Und das ausgerechnet gegen Biel. Den Klub, bei dem er schon einmal einen Vertrag unterschrieben, aber nie ein Spiel bestritten hat.
Rückblende: Die Demütigung. Am 7. April 2021 verliert Davos auf eigenem Eis das erste Pre-Playoffspiel gegen den SC Bern in der Verlängerung 3:4. Robert Mayer ist an allem Schuld. Nach 18 Minuten und 51 Sekunden wird er nach dem dritten Gegentreffer und einer Fangquote von 66,67 Prozent durch Sandro Aeschlimann ersetzt.
Trainer Christian Wohlwend teilt ihm kurz nach dem «Aus» in den Pre-Playoffs gegen den SC Bern telefonisch mit, er werde in Davos nicht mehr spielen. Trotz Vertrag bis 2024. Einfach so. Es hat nicht mal ein klärendes Gespräch gegeben. Auf die Mannschaftsreise ist Robert Mayer auch nicht mehr mitgenommen worden. Aber er hat sich nie beklagt und im Rückblick gesagt, er könne es verstehen:
Der Triumph. Am 8. April 2023, fast auf den Tag genau zwei Jahre später, steht Robert Mayer ganz oben. Er ist besser als Leonardo Genoni. Servette gewinnt die fünfte Halbfinalpartie gegen Zug 3:2 und zieht in den Final ein. Leonardo Genoni hat zum ersten Mal seit 2018 (im Halbfinal gegen die ZSC Lions) eine Playoff-Serie verloren. Zug ist nicht mehr Meister. Mit einer Fangquote von 94,35 Prozent ist Robert Mayer statistisch der beste Playoff-Torhüter 2023. Vor Biels Harri Säteri (93,48 Prozent) und Leonardo Genoni (93,29 Prozent).
In zwei Jahren auf Umwegen vom Sündenbock in Davos zum Finalhelden in Genf. Kein anderer Schweizer Torhüter hat eine so bewegte Karriere hinter sich. Seine Reise durchs Leben und die Eishockeywelt hat ihn von Schlesien auf Umwegen über Chur, Kloten, Kanada, die USA, Genf, Davos und Langnau zurück nach Genf geführt. Vielleicht ist das die Erklärung dafür, warum Robert Mayer kein gewöhnlicher Goalie ist.
Wenn er über sein Leben erzählt, wenn er zu erklären versucht, warum alles so gekommen ist, wie es gekommen ist, dann spricht er offen und ehrlich und nicht ein einziges Mal fällt er in die heute bei Profis üblichen verbalen Schablonen. Kurzum: keine Ausreden. Er sagt mit sympathischer Offenheit einfach, was war.
Er ist weit herumgekommen in der Welt und beherrscht vier Sprachen (Tschechisch, Deutsch, Französisch, Englisch). Er hat gelernt, Situationen zu akzeptieren, wie sie nun mal sind. Wenn er sagt, die Familie sei ihm sehr wichtig, dann wissen wir spätestens dann, wenn wir seine Geschichte kennen, dass das nicht einfach eine Floskel ist.
Geboren ist er im Osten von Tschechien. In Schlesien. In der Bergbaustadt Havirov. Sein Grossvater war Eismeister in der lokalen Arena. Auch als er mit seinen Eltern in die Schweiz zieht, verbringt er die Ferien in seiner Heimat. Weil es eine bessere Kombination von Schule und Hockey gibt, beginnt er nach der Einschulung seine Karriere noch in Havirov. Erst dann loggt er 2002 in Chur in unser Hockeysystem ein.
2003 der Wechsel nach Kloten. Wäre daraus eine klassische Karriere mit dem kontinuierlichen Aufstieg von den Junioren in die erste Mannschaft geworden, diese Geschichte wäre nicht geschrieben worden. Und er stünde jetzt wohl nicht mit Servette im Final. Bei der U18-WM 2007 ist er einer der weltbesten Goalies seiner Altersklasse. Folgerichtig wechselt er im Sommer 2007 ins nordamerikanische Junioren-Hockey und zwei Jahre später ist er in der American Hockey League (AHL) bei den Hamilton Bulldogs, dem Farmteam der Montreal Canadiens angelangt. Bis dahin ein Karriereverlauf wie im Bilderbuch.
Aber von nun an wird seine Laufbahn und auch sein Leben eine Fahrt auf der Achterbahn. In der AHL kann er sich nicht durchsetzen und wird in die drittklassige East Coast League abgeschoben. Dort wird er mit Cincinnati 2010 Meister und kehrt nach Hamilton zurück. Aber in den nächsten drei Jahren kommt er nicht über das Farmteam hinaus. Ihm wird klar, dass aus der grossen NHL-Karriere nichts wird. Es ist an der Zeit, die Zukunft neu aufzugleisen.
Zeit für die Rückkehr nach Hause. Für einen Profivertrag in der Schweiz. Robert Mayer unterschreibt im Frühjahr 2013 bei Biel. Er soll Reto Berra ersetzen, der in die NHL wechselt. Aber eben: bei Robert Mayer laufen die Dinge anders. Ein Anruf lenkt seine Karriere in andere Bahnen.
In Biel treten nun halt Lukas Meili und Simon Rytz die Nachfolge von Reto Berra an.
Es reicht doch nicht für die NHL.
Ein Jahr später kehrt Robert Mayer im Sommer 2014 doch in die Schweiz zurück. Er wird in Genf der Nachfolger von Tobias Stephan, der nach Zug zügelt. Die Frage ist natürlich: warum ist die NHL ein unerfüllter Traum geblieben? Er könnte jetzt glaubhaft darlegen, dass er eben nicht zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen NHL-Organisation war. Aber er sagt:
Alles sei ihm über den Kopf gewachsen und er habe sich nicht hundertprozentig auf seine Hockey-Karriere konzentrieren können.
Während seiner Zeit als Junior in Saint John (2007 bis 2009) ist er Vater geworden. «Auf einmal bist du mit 19 Vater, aber immer unterwegs mit dem Team.» Diese Situation sei für ihn sehr schwierig gewesen. Er heiratet seine Freundin nicht. Die Beziehung aber bleibt bestehen. Er sieht seinen Sohn regelmässig im Sommer. Mit der Aussicht auf eine Zukunft in Genf könnte nun im Sommer 2014 alles ein wenig ruhiger werden. Aber nicht bei Robert Mayer.
Diese Meldung schreckt im Juli 2014 die Hockey-Schweiz auf. Er ist auf dem 600er-Töff im kanadischen Saint John unterwegs. In einer Kurve rutscht die Maschine mit 80 weg. «Im ersten Moment gingen mir schlimme Gedanken durch den Kopf». Aber er schwingt sich wieder in den Sattel und fährt nach Hause. «Dort habe ich mich umgezogen. Die Schmerzen sind wohl zunächst vom Adrenalin gedämpft worden.»
Er entscheidet sich, zur Kontrolle ins Spital zu fahren. Die Ärzte verordnen sofortige absolute Ruhe und verlegen ihn für drei Tage auf die Intensivstation. «Sie stellten fest, dass ich innere Blutungen hatte und meine Lunge kollabiert ist». Dazu kommt: sechs Rippen und zwei Wirbelfortsätze sind gebrochen. Eishockey spielen? Nicht in den nächsten acht Monaten. «Das war die Prognose der Ärzte. Ich sagte mir: Ich will in drei Monaten wieder auf dem Eis stehen.»
Mit eisernem Willen kämpft er sich zurück. Zwölf Tage nach dem Unfall trainiert er schon wieder leicht im Kraftraum. Zweieinhalb Wochen nach dem Sturz darf er nach Genf fliegen. Am 11. Oktober 2014 spielt er in Ambri (2:3 n.P.) seine erste Partie für Servette.
Nun folgen in Genf die bisher ruhigsten sechs Jahre seines Hockeylebens. In der Stadt lernt er auch seine Frau kennen und er ist inzwischen erneut Vater geworden. Seine Leistungen sind konstant gut bis sehr gut. 2016, 2019 und 2020 wird er sogar ins WM-Team berufen (4 Spiele). Bei den Einsätzen von 2016 und 2019 mit dem Nationalteam lernt Verbands-Sportdirektor Raëto Raffainer seine Qualitäten schätzen.
Als Raeto Raffainer beim HCD Sportchef wird, lockt er Robert Mayer im Frühjahr 2020 mit einem Vierjahresvertrag nach Davos hinauf. Aber eben: das Hockeyleben beschert ihm immer wieder überraschende Wendungen. Nach nur einer Saison ist das HCD-Abenteuer am 7. April 2021 nach der Niederlage gegen den SC Bern in den Pre-Playoffs zu Ende. Er darf die HCD-Kabine nie mehr betreten und wird schliesslich im September 2021 leihweise nach Langnau transferiert. Die SCL Tigers bezahlen eine Leihgebühr, der HCD weiterhin das Salär.
Im Laufe der Saison einigen sich die Parteien auf eine Vertragsauflösung und Robert Mayer kehrt im Frühjahr 2022 heim nach Genf. An den Ort seiner Bestimmung. Nun spielt er bei Servette sein bestes Hockey und steht im Final. Robert Mayer ist ein sogenannter «Hybrid-Goalie» mit einer unheimlich schnellen Fanghand. Also kein rassenreiner «Butterfly-Stilist».
Er kombiniert erfolgreich verschiedene Stilrichtungen: Einerseits beherrscht er den «Butterfly» perfekt: Der Torhüter «taucht», stellt die Schoner wie Schmetterlingsflügel auf und mit aufrechtem Oberkörper deckt er eine so grosse Fläche ab wie möglich. Andererseits pflegt er auch den «Stand-Up-Stil»: Der Goalie bleibt so lange wie möglich stehen und fordert die Stürmer heraus.
Optisch mahnt er in lichten Momenten ein wenig an den SCB-Kultgoalie Renato Tosio. Der Modellathlet (185 cm, 91 kg) hat alles, um ein grosser Goalie zu sein. Er ist zwar gerade wegen seines unkonventionellen Stils nicht vor haltbaren Toren gefeit. Aber dafür kann er an einem guten Abend Spiele im Alleingang gewinnen.
Die Frage, die uns noch umtreiben wird: Robert Mayer hat Leonardo Genoni im Halbfinal vom Sockel gestürzt. Wird er jetzt auch sein Nachfolger als Nummer 1 in der Nationalmannschaft?
Ich fand es total daneben, wie Wolwo mit ihm in Davos umgegangen ist.
Es ist toll dass er wieder in die Bahn zurück gefunden hat.
Nun wünsche ich ihm und Servette viel Erfolg! Zeigts dem Wolwo!