Am Sonntag spielen die Young Boys gegen Basel. Es ist der Vergleich der zwei grössten Schweizer Vereine, ein Klassiker. Doch was auf dem Rasen des Basler Joggeli passiert, war diese Woche kaum ein Thema. Geredet wurde vor allem darüber, was sich daneben abspielen wird.
Damit ist schon einiges gesagt darüber, wie es dem Schweizer Fussball gerade geht. Sportlich hat das Spiel keine grosse Bedeutung, zu weit haben sich die beiden Klubs voneinander entfernt. Aktuell trennen sie in der Super League 22 Punkte. Man könnte auch sagen: Welten.
Und doch ist die Anspannung im Vorfeld der Partie greifbar. Das gilt für die beiden Klubs und ihre Fans. Es gilt auch für die Behörden und die Fussballliga. Alle stehen sie unter dem Eindruck der Ereignisse vom 4. April, dem Tag des letzten Aufeinandertreffens. Damals attackierte eine kleine Gruppe von Basler Fans nach dem Cup-Halbfinal Sicherheitsmitarbeiter. Drei von ihnen wurden schwer verletzt.
Mittlerweile, heisst es vom FC Basel, wurden alle drei aus dem Spital entlassen. Aber natürlich wirkt der sinnlose und brutale Gewaltakt, der von Behörden und Klub als neue Stufe der Eskalation verurteilt worden ist, noch nach. So sind am Sonntag im St. Jakob-Park beide Fankurven gesperrt – sowohl die Muttenzerkurve, wo sich der harte Kern der Basler Anhänger trifft, als auch der Gästesektor.
Es ist eine Massnahme, wie sie in Basel schon lange nicht mehr durchgesetzt wurde. 2014 musste der Klub ein Europacup-Heimspiel vor leeren Rängen austragen, weil die Uefa das so verordnete. Zuvor blieb der St. Jakob-Park 2006 zweimal und die Muttenzerkurve drei weitere Spiele leer, nach der «Schande von Basel», jenem Tag im Mai, an dem der FC Zürich dem FC Basel in letzter Minute den Meistertitel entriss und an dem es zu wüsten Krawallen kam.
Diesmal haben der FC Basel und die Basler Bewilligungsbehörden gemeinsam den Beschluss gefasst, die Fans auszusperren. Wobei der Druck auf den Klub gross war und gar ein Geisterspiel im Raum stand. So weit kommt es nun nicht. Doch die Ausgangslage bietet auch so einige Sprengkraft.
Die Muttenzerkurve hat nach den Ereignissen beim Cup-Halbfinal ein paar Tage verstreichen lassen, bis sie sich zu Wort gemeldet hat. Doch dann tat sie das am Mittwoch doch noch. Und sehr deutlich. «Das Ausmass der Gewalt schockiert uns selbst», heisst es in der Stellungnahme etwa. Oder: Man habe die eigenen Grenzen «massiv überschritten».
Die Basler Kurve kündigte eine Stärkung der Selbstregulierung und eine interne Reflexion an – und auch, dass sie am Sonntag zum Stadion kommen wird. Die Sperre wolle man aber nicht umgehen. Sondern vor dem Stadion den Match verfolgen und dabei zum «gemeinsamen Austausch zusammenkommen».
Ihr Kommen haben auch die Berner Fans angekündigt. Auch sie sind am Sonntag ausgesperrt, und für sie fühlt sich das besonders ungerecht an, weil sie an den Ereignissen von letzter Woche nicht beteiligt waren. Und jetzt doch mitbestraft werden. Die Ostkurve spricht auf ihrer Website von einer «populistischen Massnahme» und ruft alle YB-Fans auf, trotzdem nach Basel zu reisen, um ein Zeichen gegen Kollektivstrafen zu setzen. Trotz Bitte der eigenen Klubführung, das nicht zu tun. Trotz Appell der Kantonspolizei Basel-Stadt, dass Fans ohne gültige Tickets nicht zum Stadion kommen sollen.
Für die basel-städtische Kantonspolizei heisst das, dass sich am Sonntag Hunderte, vielleicht gar Tausende Fussballfans beider Lager beim St. Jakob-Park einfinden dürften, die nicht ins Stadion gelassen werden. Auf Anfrage äussert sie sich nicht zu ihrer Strategie, sondern wiederholt den Appell an die Anhänger, ohne gültiges Ticket nicht anzureisen. Die SBB schreiben, für die YB-Fans werde ein Extrazug verkehren, weil man eine Transportpflicht habe und die Fans sonst auf den normalen Zugverkehr ausweichen würden.
Remo Meister, der Kommunikationschef des FC Basel, spricht von einer Ausgangslage, die «durchaus herausfordernd» sei. Aber auch davon, dass die Stellungnahme der Muttenzerkurve nahelege, dass man dort wisse, was am Sonntag auf dem Spiel steht. «Wir hoffen, dass alle Beteiligten die Situation mit gesundem Menschenverstand bewältigen und auf jegliche Provokationen verzichten», so Meister.
YB-Medienchef Albert Staudenmann sagt, man sei nach jetzigem Kenntnisstand überzeugt davon, dass es zu keinem Aufeinandertreffen der Fangruppen kommen werde, zumal sich die Muttenzerkurve unter der Woche einsichtig gezeigt habe.
So oder so werden am Sonntag viele Augen nach Basel gerichtet sein. Das hat auch damit zu tun, dass sich Fussballklubs und Bewilligungsbehörden nur drei Wochen vor den Ausschreitungen in Basel darauf geeinigt hatten, wie sie künftig mit den Fussballfans umgehen wollen.
Die Swiss Football League (SFL) hatte dabei einen Teilsieg errungen, weil es ihr gelungen war, die Einführung von personalisierten Tickets abzuwenden. Diese hatten allen voran die Polizeikommandanten und die Justiz- und Polizeidirektoren der Kantone gefordert, im Nachgang zu Ausschreitungen beim Zürcher Derby 2021.
Die SFL machte sich dafür stark, zuerst eine Studie zum Thema in Auftrag zu geben. Basierend darauf einigte man sich auf einen dialogorientierten Ansatz. Massnahmen sollen bei Bedarf schrittweise ergriffen und dazu ein Kaskadenmodell erarbeitet werden. Personalisierte Tickets sind nur noch als Ultima Ratio angedacht.
Wäre dieser Entscheid auch so gefällt worden, wenn die Gewalttaten von Basel sich einen Monat früher ereignet hätten? Sicher ist: Sie sind Wasser auf die Mühlen jener, die nach mehr Repression rufen.
Vorderhand stellen sich aber alle hinter den eingeschlagenen Weg. Die SFL, klar. Aber auch die erwähnten Konferenzen der Sicherheitsbehörden. Denkbar ist aber, dass der Zeitplan nun gestrafft und das Kaskadenmodell schneller als geplant konkretisiert wird.
(aargauerzeitung.ch)