Die Resultate ungenügend, der Unmut gross. Eishockey-Nationaltrainer Patrick Fischer steht nach einer weiteren enttäuschenden WM 2023 und einer Serie von mehr als zehn Niederlagen arg in der Kritik. Sein Vertrag wäre nach der WM 2024 ausgelaufen und wird im Februar 2024 trotz oder gerade wegen viel Polemik und Kritik vorzeitig grad bis 2026 verlängert.
Nicht auf Drängen Patrick Fischers. Er hätte mit der Situation gut leben können. Der neue Verbandspräsident Stefan Schärer will es so. Fans und Medien murren. Selbst die zurückhaltende NZZ moniert: «Ein Bekenntnis zur Unzeit.» Ein Grund für die weitherum kritisierte Verlängerung: Nicht in die gleiche Situation geraten wie der Fussballverband und die Situation noch vor der WM klären.
Dort steht Murat Yakin nämlich schon fast vor dem Aus. Trotz der Qualifikation fürs europäische Titelturnier. Die Schweizer spielen einfach zu wenig gut. Dazu kommen Meinungsverschiedenheiten mit seinem Leitwolf Granit Xhaka. Der «Tages-Anzeiger» poltert stellvertretend für die Lage der Fussball-Nation:
Doch der Verband hält an Murat Yakin fest und bekräftigt, mit ihm die Euro 2024 zu bestreiten und dann die Zukunft zu regeln. «Was für ein fauler Kompromiss», spottet der «Tages-Anzeiger».
Weniger als ein halbes Jahr später werden Patrick Fischer und Murat Yakin als Helden gefeiert. Von «Zero zu Hero», titelt die NZZ. Patrick Fischer erreicht nach 2018 zum zweiten Mal den WM-Final. Nach einem Sieg über Titelverteidiger Kanada. Murat Yakin gelingt bei der Euro in der Gruppenphase ein historisches Remis gegen Deutschland und im Achtelfinal der «Jahrhundert-Sieg» gegen Titelverteidiger Italien. Er wird von Fans und Medien zum «besten Nationaltrainer aller Zeiten» – also der vergangenen und allen, die noch kommen werden – ausgerufen. Mehr Lob geht nicht.
Eine weitere Parallele: Die Schweizer sind in den Final der Eishockey-WM gestürmt. Modernes, mutiges, dynamisches und nicht defensives und destruktives Hockey. Mit modernem, mutigem und dynamischem Fussball und nicht mit einer defensiven «Riegel-Taktik» ist Italien besiegt, ja vom Rasen gefegt worden. Die Art und Weise, wie modern die Schweizer Eishockey und Fussball zelebrieren, hat auch etwas mit der Persönlichkeit ihrer nahezu gleichaltrigen Trainer zu tun. Und noch eine Parallele: Patrick Fischer und Murat Yakin haben ihr Team um einen Leitwolf geschart: um Roman Josi der eine, um Granit Xhaka der andere.
Der grosse Napoléon fragte einst, wenn ihm ein Offizier zur weiteren Beförderung zum General vorgeschlagen wurde: «Aber hat der Mann auch Glück?» Patrick Fischer und Murat Yakin haben neben aller fachlicher Kompetenz auch dieses Glück, das der grosse Korse meinte. Auch das ist kein Zufall.
So unterschiedlich die Sportarten, ihre Strukturen und ihre globale Bedeutung auch sein mögen – rutschiges Eis da, grüner Rasen dort, ritterähnliche Ausrüstungen da, kurze Hosen dort – Patrick Fischer und Murat Yakin sind in ihrem Wesen und Wirken und in der Umsetzung des Spiels auf dem Eis bzw. dem Rasen erstaunlich ähnlich. Keine sturen Taktik-Ingenieure. Sondern spielerische und taktische Freidenker.
Taktik kann mit den heutigen technischen Hilfsmitteln sowieso jeder Assistent. Was wichtiger und nicht erlernbar ist, was grosse von gewöhnlichen Banden- und Rasengenerälen unterscheidet: ein Gespür für Trends und Typen. Coolness, Gelassenheit und Selbstvertrauen, wenn es am medialen Himmel blitzt und donnert. Qualitäten, die Nonkonformisten wie Patrick Fischer und Murat Yakin eigen sind. Eigenschaften, die sich in einem Wort zusammenfassen lassen: Charisma.
Wir hatten im Eishockey und im Fussball schon viele tüchtige Nationaltrainer. Aber nur wenige mit so viel Charisma und Glück im richtigen Augenblick wie Patrick Fischer und Murat Yakin. Die beiden sind die Glücksrichter unseres Sportes. Der grosse Josef Freiherr von Eichendorff hat vor fast 200 Jahren das Wesen eines guten Glücksrichters launig in Gedichtform zusammengefasst:
Wenn Fortuna spröde tut
Lass ich sie in Ruh
Singe recht und trinke gut
Und Fortuna kriegt auch Mut
Setzt sich mit dazu
Sie bezahlt Wein und Bier
Und ich wieder gut
Führe sie am Arm mit mir
Aus dem Haus wie ein Kavalier
Alles zieht den Hut.
Diese Gelassenheit – Fortuna auch mal in Ruhe lassen – macht den erfolgreichen Glücksrichter aus. Erleichtert den Umgang mit Polemik und Kritik und es wird möglich, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen: Kritik und Polemik entstehen ja nicht im luftleeren Raum und sind sehr oft berechtigt.
Patrick Fischer hat Fortuna in Prag und Murat Yakin in Berlin am Arm wie ein Kavalier aus dem Stadion geführt und alle ziehen den Hut. Murat Yakin ist sogar der noch bessere Glücksritter als Patrick Fischer: Sein Vertrag läuft aus, die Verlängerung wird sehr, sehr teuer. Patrick Fischer hat seinen Vertrag noch vor Prag verlängert, der Verband hat ein wenig Geld gespart.