. In ewiger Erinnerung ist ein glorreicher Doppelpack von Giuseppe Mazzarelli beim 4:1-Heimsieg in der Finalrunde. Innerhalb von zwei Minuten pfeffert er Yverdon-Goalie Alain Flückiger, von den Fans als «Gölä» verspottet, aus grosser Distanz zwei Freistösse ins Netz. Wenn's läuft, dann läuft's – war schliesslich ganz simpel. Mazzarelli erklärt nach dem Spiel: «Ich habe einfach den Ball gesetzt und geschossen. Und wenig später habe ich es nochmals so gemacht.»
Die Kultfigur mit der langen Mähne. Ein Spiel, das «Zelli» mit sauberen Hosen beendet, gibt es nicht. Er ist kein Blender, sondern ein Kämpfer vor dem Herrn und damit Publikumsliebling im Espenmoos, wo man traditionelle Hausmannskost der Haute Cuisine vorzieht. Nach seinem (unfreiwilligen) Abgang im Jahr 2010 wird die Rückennummer 17 des FCSG-Rekordspielers, der 517 Mal für die Espen auflief, nicht mehr vergeben.