Die Zeichen hatten schon lange auf Veränderung gestanden. Vor fünfeinhalb Jahren hatte mit dem Besitzerwechsel von der luxemburgischen Firma CVC Capital Partners zum amerikanischen Unternehmen Liberty Media eine neue Zeitrechnung begonnen, verbunden mit der Hoffnung auf Neuerungen, die der Drei-Klassen-Gesellschaft Formel 1 den Riegel schieben und der in der Gunst des Publikums gesunkenen Rennserie neues Leben einhauchen sollten.
Den Verantwortlichen von Liberty Media waren vorerst die Hände gebunden, doch mit dem Auslaufen des sogenannten «Concorde Agreements», der eigentlichen Verfassung der Formel 1, am Ende des vorletzten Jahres war endlich die Chance für die dringend notwendigen Anpassungen gekommen. Die Macher gestalteten die neue, für fünf Jahre gültige Version des Regelwerks komplett um – mit dem vordergründigen Ziel einer völligen Umwälzung im technischen Bereich.
Die Massnahmen sollten schon in der vergangenen Saison greifen, im Zuge der Corona-Pandemie war die Verschiebung um ein Jahr jedoch unumgänglich. Ein langwieriger Prozess, der mit der Veröffentlichung der neuen Richtlinien im Herbst vor zwei Jahren begonnen hatte, zog sich damit weiter in die Länge. Den Technikern kam die Verzögerung nicht ungelegen. Bereits das Verstehen des neuen Reglements kam einer grossen Herausforderung gleich.
Mehr Ausgeglichenheit und damit mehr Spannung und mehr Überholmanöver auf den Rennstrecken soll die Revolution bringen, niedergeschrieben in einer Technik-Bibel, die mit 169 Seiten Umfang doppelt so gross ist wie ihre Vorgängerin. Ein erstes Ziel scheint erreicht, sogar in ausgeprägterem Masse als erwartet. Die Vielfalt der Wege überrascht, die beim Bau der Autos eingeschlagen worden sind. Jeder der Rennwagen der zehn Teams hat seine Eigenheiten, die Unterschiede sind zum Teil frappant. Der trotz eingeschränkter Freiheiten in mehreren Bereichen gewährte Spielraum hat es möglich gemacht.
Die enger gesetzten Leitplanken hatten selbstredend Konsequenzen. Die Techniker sahen sich genötigt, bei ihrer Arbeit das Erlaubte im Höchstmass auszureizen. Am Limit bewegten sie sich alle, am ausgeprägtesten taten dies wohl die Ingenieure des Teams Mercedes. Das nach zwei Jahren in Schwarz nun wieder im traditionellen Silber gehaltene Auto kommt mit ganz schlanken, kaum sichtbaren Seitenkästen daher – und löste erwartungsgemäss Kontroversen aus.
Die Teamleitung von Red Bull sprach von einer illegalen Lösung und brach damit bereits wieder den ersten Zwist mit dem Dauerrivalen vom Zaun. Obwohl sie bei den Roten Bullen mittlerweile von ihrer Meinung abkamen und die Regularität des Mercedes anerkannten, war es wohl ein erster Vorgeschmack darauf, was die Formel 1 auch in der neuen Saison begleitet wird: Eine Rivalität, die sich bei den besten zwei Teams der vergangenen Jahre nicht auf die Rennstrecke beschränken wird.
Die grossen Abweichungen zwischen den einzelnen Rennwagen sind auch dem Umstand geschuldet, dass die Ingenieure nicht auf Bestehendes zurückgreifen konnten. Die übliche Weiterentwicklung auf Basis der Vorjahresmodelle war nicht möglich. Mit den aktuellen Boliden betraten die Techniker völliges Neuland.
👀 @MercedesAMGF1 vs @ScuderiaFerrari #F1 pic.twitter.com/sZ7Ri9Cj2u
— Formula 1 (@F1) March 15, 2022
Zehn Konzepte – das führt unweigerlich zur Frage, welcher Weg nun den Erfolg bringt beziehungsweise welcher Weg in die Sackgasse führt. Wer die falsche Schiene gewählt hat, dürfte die gesamte Saison dafür büssen. Ein signifikanter Umbau des Autos dürfte allein aufgrund der Restriktionen beim Budget nicht möglich sein. Die erlaubte, in einem weiteren Schritt gesenkte Kosten-Obergrenze für die kommende Saison liegt bei 140 Millionen Dollar.
Welches Team nun die knifflige Aufgabe am besten gelöst hat, ist, wenn überhaupt, erst schemenhaft zu erkennen. Die Erkenntnisse, die im Zuge der jeweils drei Tage dauernden Testfahrten in Montmeló in Spanien und in Sakhir gewonnen worden sind, kommen lediglich Tendenzen gleich. Die letzten Annahmen und in der vergangenen Woche in Bahrain gewonnenen Eindrücke deuten auf Vorteile von Red Bull hin.
New era, same Max 🔥@Max33Verstappen topped the timing sheets at #F1Testing with a 1:31.720 ⏱️#F1 pic.twitter.com/lzDVKq82wp
— Formula 1 (@F1) March 13, 2022
Hinter dem Team mit Weltmeister Max Verstappen soll sich Ferrari vor Mercedes als zweite Kraft etabliert haben. Die Möglichkeit, dass sich der Titelkampf nicht wieder auf ein Duell reduzieren wird, scheint auf jeden Fall gegeben.
Die Einschätzungen werden den Fakten aber erst am Wochenende beim Saisonauftakt mit dem Grand Prix von Bahrain weichen. Erst in der Wüste des Inselstaats im Persischen Golf werden Fragezeichen durch Ausrufezeichen ersetzt. Wenige Tage also noch, bis dem Werweissen erste Tatsachen folgen. Der Beginn der neuen Zeitrechnung in der Formel 1 ist auch auf der Rennstrecke nah.
Um die Ausgeglichenheit unter den Teams zu optimieren, setzen die Macher der Formel 1 auf ein komplett neues Aerodynamik-Reglement. Die Autos kommen einfacher daher, viel Schnickschnack ist nicht mehr erlaubt. Das Ziel ist es, den Abtrieb um 20 Prozent zu reduzieren, damit es wieder mehr Überholmanöver gibt. Die Autos werden auf den Geraden weniger schnell sein, weil sie nicht so windschlüpfig sind wie ihre Vorgänger.
Finally, the overarching changes of our 2022 car ✨
— Formula 1 (@F1) March 16, 2022
We can’t wait to see these beauties on track come the #BahrainGP 🤩#F1 pic.twitter.com/k0GSJecIqi
Optisch am auffälligsten sind die neuen Pneus, die weiterhin von Pirelli geliefert werden. Neu werden Felgen mit einem Durchmesser von 18 statt 13 Zoll verwendet. Zu den neuen Reifen kommen neu Radkappen, die verhindern sollen, dass clevere Aerodynamiker den Luftstrom um das Rad herum zur Erzeugung von Abtrieb missbrauchen.
Ab dieser Saison können alle Fahrer vor dem Rennen, unabhängig von ihrem Abschneiden im Qualifying, ihre gewünschte Reifenmischung der vorgegebenen Mischungen auswählen. Die Qualifying-Regel, dass alle Fahrer, die sich für den dritten Teil des Qualifyings qualifiziert haben, mit jenen Reifen ins Rennen starten müssen, mit denen sie ihre schnellste Runde im zweiten Teil des Qualifyings gefahren sind, fällt weg.
Das Mindestgewicht (Auto und Fahrer) steigt von 743 auf 798 kg. Alleine die breiteren Reifen machen pro Auto schon etwa 11 kg aus.
2022 vs. 2021 💫
— Formula 1 (@F1) February 27, 2022
Spot the difference time! 🔎#F1 @alfaromeoorlen pic.twitter.com/Qm6b3KBgjk
Die Formel 1 geht 2022 ins zweite Jahr ihrer Budgetobergrenze. Diese sinkt gemäss dem Fahrplan des Weltverbands FIA von 145 Millionen US-Dollar im ersten auf 140 Millionen Dollar im zweiten Jahr.
Nach der Premiere im letzten Jahr gibt es auch in dieser Saison wieder drei Sprintrennen, und zwar am Samstag der Grand-Prix-Wochenenden in Imola, Spielberg und São Paulo. Das Format bleibt gegenüber der Vorsaison unverändert, nicht aber die Punktevergabe. Neu werden nicht mehr nur die Top 3, sondern die bestplatzierten acht Fahrer des Sprints mit Punkten belohnt, absteigend von 8 bis 1. Zudem gilt als offizieller Inhaber der Pole-Position nun derjenige Fahrer, der im Qualifying am Freitag die Bestzeit aufstellt, während der Sieger des Sprints im Grand Prix vom Sonntag von Startplatz 1 losfährt.
Als Reaktion auf die Ereignisse beim Regen-GP von Belgien im letzten August wurde die Punktevergabe im Falle eines Rennabbruchs überarbeitet. Es werden nur noch dann WM-Punkte vergeben, wenn mindestens zwei Runden unter Rennbedingungen (d. h. ohne reales oder virtuelles Safety-Car) absolviert wurden. Die volle Punktzahl gibt es dann, wenn mindestens 75 Prozent der geplanten Renndistanz zurückgelegt wurden. (pre/sda)