Biel und Servette haben im Halbfinal ihr Spiel perfektioniert. Ein emotionales Biel konterte aus der Tiefe des Raumes die ZSC Lions mit kühlem Verstand und der Präzision von Landvermessern aus. Ein dynamisches Servette zermürbte ein resignierendes Zug ohne Leader und zu wenig Leidenschaft mit permanenter Offensive.
Zwei simple Statistiken zeigen uns den Unterschied der Systeme. Biel triumphierte bei optischer Unterlegenheit (92:120 Torschüsse). Genf siegte optisch und statistisch überlegen (165:142). Das gleiche Bild im Viertelfinal: Servette dominierte Lugano mit 234:163 Abschlussversuchen, Biel konterte gegen den SCB «feldmässig» unterlegen (157:187)
Eine ewige, durch eine mehrjährige Untersuchung der Universität Prag bereits im letzten Jahrhundert wissenschaftlich bestätigte Weisheit sagt: Fast 70 Prozent der Tore im Eishockey fallen nach einem schnellen Gegenangriff (Konter). Also nicht durch permanente Überlegenheit. Aus einem einfachen Grund: Beim Konter haben die angreifenden Spieler mehr Raum und Zeit zum Abschluss.
Hingegen stehen sich beim Sturmlauf oft zehn Feldspieler ums gegnerische Tor herum im Weg und immer wieder bleibt der Puck an einem Stock oder einem Schlittschuh hängen. Auch dazu eine simple Statistik: Das konternde Biel hat 16,30 Prozent seiner Abschlussversuche in Tore umgemünzt. Servette bloss 7,27 Prozent. Biel benötigte für 15 Tore 92 Schüsse. Servette für 12 Treffer 165 Versuche.
Erfolgreich ist ein dynamisches Offensivteam nur dann, wenn der permanente Druck (Forechecking) bei den gegnerischen Spielern – vor allem den Verteidigern – zu Fehlern in der Defensiv-Zone führt und die Angriffsauslösung (die Auslösung der Konter) verhindert wird.
Wie präzis und effizient die Bieler im Halbfinal zu Werke gingen, zeigt noch eine Zahl: Sie haben 46,15 Prozent ihrer Powerplays zu Toren genützt. Der höchste je bei uns gemessene Wert in einem Halbfinal. Die Weltklasse beginnt im Powerplay bei 30 Prozent. Servettes Überzahlspiel war im Halbfinal mit 21,43 Prozent nicht einmal halb so wirkungsvoll.
Wir ersehen daraus: Zwei Teams, zwei Systeme. Biel und Servette haben die DNA ihres Spiels, ihre spielerische Identität über Jahre entwickelt. Die Systeme sind gut eingeübt.
Die entscheidende Frage bei dieser Auseinandersetzung der Systeme: Halten die Bieler dem gegnerischen Druck stand? Lässt sich Biel – wie Zug – von Servette zermürben? Wir können diese Frage polemisch zugespitzt auf einen Spieler reduzieren: Yannick Rathgeb. In seiner spektakulärsten Saison (2016/17) – noch bei Gottéron – erreichte er in 45 Qualifikationspartien sage und schreibe 34 Punkte. Aber mit Minus 21 hatte er die miserabelste Plus/Minus-Bilanz aller 128 Verteidiger der Liga.
Nun ist aus dem offensiven Waghals («Hasardeur») ein berechenbarer, ja einer der besten Offensivverteidiger der Liga geworden: In der Qualifikation war er defensiv seriös wie noch nie. Mit einer Bilanz von plus 13 steht er in der Plus/Minus-Rangliste der Liga auf Rang 13 hat nach wie vor 23 Punkte beigesteuert. Eine Steigerung von 115 Rängen im Vergleich zu seiner wildesten Zeit. Auch in den Playoffs (+4) und im Halbfinal (+2) steht er im Plus. Vielleicht findet er jetzt doch zum ersten Mal Gnade bei Nationaltrainer Patrick Fischer (erstes WM-Aufgebot?).
Wenn Servettes Stürmer bei ihrer Störarbeit (Forechecking) Yannick Rathgeb nicht aus der Ruhe bringen und zu Fehlern zu verleiten können, wenn es dem ehemaligen Langenthaler gelingt, seine Pässe weiterhin auf die Stöcke seiner davonbrausenden Stürmer zu zirkeln – dann mögen die Hockeygötter Servette einen guten Rat geben. Dann hat Servette ein Problem. Wir können auch sagen: Sage mir, wie es Yannick Rathgeb in der eigenen Zone geht und ich sage dir, wie es um Servette steht.
Eine weitere ewige Weisheit sagt: Am Ende entscheidet doch der Torhüter. Alle Systeme, Statistiken und Taktiken sind nutzlos, wenn der letzte Mann versagt. Wir können davon ausgehen, dass Biels Harri Säteri dem Druck standhält. Er ist Olympiasieger und Weltmeister und hat die einmalige Chance auf einen «Goldenen Hattrick»: Weltmeister, Olympiasieger und Schweizer Meister.
Hält auch Robert Mayer dem Druck stand? Diese Frage entscheidet den Final. Im Halbfinal war Robert Mayer statistisch mit einer Fangquote von 94,33 Prozent minimal besser als Harri Säteri (93,48 %). Keine Frage: Robert Mayer spielt das beste Hockey seiner Karriere. Tut er das auch im Final, wird Servette Meister. Robert Mayer gegen Harri Säteri ist ein Goalie-Duell auf allerhöchstem Niveau.
Auf der Torhüterposition hat Biel sogar Spielraum: Im Viertel- und im Halbfinal ist je einmal Joren van Pottehlberghe zum Zuge gekommen. Mit einer Fangquote von 93,33 Prozent. Gegen die ZSC Lions hat er im zweiten Spiel in Zürich alle Pucks gehalten (4:0). Gauthier Descloux hat in den ersten drei Partien gegen Lugano im Viertelfinal Servettes Tor gehütetet (Fangquote 90,67 %). Es hängt in Genf alles an Robert Mayer.
Leidenschaft ist der Sauerstoff des Spiels. In dieser Beziehung gibt es keinen Unterschied. Zug und die ZSC Lions hatten im Halbfinal einen Auftrag: Den Final erreichen und dann Meister werden bzw. bleiben. Den Final haben Servette und Biel erreicht. Weil beide nicht bloss mit einem Auftrag unterwegs waren. Sondern mit einer Mission. Servette kann zum ersten Mal in seiner mehr als hundertjährigen Geschichte (seit 1903) Meister werden. Die Bieler kämpfen nicht nur um die erste Meisterschaft seit 1983. Sie kämpfen auch für ihren an Krebs erkrankten Trainer.
Wir stehen vor einem der spektakulärsten und ausgeglichensten Playoff-Final der Geschichte. Wenn es so knapp, so ausgeglichen ist, hängt am Ende alles am Goalie. Ein Goalie-Fehler kann den Final entscheiden.
Eismeister
Genialer Satz vom Eismeister.
Olympiasieger und Weltmeister ist auch statistisch leichter zu erreichen als ein Schweizer Meister Titel mit Biel. Sätteri will seiner Karriere jetzt also die Krone aufsetzen.