Es verkam Mitte Februar fast zur Randnotiz, als der Schweizer Fussballverband SFV nach wochenlanger Suche meldete: Giorgio Contini ist bis zum Ende der EM der neue Assistent von Murat Yakin. Die Wahl erweist sich heute für die Schweizer Delegation in Deutschland als Glücksfall. Contini ist zu einer Hauptfigur geworden, auf und neben dem Platz sehr präsent. Und mit dem gleichaltrigen Nati-Trainer verbindet ihn eine Freundschaft, sie ist wichtig für das Vertrauen.
Yakin sagt: «Wir haben identische Ideen. Mir war es wichtig, eine Person bei mir zu haben, auf die ich mich verlassen kann. Ich sehe Giorgio als gleichberechtigten Partner und Mit-Trainer.» Das alles sind Zuschreibungen, die auf den Vorgänger Vincent Cavin nicht zutrafen. Mit dem Romand an seiner Seite hatte sich Yakin nicht abgeholt und unwohl gefühlt. Und in seiner Analyse nach der EM-Qualifikation auf einen Wechsel gepocht. Auch, um sich selbst zu stärken.
«Ich finde Contini klasse, er hat einen tollen Umgang mit uns, ist ein super Motivator», sagt Silvan Widmer. Auch Captain Granit Xhaka ist voll des Lobes. Wie jeder Nationalspieler. Contini spricht ihre Sprache und fliessend Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Er ist teamfähig, kommunikativ, klar in den Anweisungen. Nicht zu vergessen, dass der 50-Jährige zum positiven Binnenklima beiträgt. Er sagt: «Als Coach bist du der Fahrer des Schweizer Autos. Ich bin einfach da für die Mannschaft.»
Contini unterstützt Yakin in den Trainings mit Verve und voller Tatendrang, feuert an. Auch für ein Spässchen ist er immer zu haben. «Die Nati war für mich eine neue Herausforderung. Eine solche Qualität an Spielern trainierte ich davor noch nie, und einen solchen Support spürte ich davor noch nie», sagt er. Geglückter Auftakt bildete das Trainingslager im März in La Manga, schnell merkten Spieler und Staff, dass die Chemie und die Wahrnehmung in der Trainerrolle stimmt. Contini hatte das Gefühl, als wäre er schon lange dabei.
Natürlich hat man nicht ahnen können, dass sich alles so entwickelt. Es darf trotzdem nicht überraschen. Der Winterthurer war ja selbst jahrelang Klubtrainer und Fussballer, hat gar ein Länderspiel in den Beinen. Wobei jenes zustande kam, weil einige Titulare unpässlich waren. Jahrelang stürmte Contini für den FC St.Gallen und wusste nicht nur in der Meistersaison 1999/2000, wo das Tor steht. Deshalb ist er in der Nati für die Offensive zuständig. Mit durchschlagendem Erfolg bei bislang sieben EM-Toren. «Auch in der Defensive stehen wir gut, sie beginnt ja vorne im Angriff», sagt er.
Auffallender war Contini als Trainer, obschon der grosse Wurf fehlt. Beim in der Saison 2011/12 begeisternden FC Luzern war er schon einmal der Assistent von Yakin. Sie galten als harmonisches Duo, das Teile der Ausbildung in Magglingen auch gemeinsam absolviert hatte. Danach entwickelte sich Contini bei Vaduz und dem FC St.Gallen weiter. Bei den Ostschweizern erachtete man aber seine Entourage als schwierig, trotz guter Performance musste er den Verein seines Herzens verlassen. Ehe Contini bei zwei von ausländischen Besitzern gesteuerten Klubs landete, bei Lausanne und GC, und abermals seine Arbeit weit mehr als ordentlich verrichtete.
Bei GC hatte Contini nicht mehr bleiben wollen, seit Sommer 2023 galt er als arbeitslos. Er genoss die freie Zeit zu Hause in Niederbüren mit den beiden Töchtern, bildete sich weiter und hospitierte im vergangenen Herbst vier Tage beim grossen Real-Madrid-Trainer Carlo Ancelotti. Über Kontakte war das zustande gekommen. Contini schwärmt von der Sozialkompetenz, der natürlichen Autorität und der Ruhe, die Ancelotti ausstrahlt. Fünfmal hat der Italiener bislang die Champions League gewonnen.
«Wir sind als Trainer eigentlich fertig ausgebildet. Aber man muss den Draht zu den Spielern haben, zwischenmenschliche Verbindungen, um das Fachliche transportieren zu können», sagt Contini. Es geht um Leadership und Führung. Bei Ancelotti steht nicht der Fussballer im Vordergrund, sondern der Mensch, dem es gut gehen muss, um Leistung bringen zu können. Natürlich hat Contini bei Real auch Jude Bellingham gespürt, der am Samstag mit England nun auf die Schweiz trifft. «Ein Wahnsinns-Athlet. Er macht sogar am Tag nach einem Spiel noch Kilometerläufe.»
Es war auch Contini, der nach dem Sieg gegen Italien in der Mixed Zone sagte: «Mir wäre England als Gegner lieber, mental ist es einfacher zu bespielen. Wir als Spielverderber gegen das grosse England.» Das grosse England ist nun im EM-Viertelfinal tatsächlich der Gegner. Und sei auf Topniveau von der Individualität her, sagt Contini. «Über unser Kollektiv werden wir Chancen haben – wir wollen England aus dem Gleichgewicht bringen, dafür braucht es einen minutiösen Marschplan und eine gewisse Effizienz.»
Insider berichten, Contini wäre in diesem Sommer wohl bei den Young Boys gelandet, ohne das Engagement bei der Nati. Der Vertrag mit dem SFV ist befristet, nach der EM läuft er aus. Wie bei Yakin ist alles offen. Und gar nicht so abwegig, dass das Duo gemeinsam den Weg mit der Schweiz weitergeht.