Die ZSC Lions sind noch eine Niederlage vom Saisonende entfernt. Verlieren sie am Mittwoch auch die vierte Halbfinalpartie, dann steht Biel zum ersten Mal in seiner Geschichte im Final. Von Kapitulation kann trotzdem keine Rede sein. Niemand weiss besser als die Zürcher, dass ein 0:3 noch nicht die Entscheidung ist. Vor einem Jahr haben sie unter Trainer Rikard Grönborg den Final nach einer 3:0-Führung gegen Zug verloren.
Marc Crawford wird gefragt, ob er in seiner mehr als 20-jährigen Geschichte als Cheftrainer schon mal eine Playoffserie nach einem 0:3-Rückstand noch gewonnen habe:
Er steht also nach mehr als 800 NHL-Partien vor einer neuen Herausforderung. Er ahnt, dass es ein Wunder braucht, und fragt rhetorisch: «Wie isst man einen Elefanten?» Und gibt die Antwort gleich selbst: «Stück für Stück.» Vom chinesischen Philosophen Lao-Tzu gibt es auch einen Spruch, der zur Situation passt: «Eine 1000 Kilometer lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt.»
Der erste Schritt auf der Reise in den Final ist für die Zürcher ein Sieg am Mittwoch auf eigenem Eis. Und wer weiss, wie ein Spiel laufen wird, wenn den ZSC Lions der erste Treffer gelingt. Im dritten Spiel hatten sie mindestens zwei sehr gute Möglichkeiten zum 1:0. Sie sind optisch nicht unterlegen und haben das zweite und dritte Spiel statistisch dominiert (28:17 bzw. 28:21 Torschüsse). Die Zuversicht ist ungebrochen.
Verteidigerhaudegen Christian Marti sieht das Problem. Er drischt nicht das leere Stroh der Ausreden. Er beschäftigt sich vielmehr mit der Frage, wie dieses «Blitz-Biel» gestoppt werden kann. «Sobald sie die Scheibe haben, spielen sie die langen Pässe auf die davonlaufenden Stürmer.» Im zweiten Drittel erzielt Biel fünf Tore. Der zweite Treffer ist ein spektakuläres Beispiel für die Art und Weise, wie die Bieler ihre Angriffe auslösen. Ein langer Pass öffnet das Spiel für Toni Rajala. Er läuft allein auf und davon und trifft zum 2:0.
Ein Mittel gegen diese Angriffsauslösung ist intensives Forechecking. Dem SC Bern ist es im Viertelfinal durch unorthodoxe, mehr improvisierte als systematische Störarbeit erstaunlich gut gelungen, die Seeländer ein wenig zu bremsen und immerhin in Biel (5:3) und in Bern (3:2) ein Spiel zu gewinnen. Eigentlich verrückt, aber so ist es: Die im Vergleich zum SCB besser organisierten Zürcher waren bisher noch nicht dazu in der Lage, Biels Spiel im Ansatz zu packen. Die Bieler kommen mit dem gut lesbaren, gut strukturierten Spiel der Zürcher besser zurecht als mit dem zeitweise wilden SCB-Hockey.
Vielleicht könnte Einschüchterung helfen. Also eine Prise Härte. Christian Marti sagt: «Wir versuchen ja unsere Checks fertig zu machen.» Aber etwas ist bei den Bielern anders als in den letzten Jahren. Anders auch als noch im letzten Frühjahr, als sie den Viertelfinal gegen die ZSC Lions nach einer 2:0- und 3:2-Führung am Ende 3:4 verloren haben: Sie lassen sich nicht mehr einschüchtern und auch durch hartes Einsteigen kaum vom Puck trennen. Wir sehen gerade das robusteste Biel seit dem Wiederaufstieg von 2008.
Christian Marti sagt, es sei schon möglich, härter einzusteigen, gibt aber zu bedenken, dass die Bieler Strafen auszunützen verstehen. Die Statistik ist beeindruckend: Die Bieler haben in den drei Halbfinalpartien exakt ein Drittel aller Powerplays (33,33 Prozent) zu Toren umgemünzt. Das Spiel mit Härte und Provokationen zu würzen, ist also gegen Biel ein riskantes Spiel.
Defensiv solid (in den zwei ersten Partien kein Gegentreffer), diszipliniert (im dritten Spiel keine Strafe), im dritten Spiel fünf Tore in einem Drittel gegen die beste Abwehr der Qualifikation erzielt, exzellentes Powerplay und im Halbfinal noch keinen Treffer in Unterzahl kassiert: Biel kann Defensive und Offensive, Powerplay und Boxplay. Das bedeutet eigentlich auch: Biel kann Meister. Biel meisterlich? Wir sollten es inzwischen nicht mehr ausschliessen.
Die Bieler sind gerade dabei, eine grosse Hockey-Maschine – die ZSC Lions – in ihre Einzelteile zu zerlegen. Oben auf der Resultatanzeige – 1:0 im ersten, 4:0 im zweiten und nun 5:3 im dritten Spiel – steht für einmal nicht die ganze Wahrheit. So eindeutig, wie es die Resultate vermuten lassen, ist die Sache nicht.
Kritik an den ZSC Lions fällt nach wie vor schwer. Sie sind auf allen Positionen mindestens gleich gut besetzt. Simon Hrubec spielt auf Augenhöhe mit Harri Säteri. Die Zürcher verfügen über eine ähnliche Kadertiefe und Ausgeglichenheit. Sie haben ihr Spiel gut strukturiert.
Was auch eine Rolle spielt: Biel pflegt neben aller Professionalität seit Jahren die ganz besondere Kultur des familiären Zusammenhaltes und der Kontinuität. Geschäftsführer Daniel Villard ist seit 2003, Sportchef Martin Steinegger seit 2012 und Trainer Antti Törmänen seit 2017 im Amt. Es ist eine ausgeprägte Hockeyromantik, die wir eigentlich eher bei den vermeintlich «Kleinen» wie Langnau, den Lakers, Kloten oder Ambri erwarten. Es ist diese besondere Kultur, die es möglich macht, eine schwierige Situation zu meistern. Antti Törmänen ist wieder an Krebs erkrankt. Trotzdem stand er bei der dritten Partie wieder an der Bande. Die Bieler sind auf einer Mission. Auch für ihren Trainer.
Möglicherweise war gerade dieser Zusammenhalt, diese Romantik in der Vergangenheit einer der Gründe, warum vielversprechende Ausgangslagen in den Playoffs wie zuletzt 2019 oder 2022 gegen «abgezockte» Teams wie Bern oder die ZSC Lions doch nicht ausgenützt werden konnten.
Aber nun helfen die Erfahrungen aus dem Scheitern der Vergangenheit. Sie haben Biel besser, auch mental robuster gemacht. Bereits während der Qualifikation: Biel hat schon oft zwischen September und März grandios gespielt. Aber immer wieder verhinderten sportliche Depressionen eine absolute Spitzenklassierung. Erst in der letzten Qualifikation gab es keine «Durchhänger» und am Ende stand die bisher beste Klassierung in der Qualifikation (2.) und ein neuer Punkterekord (101 Punkte, 12 mehr als die bisherige Bestmarke).
Wir sehen in diesem Halbfinal das ausgeglichenste, robusteste, erfahrenste und am besten zwischen Offensive und Defensive ausbalancierte und schnellste Biel. Mit den besten Torhütern (Harri Säteri und Joren van Pottelberghe) seit Olivier Anken, dem Meistergoalie von 1978, 1981 und 1983.
Selbst, wer sich noch lebhaft an das meisterliche Biel von 1978, 1981 und 1983 zu erinnern vermag und gerne die Vergangenheit verklärt und glorifiziert, sagt nach dem 5:3 vom Montagabend:
Nun wird sich weisen, ob das reicht, um auch ein meisterliches Biel zu werden.
Allez Bienne!
Christian Marti, Verteider Z
Ich weiss, isch gemein.
Ich geniesse schlicht jede Sekunde unseres Spiels. Biel ist auf dem Zenit ihrer Schaffenskraft angelangt. Die Leichtigkeit des Seins. Auch die Ausgeglichenheit der Linien ist beeindruckend.