Jim Montgomery ist nicht mehr Headcoach der Boston Bruins. Nach einem durchzogenen Saisonstart kosteten vier Niederlagen in den letzten fünf Spielen den 55-Jährigen seinen Job.
Das ist auch darum ein bemerkenswerter Vorgang, weil er aufzeigt, wie gnadenlos der Spitzensport ist. Noch 2023 gewann Montgomery den Jack Adams Award als bester Trainer der NHL. Neben ihm waren Dave Hakstol (Seattle Kraken) und Lindy Ruff (New Jersey Devils) nominiert – und auch sie haben ihre Stellen seither verloren. Noch einmal: In den bloss eineinhalb Jahren seit der Verleihung des Awards wurden die damals drei besten Trainer der Liga allesamt entlassen.
2022/23 hatte Jim Montgomery die Bruins zum Sieg in der Regular Season geführt, nie zuvor holte ein Team mehr Punkte als seines. Doch in den Playoffs scheiterte Boston gleich in der 1. Runde, in der vergangenen Saison war auch bereits in der 2. Runde Schluss. Nachdem in diesem Sommer Center Elias Lindholm und Verteidiger Nikita Zadorov verpflichtet wurden, wurden die Bruins hoch gehandelt. Doch sie hinkten den Erwartungen hinterher: Nur acht Siege in 20 Spielen waren nicht das, was man sich erhoffte im TD Garden.
Erst gefeiert, dann gefeuert. Kaum läuft es einmal nicht, nützen einem Trainer all die Erfolge der Vergangenheit nichts mehr, wenn die eine Niederlage zu viel das Fass zum Überlaufen bringt.
Besonders bitter ist das für die Betroffenen in Fällen, in denen sie vermeintlich nicht viel dafür können. Ein Torhüter, dem der Puck zwischen den Beinen durchgeht? Oder in einer anderen Sportart: Ein Fussballer, der in der 92. Minute das leere Tor verfehlt? Ein Schiedsrichter mit Tomaten auf den Augen? Kommt alles vor, aber ist dann halt ein saublödes Timing für den Trainer, der deshalb ein Spiel verliert.
Marco Schällibaum erging es jüngst so. Mit den Grasshoppers steckte der 62-Jährige im Sumpf, sein Trainerstuhl wackelte. Aber vielleicht hätte er sich noch halten können, hätten Schiedsrichter und VAR nicht ein Handspiel erfunden, das ausser ihnen niemand sah. So gab es einen Penalty für Luzern, dieser wurde zum 2:0 verwertet, GC konnte nicht reagieren und Schällibaum verlor seine Anstellung.
Es ist dann praktisch ausnahmslos vom schwächsten Glied in der Kette die Rede und davon, dass es halt einfacher sei, den Trainer auszutauschen als eine ganze Mannschaft. Der Coach als Sündenbock, der in Extremfällen auch mal gehen muss, nur damit seine Chefs sich dadurch ein paar Wochen Ruhe erkaufen können.
Richtig fies wird es für einen Trainer, wenn sich sein Arbeitgeber auf die Fahne geschrieben hat, ein Ausbildungsverein zu sein. Dann soll er zwar unerfahrene Talente fördern, aber bitteschön auch Erfolg haben. Ein Spagat, der schwierig zu meistern ist. Spieler entwickeln und die Früchte dieser Arbeit erst Jahre später ernten? Oder doch mit aller Macht den kurzfristigen Erfolg anstreben, um am Montag noch einen Job zu haben?
Weil im Spitzensport immer mehr Geld im Spiel ist, erscheinen kurzfristige Ergebnisse oft wichtiger als langfristige Visionen. Denn wie soll man die umsetzen, wenn nach dem Abstieg viel weniger Geld fliesst? Trainer werden zum Blitzableiter, wenn Resultate ausbleiben.
Für mittel- und langfristigen Erfolg braucht es eine besonders starke Führungsriege, die einen Trainer auch in schwierigen Phasen stützt und ihn verteidigt. Dann hat ein Trainer wenigstens eine Sorge weniger, denn er muss sich ohnehin permanent auf alle Seiten hin verteidigen und gut kommunizieren können. Vielen Spielern muss er darlegen, weshalb sie nur Ersatz sind. Und jede Entscheidung wird öffentlich beurteilt: Das Team schlecht ein- und falsch aufgestellt, zu spät gewechselt, an der Linie wahlweise zu wenig oder zu viel Emotionen gezeigt.
Je grösser der Klub ist, desto grösser der Druck, der auf einem Trainer lastet. Bei Ottmar Hitzfeld führte dies zu einem Burnout, auch andere klagten darüber, ausgebrannt zu sein. Jürgen Klopp nahm sich bewusst eine Auszeit, als im Sommer seine Zeit in Liverpool endete.
Ein Teil der Spitzengehälter von Trainern ist Schmerzensgeld. Doch ganz so übel kann der Job ja nicht sein, dass nicht viel mehr Trainer von sich aus dem Zirkus den Rücken zuwenden und sich ganz neu orientieren.
2006 hatte Lindy Ruff den Award für den besten Trainer erhalten, so wie 2023 der nun in Boston in die Wüste geschickte Jim Montgomery. Der 64-jährige Ruff macht die Arbeit immer noch gerne, obwohl er schon seit 1997 in der besten Eishockey-Liga der Welt Headcoach ist. Nachdem ihn New Jersey im März 2024 entlassen hatte, dauerte es nur sechs Wochen, ehe Ruff bei den Buffalo Sabres übernahm.
Am Ende zeigt die Geschichte von Jim Montgomery, Lindy Ruff und Dave Hakstol, dass im Spitzensport Erfolge schnell vergessen sind. Der Trainerjob bleibt eine der härtesten Positionen im Sport: ein Spiel mit hohem Einsatz, bei dem oft der nächste Misserfolg überwiegt – und selten die Anerkennung.